Im April 2025 waren die Straßenbahnen Japans das Ziel einer gut dreiwöchigen Reise in den fernen Osten. 17 Straßenbahnbetriebe haben den Boom des MIVs auf allen vier Hauptinseln überlebt und bilden ein weitgehend von unseren europäischen Standards abgekoppeltes Ökosystem. Von dieser für uns bislang noch unbekannten und fremden Welt, in der es viel Neues zu entdecken geben sollte, berichtet in den nächsten Monaten diese Reisereportage.
Nachdem es in den letzten Wochen, von meiner Seite gar Monaten, still geworden war auf diesem Kanal, soll es nun mit einem echten Highlight weitergehen, für dessen Aufbereitung etwas mehr Aufwand nötig war, als bei den üblichen Reiseberichten von weniger exotischen Zielen. Viel Spaß bei meiner ersten Reise aus 2025 und meinem ersten Reisebericht aus Asien:
Prolog
Japan – schon vor einigen Jahren hatte ich dieses Ziel schon einmal in den Raum geworfen, als ich irgendwo gerade über mehrere kleine Artikel einiger der dortigen Straßenbahnbetriebe gestolpert war. Es erschien mir wie eine vollkommen andere, spannende Welt: Das Konzeptfahrzeug sind kleine Vierachser, teils noch aus den 50ern und 60ern, aber auch bis in die 2000er hinein gebaut. Selbst die Kleinserien moderner anmutender Niederflurwagen wirkten für europäische Augen erstmal wie zusammengeschrumpft. Abgesehen von Hiroshima sind die Fahrzeuge kaum einmal über drei Teile lang. Aber auch und besonders das Drumherum begeisterte irgendwie, versprach es doch gänzlich neue Eindrücke.
Zunächst einmal traf ich aber auf wenig Begeisterung mit dieser Idee, sodass sie bald wieder etwas in Vergessenheit geriet. Es hatte für mich auch keine übermäßige Priorität, da mit dem Baltikum, Helsinki, Oslo oder Rom auch noch diverse andere Straßenbahndestinationen auf dem Zettel standen, deren Erreichen auch finanziell deutlich übersichtlicher wäre.
Im Sommer 2024 war es dann aber plötzlich mein Vater, der auf der Suche nach neuen Erlebnissen mit der Idee “Japan” auf mich zu kam. Da die Idee anders herum vor einigen Jahren auf wenig Begeisterung gestoßen war, hatte ich damit nun nicht gerechnet und mich schon damit abgefunden, diese Reise irgendwann mal in anderer Konstellation oder allein zu machen. Scheinbar war man aber in der Zwischenzeit zu einer anderen Einschätzung über dieses Ziel gekommen und bei mir brauchte es dann eh keine Überzeugungsarbeit. Einzig die finanziellen und zeitlichen Aufwendungen mussten noch in einer groben Kalkulation abgeschätzt werden, dann kam beiderseits das Go für diese Reise mit einem Zeitrahmen von gut drei Wochen. Wenn wir diese Reise schon angehen wollten, sollten auch gleich alle Straßenbahnbetriebe des Landes besucht werden, woraus sich dieser lange Zeitraum ergab.
Ich studierte mal Klima- und Wetterkarten und schnell stellte sich April bis Mai als einzige vernünftige Option heraus, wenn man über die gesamte Inselgruppe reisen will: Im Süden noch nicht zu warm, im Norden nicht mehr eiskalt. Von Sommer bis Herbst laden zunächst Regenzeit und später die Tropenstürme derweil nicht so recht zum Reisen ein, sodass eine bei uns ansonsten noch gern genommene Reisezeit auch raus viel. Wir verständigten uns also auf April und buchten schon etwa eine Woche nach der ersten Konsultation die Flüge. Am 1. April von Hannover nach München via Star-Alliance mit der Lufthansa und dann den Hauptflug von München nach Tokyo und den Anschluss nach Kagoshima mit der ANA. Von dort ganz im Süden der Inselgruppe wollten wir dann in den drei Wochen vom 2. April bis 23. April mit dem Japan-Rail-Pass bis zum nördlichsten Straßenbahnbetrieb in Sapporo reisen. Der Rückflug war von Sapporo erneut über Tokyo und München nach Hannover geplant. Wie bei der frühen Buchung zu erwarten, gab es noch paar Minutenänderungen an den Flugzeiten. Wirklich nervig war dann allerdings die Änderung von unserem Anschlussflug in München, der auf 15:25 am Nachmittag verschoben wurde und uns damit gute acht Stunden am Flughafen München bescherte. Da würde es sich wahrscheinlich lohnen, den Flughafen zu verlassen und sich in Freising gemütlich in eine Wirtschaft zu setzten. Die Bahnalternative bot sich selbst bei dieser großen Wartezeit noch immer nicht an.
