Die Planung dieser Reise began schon Ende 2014. Ursprünglich geplant war ein Citytrip nach Edinburgh, wo seit 2014 eine neue Straßenbahn fährt.
Aber halt, ist 2015 nicht das 130. Jubiläum in Blackpool? Das müsste man ja eigentlich auch noch mitnehmen. Und wenn man dann schonmal in England ist, müssten doch die neuen Wagen in Nottingham und Birmingham auch noch mitgenommen werden…
Wie sollte man daraus nun ein rundes Gesamtpaket schnüren? Also ein bisschen gegoogelt und mal auf die Seite vom National Tramway Museum in Crich geklickt. Zufällig stand hier im September auch noch ein Jubiläum an und zwar das 60. der Tramway Museum Society(TMS).
Diese vielen Ideen mussten jetzt nur noch zusammengefügt werden und es würde sich ein abwechslungreiches Gesamtpaket ergeben. Wie der Zufall es wollte, waren das TMS 60 in Crich und das 130. Anniversary of Blackpool Tramway genau eine Woche auseinander. Einem Besuch beider Events stand also nichts im Wege und das restliche Programm wurde wie folgt dazwischen gelegt:
Mit dem Flugzeug sollte es freitags nach Birmingham gehen, wo die neuen Urbos 3 aus dem Hause CAF zu erledigen waren. Am Samstag stand dann das “TMS 60” in Crich auf dem Plan. Von dort sollte es weiter zu den neuen Citads in Nottingham gehen. Anschließend über Newcastle nach Edinburgh, wo in drei Tagen die Stadt erkundet werden sollte. Am zweiten Wochenende stand dann Blackpool auf dem Plan und über Manchester sollte der Heimweg angetreten werden.
Nun aber genug der Planung. Beginnen wir die Reise auf die Insel!
Doch leichter gesagt als getan. Einen Monat nachdem die Flugtickets gebucht waren, war der Hinflug Airlineseitig von flybe schon wieder gestrichen. Also mussten wir schnell einen anderen Flug nach Birmingham suchen und fanden einen Germanwings Flug ab Hamburg. Nach Hamburg zu kommen sollte doch kein Problem darstellen.
Zwei Wochen vor dem Abflug mit der Germanwings begannen dann die Streiks der Lufthansa. Man kam schon ins Grübeln wie man bis Samstagmorgen auf anderen Wegen Crich erreichen könnte, als der Streik dankenswerterweise, kurz vor Abflugtermin, durch die Rechtssprechung gestoppt wurde.
Freitag 18.09.2015 – Urbos 3 in Birmingham
Zu sehr humaner Zeit fuhren wir um 9:00 mit einem ICE-T Richtung Hannover. Von dort ging es ohne Probleme weiter zum Hamburger Hauptbahnhof. Zwischen zahlreichen gestrandeten Flüchtlingen hindurch fanden wir einen Mc Café und die erste Kaffepause der Reise wurde eingelegt, bevor es mit der S-Bahn zum Flughafen ging.
Auf der Flughafenterasse blieb einige Zeit zum Beobachten des Rollfeldes
Eine kleine Bombardier der Eurowings operierte unseren ca.90 minütigen Flug, nachdem man direkt einen Besuch beim Orthopäden hätte einlegen können. Die Sitze in diesem Flieger boten ungefähr so viel Komfort wie eine Kirchenbank, und drückten derart unangenehm im Rücken das man auf dem Ticket nochmal nachsah ob man “Holzklasse” gebucht hatte.
Der Flughafen Birmingham International verfügt über einen eigenen Bahnhof, von woaus es mit dem Zug direkt nach Birmingham weiterging. Vom Bahnhof New Street zogen wir mit den Koffern weiter zum Bahnhof Snow Hill, an welchem die “Midland Metro” momentan noch endet.
Die Midland Metro wurde 1999 eröffnet. Sie verläuft nahezu auf ganzer Strecke auf einer alten Eisenbahntrasse, ähnlich wie in Manchester. Allerdings entschied man sich hier für Niederflurbahnen und bestellte bei Ansaldo-Breda 16 Drehgestellwagen. Die massiven Schwierigkeiten mit diesen Bahnen und damit hohen Ausfallquoten und Wartungskosten, zwangen den Betreiber jedoch über Alternative nachzudenken und so baute CAF ab 2012 20 Urbos 3 Bahnen. Inzwischen sind alle alten Fahrzeuge ausgemustert und können gerade einmal eine Laufzeit von 15 Jahren vorweisen.
