Auf 760mm durch die Rhodopen I: Von Septemvri nach Varvara

Nach der Anreise über Frankfurt und Sofia, kann es heute mit der Rhodopenbahn so richtig losgehen. Wir starten unsere Reise am nördlichen Ausgangspunkt in Septemvri und arbeiten uns Schritt für Schritt, bis zum 125 Kilometer entfernten Endpunkt in Dobrinishte vor.



Gleich zu Beginn eine Übersicht über den Streckenverlauf der Rhodopenbahn von Septemvri bis Dobrinishte. Den höchsten Punkt und damit auch den höchsten Bahnhof des Balkans, erreicht die Strecke nach rund 70 Kilometern mit dem 1267m hohen Bahnhof Avramovo.


Teil 1: Von Septemvri nach Varvara

Der heutige Teil führt uns vom nördlichen Ausgangsbahnhof in Septemvri bis ins sechs Kilometer entfernte Varvara.

Septemvri liegt an der Hauptstrecke von Sofia nach Burgas ca. 100 Kilometer südöstlich von Sofia. Direkt südlich an die Bahnhofsanlagen der Vollbahn, schließen sich hier die Gleisanlagen und der Bahnsteig der auf 760mm Schmalspur verkehrenden Rhodopenbahn an.

Eröffnet wurde dieser erste Abschnitt von Septemvri (damals noch Sarambey) nach Velingrad (damals noch mehrere separate Ortschaften) erst im Jahr 1926, nachdem erste Ideen für eine Schmalspurbahn in das Rhodopengebirge bereits Anfang des 20. Jahrhunderts aufkamen. Im Jahr 1920 wurde nach den Plänen des in Deutschland ausgebildeten Ingenieurs Stoyan Mitov mit den Arbeiten begonnen, nachdem zwei andere Ingenieure zuvor an der Aufgabe einer Linienführung durch die anspruchsvolle Cepino-Schlucht gescheitert waren. Der erste Weltkrieg und die schwierigen Arbeitsverhältnisse mit einfachstem Werkzeug in der Cepino-Schlucht, verzögerte jedoch die Umsetzung der Linie, sodass der Betrieb von Septemvri nach Ladzhene-Kamenitza (heute Velingrad) erst zum 2. August 1926 aufgenommen werden konnte. (Quelle: https://www.tesnolineikata.com/history 20.06.2019 16:00)


Der Bahnhof Septemvri

Nun geht es aber endlich an die Strecke. Lediglich vier Züge verlassen nach aktuellem Fahrplan täglich den Schmalspurbahnhof von Septemvri in Richtung Rhodopengebirge. Die Abfahrtszeit des ersten Zuges um 02:20 Uhr lässt bereits vermuten, dass es sich bei der letzten 760mm Schmalspurstrecke Bulgariens keinesfalls um eine reine Touristen- und Ausflugsbahn handelt. Vielmehr ist die Bahnstrecke für einige hundert Bewohner der entlegenen Dörfer in den Rhodopen die wichtigste Verbindung zur Außenwelt. Der Versuch der bulgarischen Staatsbahn BDŽ im Jahr 2012 ausgerechnet die für die Bevölkerung wichtigen Verbindungen in Tagesrandlage zu streichen, stieß auf erheblichen Widerstand und wurde schließlich wieder fallen gelassen. Die versuchte Streichung ausgerechnet dieser Verbindungen wurde auch als Versuch gedeutet, die Fahrgastzahlen noch weiter zu senken, um eine Einstellung der Linie zu rechtfertigen. (Quelle: https://www.augsburger-allgemeine.de/geld-leben/reise/Hinter-dem-Goldstrand-geht-es-weiter-id39655132.html” 20.06.2019 16:00)

So verkehrt noch heute, für eine Schmalspurbahn zu ungewöhnlichen Zeiten, jeweils ein Zug ab Septemvri um 02:20 Uhr, welcher Dobrinishte um 07:40 Uhr erreicht und ein Zug ab Dobrinishte mit Abfahrt 17:50 Uhr, welcher Septemvri erst um 22:45 Uhr erreicht.
Für Fotografen ist diese weite Streckung der vier Zugpaare mit einem jeweiligen Abstand von rund vier Stunden natürlich eher ungünstig und so verlässt nach dem Nachtzug erst um kurz vor neun wieder ein Zug Septemwri. Während meines Aufenthaltes in den Rhodopen setzte ich derweil auch diesen Zug nicht in Septemvri um, sondern fand mich am 18. Mai 2019 für die um 10:30 Uhr und 15:02 Uhr eintreffenden Züge in Septemvri ein.


Der Zug hat nach fünfstündiger Fahrt Septemvri erreicht. Kaum ist er eingefahren, fährt auch schon ein Rangierdiesel an die vier Wagen und setzt diese ins Nebengleis, wo sie gereinigt und für ihre nächste Abfahrt vorbereitet werden, während 77 009-9 für die nächste Fahrt Richtung Velingrad eine bereits vorbereitete Wagengarnitur bereitgestellt wird. Umsetzten müssen die Loks aufgrund dieses Procederes in Septemvri in der Regel nicht, sondern fahren lediglich für die Vorbereitung auf den nächsten Umlauf in den Betriebsbereich des Bahnhofes zurück und setzen sich nach weit über einer Stunde Pause wieder vor die bereitgestellten Wagen.