Der Zeitplan der Reise war nun gerade so großzügig, dass es keine allzu wilde Gewalttour werden sollte. Kulturelle Abstecher würden sich allerdings auch auf halbwegs einfach zu integrierende Programmpunkte beschränken müssen. In erster Linie würde es eine klassische Fototour rund um die Straßenbahnen Japans werden. Während ich im Spätsommer und Herbst 2024 dann eher mit der Genesung beschäftigt war und Zeiten am PC abseits der Arbeit auf das Nötigste beschränkte, hing sich mein Vater mit zunehmender Begeisterung für das Thema mächtig ins Zeug, sodass meine Planungsaufgabe sich weitgehend auf das Korrektiv beschränkte. So entstand mit regelmäßiger gegenseitiger Abstimmung ein grober Schlachtplan für die drei Wochen, der dann im April dem Realitätscheck unterzogen werden sollte. Für alle, die sich in Japan etwas auskennen, habe ich unseren Plan hier mal eingefügt, alle anderen können einfach entspannt mitreisen oder die Übersicht im Nachhinein vielleicht als Grundlage einer eigenen Planung nutzen. Zur geografischen Orientierung folgt gleich auf den Reiseplan eine Karte Japans mit den 17 Straßenbahnbetrieben. An einigen Stellen sollten wir schlussendlich etwas von der Planung abweichen. Mal weil die Hotelsituation es forderte, mal weil es noch leichte Änderungen am Programm gab. Im Wesentlichen bewies sich der Plan allerdings als solide ausgetüftelt, zu den Änderungen gibt es dann natürlich im Laufe dieser Berichtreihe mehr.
Datum | Reiseroute | Programm | Übernachtung |
Di, 1. April | 08:45 Hannover – München – Tokyo | Hinflug | / |
Mi, 2. April | Tokyo – Kagoshima 11:15 | Hinflug, ½ Tag Kagoshima | Kagoshima |
Do, 3. April | Kagoshima – Kumamoto (1h20) | ½ Tag Kagoshima , ½ Tag Kumamoto | Kumamoto |
Fr, 4. April | Kumamoto – Nagasaki (2h) | ½ Tag Kumamoto, ½ Tag Nagasaki | Nagasaki |
Sa, 5. April | / | Nagasaki | Nagasaki |
So, 6. April | Nagasaki – Hiroshima (3h30) | ¾ Tag Nagasaki | Hiroshima |
Mo, 7. April | / | Hiroshima | Hiroshima |
Di, 8. April | Hiroshima – Matsuyama Zug über Okayama oder Fähre |
¾ Tag Hiroshima | Matsuyama |
Mi, 9. April | Matsuyama – Kochi Zug über Tadotsu oder Bus |
¾ Tag Matsuyama | Kochi |
Do, 10. April | / | Kochi | Kochi |
Fr, 11. April | Kochi – Okayama (3h) | ¾ Tag Kochi | Okayama |
Sa, 12. April | Okayama – Osaka (1h) (oder nächsten Morgen) | Okayama | Osaka |
So, 13. April | Osaka – Kyoto (0h30) | Osaka-Sakai Linie Osaka Castle Kyoto To-ji Tempel am Abend |
Kyoto |
Mo, 14. April | Kyoto – Toyohashi (1h30) | Kyoto (Historische Trams im Umekōji Park nahe Hbf) |
Toyohashi |
Di, 15.April | Toyohashi – Fukui (2h10) Toyohashi – Nagoya – Maibara – Tsuruga – Fukui |
¾ Tag Toyohashi | Fukui |
