Der Wetterbericht sollte recht behalten: Ein ganzer Tag Kaiserwetter – das absolute Novum auf dieser Tour und genau die richtige Zutat für einen herrlichen Tag am Bernina.
Nachdem der Tag an der Südrampe des Brenners fototechnisch der zwischenzeitliche Tiefpunkt dieser Tour war, konnte der gestrige Tag zwar schon wieder etwas mehr überzeugen, für Begeisterungsstürme unsererseits, hatte das Wetter aber auch gestern keinesfalls gesorgt. Dafür waren uns gestern Abend aber viele große Sonnen im Wetterbericht versprochen worden und so ging der Blick nach dem melodischen Klingeln der Smartphonewecker gleich mal aus dem Fenster unserer italienischen Herberge in Tirano. Tatsächlich, soweit es der etwas eingeschränkte Blick aus dem Hinterhof gen Himmel erlaubte, war dort keine einzige Wolke auszumachen.
Der morgendliche Blick in den typsichen italienischen Hinterhof unserer Unterkunft in Tirano, gibt dem Wetterbericht recht.
Also gleich mal die Treppe hinunter und in die angeschlossene Bar/Brauerei, wo uns das Frühstück kredenzt werden sollte. Dieses war dann heute noch ein wenig italienischer als gestern schon im Trentino und bestand daher nahezu ausschließlich aus verschiedenstem kuchen- und croissantartigen Gebäck, welches sich in der Süße gegenseitig zu übertreffen versuchte. Womit ich mich mehr als gut abfinden konnte, überzeugte die zweite Hälfte der Reisegruppe nicht wirklich. Zum satt werden gab es aber auch diversen Joghurt und ein paar Sandwiches. Der wie gewohnt frisch aus der stählernen Barrista-Maschine stammende Kaffee, war dafür wiedermal über jeden Zweifel erhaben. Da genehmigt man sich gern noch eine zweite Tasse! Die angeschlossene Brauerei befand sich übrigens nur von einem Gartenzaun abgetrennt, mitten im einzigen Raum der Bar und begann in regelmäßigen Abständen mit irrem Lärm die fragwürdige Qualität des parallel plärrenden MTV-Verschittes aus dem Fernseher an der Wand zu übertönen. Das war dann leider eher weniger gemütlich…
Gestern hatten wir beschlossen, sollte tatsächlich das angekündigte Kaiserwetter eintreten, morgens nicht viel Zeit zu verlieren und gleich nach Ospizio hinauf zu fahren, um den Tag am Bernina zwischen Ospizio und Alp Grüm zu verbringen. Gut, ein Bild in Miralago entstand dann doch noch vorher, da kam eh gerade was entgegen.
Mit einer ordentlichen Ladung Holz erreicht der Allegra 3502 den Bahnhof Miralago in Richtung Tirano. Die Züge in den Tagesrandlagen verkehren am Bernina in der Regel ohne zusätzliche Personenwagen und werden stattdessen mit Güterwagen, meist Holz oder Öl, ausgelastet.
In Poschiavo wurde am örtlichen Coop noch der Proviant für den Tag gekauft und schon ging es die Südrampe des Berninas hinauf. In Ospizio stellten wir das bereifte Gefährt ab und waren rechtzeitig für den gegen halb elf fahrenden Berninaexpress an den bekannten Schlängeln am Lago Bianco vor dem Bahnhof Ospizio. Die Zeit reichte sogar noch aus, um noch einmal schnell zum Auto zurück zu laufen, hatte ich doch törichterweise die Sonnencreme in der Fototasche der “großen” Kamera gelassen. Bei der Gelegenheit tauschte ich dann trotz der anstehenden Wanderung doch noch kurzentschlossen auf das schwerere Arbeitsgerät – man weiß ja nie, was einen für Motive erwarten und will gerüstet sein…
Die beiden ABe 4/4 III 53+52 mit einem Bernina Express kurz vor Ospizio. Neben der ohnehin atemberaubenden Landschaft, waren mal wieder die verschiedenen Blautöne des Lago Bianco und des Lago Nero faszinierend, zwischen denen sich die Wasserscheide des Inn-/Donau-Systems mit dem schwarzen Meer und dem Einzugsgebiet des Po und Mittelmeeres befindet.
Der Zug hat die große Kurve passiert und kann vom selben Standpunkt aus noch einmal aufgenommen werden.
Fortan arbeiteten wir uns die Strecke am Lago Bianco entlang nach Alp Grüm hinunter. Wirklich schnell voran kamen wir allerdings nicht, denn alle paar Meter offenbarte sich ein neues Top-Motiv und auch Züge kamen dank der vormittäglichen Bernina-Expresse zwischen den stündlichen Regios genügend. Einfach nur herrlich war dieser Tag hier oben an der angenehmen 15 Grad kühlen Bergluft, nach der schwülen Suppe, durch die wir uns die letzten Tage gekämpft hatten.