In Birmingham wird derzeit an einer Verlängerung der Strecke von Snow Hill über New Street und noch zwei weitere Stationen Richtung Süden gebaut. Die Arbeiten sind schon sehr weit fortgeschritten und mit der Eröffnung ist wohl bald zu rechnen. Sehr interessant, da die Tram hier erstmals im Straßenraum und in der Fußgängerzone verläuft. Der bisherige Endpunkt Snow Hill muss jedoch aufgegeben werden, um in einem großen Schwenk das Straßenniveau zu erreichen.
Wagen 22 in der Station Kenrick Park
Urbos 3 Nummer 24 verlässt die Station West Bromwich Central
Wir fuhren die komplette Strecke ab, um von der Endstation Wolverhampton St.Georges mit der Eisenbahn wieder in die Stadt zu fahren. Schließlich mussten wir heute noch bis zu unserem B&B in Whatstandwell nahe dem Straßenbahnmuseum kommen.
Vor der Station West Bromwich Central befindet sich das Depot mit Anschlussgleis
In Wolverhampton verlässt die Bahn die alte Eisenbahntrasse
In Birmingham New Street stiegen wir nach einer kleinen Stärkung in den Zug Richtung Derby, von wo es mit einem Regionalzug zum Bahnhof Whatstandwell ging.
Dieser kleine Ort bietet den nächstgelegenen Bahnhof zum National Tramway Museum. Von hieraus ist es “nurnoch” eine circa 25 minütige Wanderung 🙂
Durch seine gute Erreichbarkeit besticht dieses Museum zwar nicht, erstmal dort soll sich die Anreise aber mehr als gelohnt haben.
Für heute war es aber genug und dunkel war es auch schon. Der freundliche B&B Besitzer holte uns mit seinem transalpinen Kleinwagen sogar vom Bahnhof ab und den kleinen Hügel zum B&B hinauf.
Samstag 19.09.2015 – “TMS 60” Das National Tramway Museum Crich
Für heute waren im National Tramway Museum die großen Festivitäten zum 60. Bestehen der Tramway Museum Society (TMS) geplant.
Zur Einordnung einmal eine kleine Vorstellung des Museums:
Im Jahr 1955 formierte sich aufgrund der zahlreichen Stillegungen britischer Straßenbahnbetrieb die TMS. Sie machte es sich zur Aufgabe möglichst viele der ausscheidenden Wagen zu retten. Im Jahr 1963 fuhr die erste Pferdebahn auf dem Gelände des heutigen National Museum. Mittlerweile verfügt die TMS über mehr als 70 Fahrzeuge von denen sich über 60 im National Tramway Museum in Crich befinden. Von diesen ist die mehrzahl restauriert. Betriebsfähig sind von diesen Straßenbahnen immerhin noch eine beeindruckende Zahl von 28.
An diesem Tag war der Einsatz nahezu aller betriebsfähigen Wagen geplant und so zählte ich im Laufe des Tages ganze 24 Wagen im Fahrbetrieb. Zusätzlich waren die Abstellhallen zugänglich und weitere nicht betriebsfähige Wagen wurden vor den Hallen aufgestellt. So konnte ich 33 historische Fahrzeuge aufnehmen, wobei nichtmal jene mitgezählt sind, die ich bei meinem letzten Besuch bereits besser fotografieren konnte.
Einem unvergesslichen Tag voller vorbildlich retaurierter Bahnen sollte also nicht im Weg stehen.
Nach dem etwas grauen Wetter gestern, kämpfte sich am Morgen bereits die Sonne durch den Nebel. Wir traten nach dem leckeren “English Breakfast” im B&B den kleinen Spaziergang durch die leicht hügeliege Landschaft zum Nachbarort Crich an. Dort angekommen stand bereits eine englandtypisch geordnete Schlange, ruhig wartend vor dem Eingang des Museums auf Einlass. Als sich pünktlich um 10 Uhr die Kassen öffneten traten wir voller Vorfreude in das Museumdorf und begannen mit der “Arbeit”.