Mi, 16. April | Fukui – Toyama (1h30) | Fukui | Toyama |
Do, 17. April | / | Toyama | Toyama |
Fr, 18. April | Toyama – Takaoka (0h20) Takaoka – Toyama (0h20) Toyama – Tokyo (2h10) Achtung: Kagayaki Shinkansen (Kanazawa-Toyama-Tokyo) ist in allen Klassen reservierungspflichtig |
Takaoka | Tokyo |
Sa, 19. April | – | Tokyo | Tokyo |
So, 20. April | Tokyo – Utsunomiya (1h) Utsunomiya – Hakodate (4h30) Achtung: Komachi Shinkansen in Richtung Atika und Hayabusa in Richtung Hakodate sind reservierungspflichtig. |
½ Tag Utsunomiya | Hakodate |
Mo, 21.April | / | Hakodate | Hakodate |
Di, 22. April | Hakodate – Sapporo (4h) | ½ Tag Sapporo | Sapporo |
Mi, 23. April | Rückflug: 1930 Sapporo – Tokyo 2105 -> 2255 Tokyo – München 0650 | ¾ Tag Sapporo | / |
Do, 24. April | 1525 München – Hannover 1630 | / | / |
Übersichtskarte Japans mit den 17 verbliebenen Straßenbahnbetrieben
Ansonsten besorgten wir uns vor der Reise nur noch zwei eSIMs mit 50GB Datenvolumen und den Voucher für den Japan-Rail-Pass, den wir dann vor Ort am Schalter in Kagoshima würden einlösen müssen. Ich reservierte noch eine erste Nacht ein Hotel in Kagoshima. Weitere Übernachtungen organisierten wir im Vorhinein nicht, dazu war die Unsicherheit, ob wir das Programm tatsächlich unverändert durchziehen würden, zu groß. Wäre ärgerlich, wenn die Reisekette dann nach einer halben Woche in sich zusammenbricht und man stundenlang damit beschäftigt ist, die Hotels umzuorganisieren.
Wenige Wochen vor der Reise kamen dann noch gesundheitliche Beschwerden dazwischen, sodass schon Blicke auf die Stornierungs- und Änderungsbedingungen der Flüge geworfen wurden und Gedanken an eine alternative Urlaubsplanung meinerseits für den April aufkamen. Die Vorfreude war in dieser Unsicherheit noch nicht wirklich da, was sich dann aber am Mittwoch der Vorwoche des Reisestarts ändern sollte, als das finale Go für die Tour kam und damit die Realisation, dass es tatsächlich losgehen würde in das Abenteuer Japan.
Dienstag, 1. April 2025: Hannover – München (LH6032) – Irgendwo über Asien (NH218)
Trotz der drei Wochen Reise war ich bei meinem Reise-Setup aus Koffer, Kameratasche und Rucksack bei Bewährtem geblieben. Eher hatte ich noch an der ein oder anderen Stelle etwas wegoptimiert, um bei den fast täglichen Ortswechseln die Last etwas zu verringern. Dem fiel unter anderem die Backup-Kamera zum Opfer. Aber wir fliegen ins Land der Kamerahersteller, da wird man im ärgsten Notfall eben einfach was kaufen müssen. Zumindest ging der Standard-Koffer gestern Abend ohne vorheriges Probepacken zu, der Rucksack war durch Wegfall der Zweitkamera und Wechselobjektive sogar etwas leichter als sonst. So würde es sich reisen lassen.