Schon lange hatte ich auf einen Tag am Bernina mit derartigem Kaiserwetter gewartet, nachdem 2011 im Sommer hier oben dichte Wolken hingen, während es im Tal wunderbar sonnig und warm war. 2015 und 2017 hingen dann bei zwei Winterbesuchen ebenfalls die Wolken am Pass, wobei 2015 fast schon eine Art Schneesturm tobte und die Straße ab Diavolezza unpassierbar war.
Nun also passte alles! Den ganzen Tag kein Wölkchen am Himmel und die abtauenden Schnee- und Eisfelder, zwischen denen sich zahlreiche kleine Seen und Bäche gebildet hatte, boten unzählige Motive, während nach Alp Grüm hinunter schon die ersten Blumen blühten. Auch waren die Wiesen und Hänge noch nicht abgezäunt und boten so die Möglichkeit, sich in der alpinen Landschaft frei zu bewegen und die perfekten Fotostandorte auszuloten. Der Weg war teilweise noch unter kleinen Schneefeldern verschüttet, aber auch ohne professionelle Wanderausrüstung problemlos passierbar. Der große Boom war dadurch aber noch nicht ausgebrochen und die Wege gehörten uns nahezu allein. Nur eine handvoll anderer Wandergruppen teilten sich mit uns die noch nicht “offiziell” geräumten Wege zwischen Ospizio und Alp Grüm. Das sollte einen Monat später ganz anders aussehen…
Nun lasse ich aber die Bilder der kleinen Wanderung nach Alp Grüm und zurück für sich sprechen:
Allegra 3509 hat mit einem Regio soeben Ospizio Richtung Alp Grüm verlassen.
Blick Richtung Süden über den Lago Bianco zur Staumauer.
Zwischen den Zügen blieb immer wieder genügend Zeit für Fotos der atemberaubenden Landschaft.
Einzig ein Hubschrauber störte die Ruhe mit dem unablässigen hin- und herfliegen von Beton, zwischen einem Betonmischer in Ospizio und der großen Baustelle in Alp Grüm.
ABe 4/4 III 55+56 mit einem Bernina Express am Lago Bianco kurz vor Ospizio.
Allegra 3514 mit dem nächsten Bernina-Express nach Tirano.
ABe 4/4 III 51 solo mit einem Regio nach Tirano.
Panorama des Lago Bianco mit seinem fast vollständig abgeschmolzenen Eis. Nur an den Rändern halten sich noch hartnäckig einige Eisfelder. Hier oben konnte man schonmal vergessen, dass es Mitte Juni war und wir die letzten Tage durch 30 Grad warme Suppe gefahren waren.
Eine Stunde zu spät waren wir für das Motiv unterhalb der Staumauer des Lago Bianco, als ein Regio mit Allegra 3502 nach Tirano durchkam.
In Alp Grüm reichte der Sonnenstand noch soeben für eine Aufnahme des nächsten Regios mit 3508 an der Spitze.
Allegra 3513 hat sich durch die enge Serpentine gezwängt und erreicht den Bahnhof Alp Grüm.
Durch die große Baustelle in Alp Grüm, ließ sich das bekannte Motiv mit der 180-Grad Kurve nur bedingt umsetzen, als ABe 4/4 III 52+53 Alp Grüm erreichten. Dennoch ist der Blick hinab ins Val Poschiavo einfach beeindruckend. Am südlichen Ende des Sees haben wir heute Morgen noch den Allegra 3502 mit seiner Holzfuhre aufgenommen.
Recht schnell traten wir den Rückzug aus Alp Grüm an, denn jetzt am Nachmittag sollten dank Bernina-Expressen teilweise bis zu drei Züge pro Stunde und Richtung kommen. Das artete schon fast in Stress aus und ich setzte zwischen so manchen Zügen zu einem kleinen Lauf an, um noch das nächste Wunschmotiv zu erreichen.
Ein Allegra ist zwischen Ospizio und Alp Grüm mit einem Regio auf dem Weg nach Tirano.
Eine Traktion der älteren Triebwagen wollte ich dann doch noch mal von etwas näher ablichten. Dies gelang am Südportal der langen Galerie/Tunnel unterhalb der Staumauer mit ABE 4/4 III 56+55 mit einem Bernina Express nach Tirano.
Aus dem anderen Ende des Tunnels stößt wenig später der Regio mit ABe 4/4 III 54+51 hinaus.
Anschließend ging es auf die Staumauer, um einen etwas experimentellen Blick mit dem folgenden Bernina-Express mit einem Allegra an der Spitze umzusetzten.