Auf dem Weg zum Museum ein typisch englisches Dorf…
…und typisch englische Landschaft
Noch herscht Ruhe im Museum. Ein Blick über den Zaun vor der Öffnung
Wilkommen
Das erste Prachtstück wird aus dem Depot gezogen – London United 159 aus dem Jahr 1902
Sheffield 510 aus dem Jahr 1950. Dies war der letzte Fahrzeugtyp der 1960 eingestellten Straßenbahn in Sheffield
Langsam aber sicher füllte sich die Gleisanlage vor dem Depot mit Fahrzeugen und Menschen. Als nächstes rückte eine rieisge lilafarbene Wand aus dem Depot. Es handelte sich um das 2012 aus Blackpool übernommen Jubilee car 762 im letzten Betriebszustand. Dies ist sowohl der jüngste als auch größte Wagen des Museums aus dem Jahr 1982. 2010 erlebten wir ihn noch im Einsatz in Blackpool…
Eine lilafarbene Wand versperrt die Sicht auf die anderen Bahnen – Blackpool 762
Eines meiner Lieblingsfahrzeuge aus Blackpool: Pantograph 167
Die Herkunft dieses Wagens zu erraten ist nicht gerade schwer. Es handelt sich um den Berliner Reko 223 006-4 aus dem Jahr 1969. Dieser dient im Museum als Behindertenfahrzeug und ist mit einem Hublift für Rollstuhlfahrer ausgestattet.
Einen kurzen Moment bot sich dieser fast menschenleere Blick auf Leeds 399 aus dem Jahr 1926
Blackpool trifft auf Halle(Saale). Toastrack 166 und Halle 902. Dieser war vor dem Berliner Rekowagen als Rollstuhlbahn vorgesehen und sollte mit einem Hublift ausgestattet und zusätzlich umgespurt werden. Aus technischen Gründen kam das Projekt allerdings trotz erfolgter Umspurung zum Erliegen. Inzwischen ist der Wagen seit einigen Jahren abgestellt.
Wir verließen nun das Depotareal, da die Vormittagsflotte weitgehend ausgerückt war, und schlenderten die Dorfstraße zum Endpunt der Strecke entlang.
Die Briten sind doch immer für eine verrückte Überraschung gut: Im Stile eines “Recruiting Car” für Soldaten aus dem 1.Weltkrieg “geschmückter” Wagen aus Chesterfield. Bei den teils makaberen Sprüchen an der Bahn kam man schon etwas ins Schmunzeln:”Lend your strong right arm to your country – list now” oder “Are you fighting or only singing for Rulebritania” waren nur einige der “Motivationsslogans”. Bei uns wäre so eine “Dekorierung” undenkbar…
London 1622 aus dem Jahr 1912 am städtischen Endpunkt
Blick durch die Museumsstraße mit Chesterfiel 7, Blackpool 762 und 167
Glasgow 1068 aus dem Jahr 1919 auf der Strecke neben dem Depot
Der nicht betriebsfähige Hill of Howth 10 aus dem Jahr 1902 wird über die Verschubbühne den Besuchern präsentiert
Der Berliner Reko ist zur ersten Fahrt für Rollstuhlfahrer ausgerückt
Southampton 45 an der am Museumseingang gelegenen Haltestelle Victoria Park. Hier endet das städtische Flair und es geht eingleisig ins Grüne
Von der eben gesehenen Brücke bietet sich ein schöner Blick auf die Haltestelle Victoria Park mit den dahinter liegenden Felsen. Hier mit Brill 273 aus Porto
London County Council(L.C.C.)106 aus dem Jahr 1903 und London 1622
Liverpool 869 aus dem Jahr 1936 im typischen “streamliner” Design der 30er Jahre, feierte heute nach erfolgreicher Restaurations seine Einsatzpremiere. Hier neben Pantograph 167 aus Blackpool
Ähnlicher historischer Wert wie ein KT4D in Wehmingen. Aber besser man nimmt solche Wagen frühzeitig in den Bestand auf, als sie später aufwendig restauriern zu müssen.
Open Balcony Standard Car 40 aus Blackpool auf dem Depotgelände. Gebaut im Jahr 1926 von Hurst Nelson
Rangierlok 717 aus dem Jahr 1927 aus Blackpool
Angeführt von Leeds 399 warten fünf Wagen auf den Beginn ihrer nächsten Tour. Es waren deutlich mehr Wagen im Einsatz als die Strecke hergab, wodurch sich den ganzen Tag an dieser Stelle ein Schlange bildete.