Der Abflug in Hannover stand für 08:45 am Plan, Boarding um 08:15, sodass der private Shuttleservice, der heute eh auf Arbeit nach Hannover “durfte”, pünktlich um 06:20 vor der Türe stand. Erfreulich ereignislos waren die folgenden Stunden: Der Koffer konnte zwar nur bis Tokyo durchgecheckt werden, aber das lag wohl eher am Zoll, als an Hannover. Ansonsten war am Airport Hannover wiedermal nicht viel los und die altbekannte A319 “Lutterstadt Wittenberg” legte pünktlich am Gate für den Lufthansa City Flug nach München an. Im Verlauf des Boardings erwähnte der Pilot während seiner Begrüßung erstaunlich beiläufig, dass die Gepäckverladung nicht funktioniert habe und das Gepäck nicht wie geplant nach München käme. Momente später löste der Pilot, zurück im seriösen Modus, seinen eigenen Aprilscherz allerdings als solchen auf und startete pünktlich MIT Gepäck Richtung München.
Die zur Lufthansa City versetzte A319 “Lutterstadt Wittenberg” ist eine alte Bekannte auf der kurzen Pendelstrecke Hannover – München und wird pünktlich ans Gate manövriert.
Der Zubringerflug nach München war kurz wie unspektakulär. In München standen wir dann an der Außenposition auch gar nicht so verkehrt, konnten wir doch am Terminal 2 bereits eine ANA-Maschine ausmachen. Half dummerweise nichts: Wir wurden mit dem Bus einmal komplett zum Terminal 1 rüber gekarrt, nur um uns anschließend mit dem lächerlich kurzen Shuttle-Zug vom Terminal 1 wieder zurück zum Terminal 2 zu bewegen. In Frankfurt gibt’s irgendwo so einen Fußgängertunnel zwischen zwei Armen des Terminal 1 – der ist gefühlt länger als die ganze Strecke des Shuttle-Zuges zwischen T1 und T2 hier in München.
Dort hinten steht am T2 bereits unser Dreamliner der ANA nach Tokyo – dummerweise werden wir von unserer Außenposition des Zubringers erst zum Terminal 1 hinübergekarrt.
Zu Fuß wären wir von unserem Zubringerflug zumindest schneller drüben bei der ANA gewesen, als nun mit Bus und Zug und Laufen über den T1-Umweg. Aber egal, wir hatten großzügig Umsteigezeit und herumsitzen und warten würden wir gleich noch 12 Stunden am Stück. Einen kleinen Snack gab es noch vom Bäcker, dann warteten wir am Gate auf das Boarding.
Nach 20min Reise über den Flughafen haben wir es zurück zu unsere B787-9 der ANA Richtung Tokyo am hintersten Gate des Terminal 2 geschafft.
Das Boarding verlief bereits japanisch geordnet, dennoch dauert es natürlich etwas, bis ein solcher Vogel über nur eine Tür beladen ist. Recht pünktlich ging es dann aber doch Richtung Startbahn. Wir hatten einen Fenster- und einen Mittelplatz auf der linken Seite des Dreamliners, einige Meter hinter der Tragfläche. Es war fast auf den letzten Platz ausgebucht und entsprechend auch unsere Dreierreihe voll besetzt. Glücklicherweise aber eine kleine Person am Gang, dass sollte also irgendwie gehen.