Das Rangierdiesel stellt wenig später die bereits vorbereiteten vier Wagen an den Bahnsteig und schiebt anschließend die anderen vier Wagen in das Reinigungsgleis. Für die Reinigung der meist nur vier Wagen starken Züge, stehen in Septemvri mindestens zwei Putzkräfte bereit, die sich in den unfassbar aufgeblasenen Personalapparat des Staatsbetriebes einreihen. Aber dazu später noch etwas mehr…


Die Zieltafeln an den Wagen werden nach jeder Fahrt im Zuge der Reinigung des Zuges umgedreht. Wie sooft sind auch hier beide Schriftbilder nebeneinander vertreten.


Am Nachmittag des selben Tages wurde die Henschel 75006-7 kurz nach Ankunft in Septemwri bereits ihrer Wagen beraubt und fährt wenig später in die Abstellgruppe.


Von Septemvri nach Varvara

Die sechs Kilometer von Septemvri nach Varvara sind vielleicht die unspektakulärsten der gesamten Strecke. Nachdem die Strecke in einem großen Bogen den Bahnhof von Septemvri verlässt, verläuft sie immer neben der Straße bis kurz vor Varvara. Erst hinter dem Haltepunkt Pamporovo kurz vor Varvara, entfernt sich die Bahn einige Meter von der Straße und verläuft zwischen Hinterhöfen in den Bahnhof Varvara. Der Bahnhof von Varvara verfügt über beeindruckende sechs Gleise mit mindestens drei Durchgangsgleisen, obwohl hier den ganzen Tag nicht eine Zugkreuzung stattfindet. Die immense Größe erklärt sich durch die ehemalige Zweigstrecke ins rund 20 Kilometer entfernte Pasardschik, welche von 1928 bis 2002 in Varvara auf die Linie von Septemvri nach Dobrinishte traf. Heute sind auf den Gleisen nur noch einige ungenutzte Güterwagen abgestellt und täglich legen hier acht Züge ihren Halt ein. Dennoch ist der Bahnhof, wie alle Bahnhöfe entlang der Strecke, besetzt. Und nicht nur ein Beamter tut hier seinen Dienst, sondern gleich drei Personale werden pro Bahnhof benötigt, um einen reibungslosen Betrieb zu ermöglichen: Das wäre zum ersten mal die wichtigste Person überhaupt, der Bahnhofvorsteher in stattlichem Eisenbahnerdress samt roter Mütze und natürlich dem wichtigsten Utensil, der grünen Kelle, mit der er die Freigabe zur Abfahrt signalisiert. Eine weitere Person in oranger Warnweste positioniert sich bei Annährung eines Zuges stets an der Einfahrtsweiche und stellt diese gegebenfalls – wann immer dies von Nöten sein soll bei einem Bahnhof ohne Zugkreuzung… Der dritte im Bunde sitzt im Bahnhofsgebäude und verkauft einerseits die Fahrkarten, andererseits scheint er auch als eine Art Fahrdienstleiter zu fungieren und bietet die ankommenden Züge der nächsten Meldestelle an oder wie immer dieses Procedere nach bulgarischer Betriebsordnung von Statten geht. Bedenkt man nun, dass alle Bahnhöfe entlang der Strecke derart besetzt sind, kommt man bei zwölf Bahnhöfen auf eine Mindestanzahl an Stationspersonal von 36(!!!) pro Schicht, die bei der enormen Zugdichte im Großen und Ganzen wohl 90% der Zeit überhaupt garnichts tun. Nun aber von aufgeblasenen Staatsapparaten zurück zu den Bildern:


Zwischen Septemvri und Varvara verläuft die Strecke größtenteils eben und unspektakulär direkt neben der Straße. Am Vormittag des 18. Mai 2019 ist 77 009-9 auf dem Weg nach Septemvri.


Hinter dem Haltepunkt Pamporovo verschwenkt die Strecke in Varvara ein kleines Stück und verläuft zwischen Hinterhöfen in den Bahnhof. 77 009-9 kehrt nach rund zwei Stunden Pause aus Septemvri zurück und hat soeben den Haltepunkt Pamporovo ohne Halt passiert.


Wenig später legt der Zug am Bahnhof von Varvara den ersten Halt ein und rüstet sich für die Fahrt in die Berge.


Mein erstes Bild der Rhodopenbahn enstand aus Sofia kommend drei Tage zuvor am Nachmittag. Schon beim ersten Kontakt fiel mir die nicht eben knappe Personaldecke auf. Im Vordergrund der Stationsvorsteher, im Hintergrund ist mit der orangen Weste der Weichenwärter bei der Einfahrt von 77 009-9 zu erkennen.

Unmittelbar hinter Varvara fährt die Rhodopenbahn in die enge Cepino-Schlucht mir zahlreichen Brücken, Stützmauern und Tunnels ein. Davon dann aber im nächsten Teil mehr, wenn es wieder auf 760mm durch die Rhodopen geht.

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