Circum Carpati IV: Aufbruchstimmung in Galați?

Von Iași geht es nun Richtung Süden weiter nach Galați. Dort ist inzwischen das gesamte noch oder wieder betriebene und entsprechend zusammengeschrumpfte Streckennetz saniert. Auch die ersten Niederflurwagen rollen über die Gleise und vermitteln die Hoffnung auf eine Zukunft des Betriebes.


Dienstag, 10. Mai 2022 II:

Der letzte Teil hatte im Süden von Iași an der Schleife Tehnopolis geendet, von wo es nun rund 220 Kilometer gen Süden nach Galați und anschließend als Tagesziel weiter nach Brăila geht. Für Galați würden wir also nur einige wenige Stunden am Nachmittag Zeit haben. So richtig viel lag dort aber auch nicht an. Eventuell würden die neuen Niederflurwagen schon laufen und auch die befahrbaren Strecken hatten sich im Vergleich zu 2015 wohl wieder geändert. Außer der sanierten Strecke in die Micro-Bezirke, hatte der Betrieb damals einen recht jämmerlichen Eindruck hinterlassen und trotz dieser sanierten Strecke war die Zukunft noch längst nicht gesichert. Mal sehen, was uns dort heute erwartet.

Vorher galt es aber noch besagte 220 Kilometer hinter uns zu bringen und das sollte auf rumänischen Landstraßen wohl allein schon Programm bis in den frühen Nachmittag bedeuten. Das Problem sind dabei gar nicht mal die Landstraßen selbst, sondern zuvorderst diese nervigen kleinen Provinzstädte unterwegs, an denen sich meist mehrere überregionale Verkehrsströme kreuzen und es stellenweise nur im Stop and Go vorangeht. Umgehungsstraßen sind natürlich Fehlanzeige oder nur als Bauruinen vorhanden, sodass sich der Transit hier auch noch mit dem Lokalverkehr vermischt. Dabei kam uns auch immer wieder die Frage, wo denn diese Locals alle hinführen in diesen kleinen Städten, denn über Land ließen die Verkehrsströme immer recht schnell wieder nach. Im Ergebnis einigten wir uns darauf, dass das Fahren selbst hier vielleicht der Zweck ist. Sozusagen eine Art Zeitvertreib wie bei uns das Spazierengehen. Hier wird dann halt “Gefahren” 😉 Später wurde dies noch zu den zwei Lieblingsbeschäftigungen einer bestimmten Klientel erweitert: “Das Fahren und Lungern”. Aber dazu irgendwann später mal mehr… 😉

Erste dieser Provinzstädte war Vaslui, wo es einst auch einen Trolleybus gegeben hatte, weshalb wir mal eine Runde zum Bahnhof drehten. Es waren aber seit langer Zeit keine Nachrichten über die Beschaffung neuer Fahrzeuge bekannt geworden, was im Gegenzug meist auf die Stilllegung des Betriebes schließen lässt. So zeugte außer einiger Leitungsreste auch nichts mehr vom einstigen System. Erstaunlich, dass eine so kleine Stadt überhaupt mal einen Trolleybus hatte. Auch am Bahnhof selbst war in nächster Zukunft nichts zu erwarten. Einen Zug Richtung Iași hatten wir eben unterwegs umfahren. Mangels einladendem Café, ging es also gleich weiter.

Richtig zäh wurde es dann in Bârlad, der nächsten und einzig größeren Stadt auf dem Weg nach Galați. Hier galt es am Ausgang der Stadt auch den etwas unscheinbaren Abzweig von der 24 aus Iași auf die 24D zu bekommen. Auch die 24 führt als Europastraße weiter nach Galați, die etwas provinzielle 24D ist aber nicht nur ein Stück kürzer, sondern abseits des Schwerlastverkehrs auch einfach deutlich entspannter zu fahren, auch wenn im Gegenzug das ein oder andere Schlagloch umschifft werden will. Die fast vierstündige Fahrt durch recht monotone Landschaft war dann auch der Zeitpunkt, dass iPhone mit dem Scala zu verbinden und ein paar ZEIT-Artikel durchlaufen zu lassen. Zwei sehr unterhaltsame Stücke zu Boris Johnson, eines das ich bereits im Februar gehört hatte und nun ein zweites, wunderbar dazu passendes aus der aktuellen Ausgabe.


Kurz vor Vaslui die erste logistische Pause am Rande der 24.


Hinter Bârlad geht es auf der deutlich provinzielleren 24D weiter, die auf kürzerem und weniger befahrenen, teils aber auch etwas grobschlächtigerem Weg nach Galați führt.