Nun sollte es mal die Strecke hinauf gehen. Wir bestiegen den nächstbesten Doppeldecker und fuhren bis zur Zwischenstation Wakebridge. Zu Fuß wären wir zwar wegen der hoffnungslos überfüllten Strecke genauso schnell gewesen, aber die Mitfahrt in diesen Wagen ist ein Erlebnis für sich und lohnt sich schon allein dank des hochmotivierten Personals, das mindestens genauso verrückt ist wie die Wagen selbst und immer etwas über sie zu berichten weiß.
Die Signalisierung auf den eingleisigen Abschnitten funktioniert mithilfe eines sogenannten “Token”. Dieser hängt am Beginn eines eingleisigen Abschnitts. Nur wenn der “Token” dort hängt darf der Aschnitt befahren werden. Der Token wird mitgenommen und vom letzten Wagen des Korsos am Ende des Abschnitts wieder aufgehängt. Selbtredend gibt es für jeden eingleisigen Abschnitt nur einen “Token”.
Glasgow 1068 in der Zwischenstation Wakebridge
Wagen 399 hat den “Token” für 1622 an der blauen Stange hinterlassen und folgt 1069 bergauf. Somit kann 1622 die Fahrt fortsezten
Das Recruiting Car fährt in die Zwischenstation ein
Endstation Glory Mine. Die Schaffnerin hat soeben den Trolley umgelegt
Metropoiltan 331 fährt in die Endstation Glory Mine ein
Erst seit etwa einem Jahr ist es möglich in Glory Mine auszusteigen, was weitere Motive ermöglicht hat. Hier wartet Glasgow 812 aus dem Jahr 1900 darauf, dass 331 den Trolley gewechselt hat und den Platz freigibt.
Jetzt ging es wieder zurück, um die nachmittäglichen Ausrücker auf der Museumsstraße abzulichten.
Reges Treiben um Sheffield 74 aus dem Jahr 1900. Wie viele Andere wurde er aus einer Gartenlaube rekonstruiert
Leeds 180 aus dem Jahr 1931
Blackpool Boat Car 236 aus dem Jahr 1934 am Victoria Park
Toastrack 166
Am Nachmittag fand auf dem Depotgelände eine Austellung der “Open Top Cars” statt. Insgesamt neun Wagen mit offenem Oberdeck präsentierten sich nebeneinander. Leider war dies fotografisch nur ausschnittsweise darstellbar.
Drei der neun “Open Top Cars”
Nach einem großen Capuccino und Kuchen auf der Terasse der Museumsrestauration mit Blick auf das Geschehen, wurden noch die letzten Fahrten vor Betriebsschluss im Abendlicht festgehalten.
Leeds 345 aus dem Jahr 1921
Das Boat erfreute sich, wie einst in Blackpool, bis zum Abend großer Beliebtheit. 2004 wurde das Fahrzeug in Blackpool ausgemustert. 2011/12 wurde es von Blackpool Transport restauriert und anschließend nach Crich verkauft
Brush Car 630 (Baujahr 1937) wurde 2011 restauriert aus Blackpool übernommen. Es zeigt sich in seinem letzten, in den 80ern stark modernisierten, Betriebszustand
Leeds 180 auf Einrückfahrt
Berlin 223 006-4 im letzen Sonnenlicht vor dem Depot. Der Wagen verlor 2011/12 seine orange Lackierung und alte Nummer 3006
Somit endete dieser herrliche Tag bei bestem Herbstwetter. Als wir 2008 im Hochsommer hier waren regnete es den ganzen Tag…
Wir verließen das Museum und schlenderten bei untergehender Sonne zum B&B zurück.
Ich habe es leider nicht geschafft alle an diesem Tag zu bestaunenden Fahrzeuge zu präsentieren. Das hätte den Rahmen noch weiter gesprengt…
Dieses Museum sucht auf jeden Fall seines Gleichen. Auch wenn viele Wagen nicht betriebsfähig sind, ist die fahrfähige Flotte immer noch beeindruckend und die zahlreichen Mitglieder hoch motiviert. Den stagnierenden Besucherzahlen wird seit einigen Jahren mit vielen interessanten Themenevents entgegengesteuert, sodass sich ein Besuch mehr als bezahlt macht.
Im nächsten Teil geht es dann über Nottingham bis Newcastle.
Bis dahin, viel Spaß in Crich 🙂