Zum Glück gehören wir nicht zu den “Warnwestenträgern”, da stört es auch nicht weiter, wenn man sich bei den weiten Landschaftsblicken mal selbst im Bild steht… Allegra 3509 mit einem Regio nach Tirano.
Anschließend wollte ich noch einen Blick von Seehöhe umsetzten. Gar nicht einfach war es, trockenen Fußes auf die Schuttausläufer zu gelangen, welche teilweise von brüchigen Eisfeldern umgeben waren, in denen man besser nicht einbrechen sollte. Nachdem ein sicherer Pfad zwischen Felsen, Eis und Wasser gefunden war, kam auch schon nach kurzer Zeit der nächste Allegra mit einem Regio.
Nach acht unvergesslichen Stunden zwischen Lago Bianco und Alp Grüm, erreichten wir schließlich wieder den Bahnhof Ospizio. Die Bernina Expresse waren durch und die Regios wurden kürzer, sodass wieder die Zeit der Güterwagenbeistellung begann. Den nächsten Regio warteten wir im wunderbar ausgeleuchteten Bahnhof Ospizio ab, bevor wir uns etwas sputeten und ihn mit leichtem Harakiri noch einmal an der Einfahrt Diavolezza erwischten.
Die Sonne strahlte noch immer ununterbrochen vom klaren blauen Himmel und das Licht wurde immer schöner. Wir würden also bis zum letztmöglichen Bild hier oben bleiben und verschoben uns nach Lagalp, wo wir oberhalb des Bahnhofes die nächste Zugkreuzung abwarten wollten. An der bekannten oberen Berninabach-Brücke lassen sich hier auch beide kurz aufeinander folgenden Richtungen aus verschiedenen Perspektiven umsetzten.
Allegra 3508 erreicht mit einem kurzen Regio und drei leeren Langholzwagen mit leichter Verspätung mit Ospizio Bernina, den höchstgelegenen Adhäsionsbahnhof Europas in Richtung St. Moritz.
Ein zweites Mal konnten wir den Zug vor Diavolezza ablichten. Nur wenige Meter Höhenunterschied und schon grünt es im Juni bereits überall.
Der nächste Kurs gegen halb acht zwischen Ospizio und Lagalp auf der bekannten Brücke oberhalb Lagalp. Mehr als Güterzug fungierte der Allegra 3505, dem keinerlei Personenwagen, dafür aber zwei Holz- und zwei Kesselwagen beigestellt waren. Dank des Kaiserwetters war aber auch der Allegra noch gut gefüllt mit spontanen Ausflüglern.
In der Gegenrichtung quält sich Allegra 3502 mit drei Holzwagen in maximaler Steigung von bis zu 70 Promille über die obere Berninabach-Brücke.
Selbst auf den wenigen hundert Metern zwischen Lagalp und der oberen Berninabach-Brücke hätte es noch zahlreiche Motive gehabt. Da wir uns auch in den längsten Tagen des Jahres befanden, erreichte auch das Licht noch die ein oder andere Stelle, allein die Züge fehlten, denn der Betrieb endet auf dieser hauptsächlich für den Tourismus interessanten Strecke recht zeitig und so war die Zugkreuzng um halb acht in Lagalp schon die letzte des Tages. Wir zogen also zurück zum Auto und rollten hinab nach Tirano. Dabei wurden wir, obwohl schon nicht gerade langsam unterwegs, unablässig von einem VW-Transporter samt Anhänger verfolgt. Wir machten uns einen kleinen Spaß daraus, das Auto mal etwas zu quälen und durch ein paar Kurven zu räubern, doch der Transporter klebte unbeeindruckt an uns dran. Unfassbar wie der da runter geheizt ist, sehr hoch beladen kann der nicht gewesen sein, wahrscheinlich paar Betonklötze am Ladeboden für die bessere Straßenlage 😀
Jetzt war auch die Stunde der Lambos und Porsches gekommen, die in der letzten Abendsonne ihre Wagen etwas ausfuhren und den Pass hoch und runter jagden.
In Tirano landeten wir eine Punktlandung und erreichten drei Minuten vor Ladenschluss um 20:27 den örtlichen Aldi, um noch das nötigste für ein kleines kaltes Abendessen einzukaufen. So ausgestattet, klang der Abend bei Brötchen, Joghurt und Obst auf dem Zimmer aus. Dieser Tag hatte es wirklich noch mal rausgerissen. Obwohl die Rhätische und der Bernina eigentlich eher so als Rückfahrprogramm in die Reiseplanung gefunden hatten, war dieser Tag am Bernina nun das absolute Highlight der Tour gewesen.
Morgen geht es dann im letzten Teil über Bernina, Albula und Davos entlang der Rhätischen zurück zum Bodensee.