Das Innenraum-Lichtdesign und der Service waren zumindest auf japanische Zeit geeicht, lief also mit +7 Stunden gegenüber unserem Rhythmus. Nach unserer Zeit um 11:15 Uhr gestartet, war es also kurz nach dem Start schon bald Zeit für das Abendessen. Passte für uns, schließlich wäre für uns ja jetzt das Mittagessen dran. Blöderweise durfte man dadurch aber auch damit rechnen, dass es kein Abendessen mehr geben würde, sondern mit Glück vor Tokyo noch ein Frühstück. Wir waren also mit dem Betreten des Fliegers direkt in die japanische Zeitzone eingestiegen, was wenig später auch an der Beleuchtung erkennbar wurde: Es gab noch einen Kaffee, dann wurde bald das LED-Licht warm und wenig später langsam ganz heruntergedimmt. Auch die Fenster wurden dunkel getönt, was dann doch etwas schade war, denn es war draußen ja noch hell und wir flogen über für uns völlig unbekannte Landschaften. Durch den russischen Angriffskrieg umfliegen zumindest die japanischen Airlines den russischen und ukrainischen Luftraum großzügig, was auf dem Hinflug zu einer südlichen Route über Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Türkei, das kaspische Meer, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan, die Mongolei, China und Südkorea führte (hoffentlich habe ich jetzt nichts vergessen). Nicht nur ist diese Route schon auf einer zweidimensionalen Karte klar als südlicher Bogen, denn als eine halbwegs gerade Linie erkennbar, auch biegt sich der Bogen Richtung Äquator und man fliegt also noch Unmengen Kilometer gegen die Erdkrümmung an. Im Normalfall beschreiben solche Flüge auf der nördlichen Halbkugel auch einen nördlichen Bogen und sparen somit durch die Erdkrümmung viele Kilometer. Der Flug war somit auf 12 Stunden angesetzt und da unser Flugzeug nun trotz Helligkeit draußen beschlossen hatte, es sei japanische Nacht, blieb auch kaum mehr übrig, als paar Videos auf dem iPad zu schauen, Podcast zu hören und immer wieder wegzudämmern. Als großgewachsener Mensch mit noch nicht 100% wiederhergestellten Rücken zieht sich sowas schon wie Kaugummi, aber man nimmt es gern in Kauf für eine solche Reise und klammert sich an den Moment, wenn man in etlichen Stunden wieder aussteigen darf aus der lärmenden Sardinenbüchse. Laut war es auf jeden Fall ziemlich. Ob es an unserer Sitzposition oder generell an der 787 liegt, kann ich nicht sagen, aber ich ließ die NC-Kopfhörer eigentlich fast den ganzen Flug lieber aufgesetzt.
Wir fliegen unaufhaltsam der Nacht entgegen und irgendwann dämmert es dann tatsächlich draußen, nachdem unsere Boeing schon Stunden vorher beschlossen hatte, es sei Nacht und die Fenster gedimmt hatte.
Mittwoch 2. April 2025 I: Tokyo – Kagoshima (NH621)
Irgendwie war es eine Erlösung aus dem komatösen Gedämmer, als schließlich irgendwann von dem wie festgewachsen wirkenden Lächeln der Flugbegleiterinnen das Frühstück kredenzt wurde. Diese übermäßige und demonstrative Freundlichkeit ist als Norddeutscher erstmal etwas gewöhnungsbedürftig. Zwischendurch hatte es zumindest eine kleine Selbstbedienungstheke am Gang gegeben, sonst wäre der Hunger doch etwas groß geworden über “Nacht”. Ich hatte zwischenzeitlich das Stundentenfutter meines werten Sitznachbarn schon in ein reines Rosinenfutter transformiert (Rosinen in eine Nussmischung zu schmeißen, sollte auch mal in den Haag verhandelt werden…). Der Unterschied zwischen Frühstück und Abendessen war von der Geschmacksfarbe übersichtlich gering, sprich “herzhaft” bis “fischig”. Langsam aber sicher rückte dann das Ziel des Fluges auf der Karte näher. In der Ferne zogen die Lichter Seouls vorüber, dann begann es langsam zu dämmern, als wir das Japanische Meer überflogen und zum Landeanflug auf Tokyo ansetzten.
War schon zäh der Flug, aber jetzt sind wir fast da – einmal halb um die Erde.
Der Flughafen Tokyo Haneda ist recht kompromisslos in den Hafen gebaut und so ist es schon etwas seltsam, wirklich bis zum allerletzten Moment niedrig über Wasser und Schiffe zu fliegen, bis quasi erst mit dem Aufsetzten fester Boden unter einem erscheint. Von der ins Wasser gebauten Bahn 05 rollt man dann noch über einen Steg hinüber zu den Terminals und so war der 12-Stunden-Flug, vor dem uns ein wenig gegraut hatte, dann auch geschafft.
Tokyo Haneda. Nicht unsere B787, aber ein baugleiches Modell der ANA auf dem internationalen Großflughafen.
Wir hatten eine angenehme Transferzeit von guten zwei Stunden. Da wir aber erst noch durch die Einreise mussten und dann – wir erinnern uns: der Koffer konnte in Hannover nicht durchgechekt werden bis Kagoshima – auch noch den Koffer abholen und wieder aufgeben mussten, war es ganz gut, so viel Zeit zu haben. Das Einreiseformular, mit allen möglichen Bestätigungen, was wir nicht nach Japan einführen wollten, hatten wir bereits online ausgefüllt und auf dem Portal einen QR-Code für die Einreise erhalten. Recht simpel. Man braucht dann nur noch einen gültigen Reisepass und bekommt als EU-Bürger unkompliziert ohne weitere Fragen bei der Einreise ein 90-Tage-Visum.
Die Sortierung auf die Schlangen an den Einreiseschaltern war dann bereits sehr japanisch: Es brauchte mindestens vier Leute, die die Schlangestehenden einwiesen und auf die verschiedenen Schalter aufteilten. Dass mich die Dame dann von dem einen Schalter noch auf den anderen umleitete, und es am ersten dann doch schneller ging, war ihr direkt sichtlich unangenehm und schon wurde ich schnell noch an ein Prio-Fenster auf der Seite durchgewunken, wo ich dann direkt drankam und vom Beamten nach Vorzeigen des QR-Codes das Visum in den Pass geklebt bekam – willkommen in Japan! Ich hatte aber auch Pech gehabt mit den beiden ersten Schaltern zu denen ich gewiesen wurde: An beiden waren irgendwelche Vollpeilos in Badelatschen zu Gange, die weder das digitale Einreiseformular ausgefüllt hatten, noch in der Lage schienen, den alternativen Papierwisch korrekt auszufüllen. Die Wartezeit hatten wir aber schonmal nutzen können, um unsere japanischen eSims erfolgreich zu aktivieren, womit uns nun jeweils kaum aufzubrauchende 50GB Datenvolumen für die drei Wochen zur Verfügung standen. Man musste sich also quasi keine Gedanken ums Restvolumen machen und auch nicht ständig in irgendwelche Hotel-Wlans einwählen.
Die Koffer hatten schon ein paar Runden auf dem Band gedreht als wir sie einsammelten und uns anschließend auf die Suche nach einem Schalter machten, um sie für den Inlandsflug wieder aufzugeben. Klappte am Ende dann auch problemlos und wir erhielten noch die fehlenden Bordkarten für den Flug nach Kagoshima.
Der Anschluss nach Kagoshima wurde von einer auch nicht ganz kleinen B767-300 der ANA operiert, die aber nicht bis auf den letzten Platz ausgebucht war. Die Fahrt mit dem Shinkansen dauert für die Luftlinie fast 1000km eben doch auch ihre sieben Stunden. An sich eine beeindruckende Zeit, denn der Schienenweg dürfte wohl noch einmal ein Drittel länger sein. Da ist der Inlandsflug dann aber doch für einige die erste Wahl. Für uns eh, da er mit der Langstrecke quasi umsonst war, wenn nicht gar einen negativen Preis hatte, und wir so mit der Gültigkeit des JR-Passes für drei Wochen ab morgen auf den Tag genau hinkommen würden.
Während des Fluges entlang der Küste gab es einen schönen Blick auf den als weißen Zuckerhut emporragenden Mount Fuji. Leider durch die Wolken und das Flugzeugfenster nicht sehr schön darstellbar.
Der Mount Fuji ragt südwestlich des Städtekonglomerates um Tokyo in die Höhe.
Nach der Langstrecke und mit der Freude diese überstanden zu haben und der Vorfreude auf die jetzt richtig beginnende Reise verging der knapp zweistündige Flug schnell und bald setzten wir auf der Südinsel Kyūshū auf der einizgen Landebahn am Flughafen Kagoshima auf. Das sah hier jetzt nach Tokyo Haneda alles nach Provinz vom Feinsten aus. Nur wenige Gangways am einzigen Terminal, ein paar Außenpositionen und kurze Wege.
Angekommen am Flughafen Kagoshima auf der Südinsel Kyūshū. Man wartet bereits in ordentlicher Haltung auf unsere Koffer. Bei uns hätte der Trolleyfahrer sicher im Fahrzeug herumgelümmelt und am Handy gedaddelt.
Die Koffer waren wieder flott auf dem Band, sodass wir uns der letzten Etappe widmen konnten, der Fahrt vom Flughafen nach Kagoshima. Denn mit Kagoshima hat der Flughafen außer dem Namen nicht viel zu tun, liegt er doch eigentlich zwischen den Städten Kinkō und Kirishima rund 35km nordöstlich von Kagoshima. Es gibt aber natürlich ständig Direktbusse vom Flughafen ins Zentrum von Kagoshima und nachdem wir uns am Automaten schnell ein Ticket gezogen hatten, fuhr auch schon der nächste Bus vor. Der Fahrer stand mit einem Klicker in der Tür und zählte die einsteigenden Fahrgäste genau ab. Seltsam war dann nur, dass bis hinten durch kein Platz mehr für mich frei war und einige weitere Fahrgäste noch zustiegen. Die Lösung wurde mir dann von einem japanisch hilfsbereiten Fahrgast gezeigt: Es ließen sich noch Klappsitze zwischen der 2+2 Bestuhlung des Busses über den Gang klappen. Muss man natürlich von hinten nach Vorn machen, sonst müssen die letzten Fahrgäste über die Reisenden auf dem Mittelgang klettern. Sowas hatte ich auch noch nicht gesehen, aber bei einem Direktbus geht das natürlich.
Mit Klappsitzen auf dem Mittelgang: Der Direktbus vom Flughafen Kagoshima in die Stadt.
Recht urtümlich mit gefühlt meterlangen, manuellen Schaltwegen, schaukelte der Bus vom Flughafen auf die Schnellstraße und dann gen Kagoshima. Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde, aber bei all den neuen Eindrücken vor dem Fenster, verging sie wie im Flug. Erstmal natürlich das Linksfahren, dass ich nun schon einige Jahre nicht mehr geübt hatte. Dann das gemütliche Gefahre überall – Der Bus eierte auf der Schnellstraße die meiste Zeit einfach rechts herum, da die Autos auch nicht schneller durften. Die unbekannten, fast tropisch anmutenden Pflanzen wechselten sich in der ländlicheren Gegend mit kleinen freistehenden Häusern und ersten Reisfeldern ab. Irgendwann erreichten wir die Häuserwüste von Kagoshima. Rechteckige Straßenmuster, viel Beton, wenig erhellende Architektur dazwischen. Dafür überall unzählige Hinweis- und Reklametafeln, die Farbe in die Betonwüste brachten. Nicht mehr weit vom Ziel kam dann die Straßenbahn in Mittellage dazu und wir erhaschten erste Blicke auf die typischen kleinen Vierachser. Gegenüber vom Bahnhof verschwand der Bus in einem kleinen Häuserloch und entließ uns in die neue Umgebung. Genau auf der gegenüberliegenden Seite des Bahnhofes sollte unser Hotel liegen, sodass es mit einem ersten Blick auf die hier verkehrende Straßenbahn erstmal hinüber ging, um die Koffer loszuwerden.
Einen ersten Appetizer soll es schon geben, beim beiläufigen Blick auf 9503, während wir den Weg auf die andere Seite des Bahnhofes zu unserem Hotel suchen. Mehr dann im nächsten Teil…
Es war noch nicht einmal Mittag nach unserer neuen Zeit, sodass das Zimmer natürlich noch nicht ready war. Dafür blieb uns nun heute noch ein halber Tag, um uns schon einmal mit unserem ersten japanischen Straßenbahnbetrieb bekannt zu machen und direkt einen ersten Vorgeschmack der vielen Eigenarten der hiesigen Betriebe zu bekommen. Getreu dem Titel dieses Reiseberichtes, davon dann aber im nächsten Teil mehr…