Kurz nach Mittag erreichten wir bereits Galați. Von Norden wird man auf der Strada Traian fast am alten Depot Nr.2 vorbeigespült. Dort verlief beim letzten Besuch auch noch die Strecke zum jüdischen Friedhof. Heute war der parallel zur Strada Traian verlaufende Bulevardul George Coșbuc mit der damaligen Linie 39 eine einzige Baustelle. Ob hier auch Gleise verlegt werden, war aus der Ferne nicht zu erkennen. Wir manövrierten erstmal zum Zentrum des einstigen Netztes am Piața Energiei, um zu sehen, ob denn was fährt und wenn ja, was genau das wäre. Das Auto wurden wir unweit des Platzes an der befahrenen Strecke auf dem Bulevardul Basarabiei los. Sogleich kam auch einer der neuen Niederflurer des Weges, die zweiteilige Variante der schon aus Cluj bekannten Astra Imperio, hier Autentic genannt – fuhren die hier also auch schon. Die Frankfurter Lackierung war für Auge und Kamera allerdings fast noch schlimmer als das pink/grau in Cluj. So ganz kann ich mich nicht entscheiden, welche der beiden Varianten nun schlimmer ist.
Der Piața Energiei zeigte sich im Vergleich zu 2015 jedenfalls wie ausgewechselt. Auf einer völlig ausgeschlagenen Kreuzung mit mehreren Bypässen, rumpelten die Bahnen hier damals mitten durch den Kreisverkehr. Heute führt eine neue Kreisbahn am Rand der Kreisverkehrsinsel eingleisig einmal um das gesamten Rund. Aus den abzweigenden Ästen stoßen dann jeweils die Strecken auf die Kreisfahrbahn. Schön zu sehen ist der Unterschied über die Zeitansicht bei StreetView. Noch immer verlaufen auf allen vier auf den Kreisverkehr zulaufenden Straßen auch Tramstrecken.

Bedient werden die Überreste des Netzte derzeit von den zwei Linien 7: Micro 19 – Piata Centrală und 39: Liceul 3 – Micro 19.
Die Linie 7 bedient die beim letzten Besuch eingestellte, ehemalige Strecke Richtung Bahnhof. Der Bahnhof selbst wird jedoch nicht mehr angebunden, stattdessen biegt die Strecke kurz vorher in die Strada Traian Richtung Süden ab und wendet wenige hundert Meter weiter am Piata Centrală, dem eigentlichen Zentrum von Galați. In Gegenrichtung verläuft die Linie vom Piața Energiei parallel zur 39 nach Micro 19.
Die Linie 39 verläuft vom Piața Energiei lediglich eine Haltestelle Richtung Norden zum Kreisverkehr am Bulevardul Milcov. Diese Strecke führte 2015 noch über das Depou Nr.2 weiter zum jüdischen Friedhof. Am nun als Endschleife genutzten Kreisverkehr gehen aber zumindest schon weitgehend fertiggestellte Gleise auf der Trasse der ehemaligen Strecke Richtung Depou Nr. 2 weiter. Soweit unsere Kenntnis, soll diese Strecke wohl nur bis zur ehemaligen Zwischenschleife Comat am Bulevardul Henri Coandă wieder in Betrieb genommen werde, was dann ja auch nur noch zweimal ums Eck wäre, was die Sinnhaftigkeit der jetzigen Endschleife und späteren Zwischenschleife etwas in Zweifel stellt. Aber die Fördermittel waren wahrscheinlich da und mussten mit schnellem Resultat verbuddelt werden – wer weiß das schon…
In Gegenrichtung verläuft die 39 parallel zur 7 auf dem südliche Ast in die Plattenviertel nach Micro 19. Dieser war schon beim letzten Besuch vollständig saniert und stellt weiterhin den Hauptast des Rumpfnetztes dar.
Die Strecke über die große Brücke zum Combinat, wird ebenso wie die vor der Brücke gelegene Schleife Liceul 9 nicht mehr bedient. Dorthin pendelte 2015 noch ein einzelner KT4D von der Schleife Comat aus als Linie 1: Comat – Liceul 9. Diese ist die vierte vom Piața Energiei abzweigende Strecke, die nun noch als Betriebsstrecke wenige Meter bis zur Depoteinfahrt führt, wo noch jede Menge KT4D herumstanden. An gleicher Stelle hatten 2015 noch die ehemaligen Dresdner T4D vor sich hin gerostet.

Das “Netz” ist also weiterhin mehr als übersichtlich und in Summe etwa genauso lang wie beim letzten Besuch. Die derzeit wieder bedienten Strecken sind jetzt allerdings durchgängig saniert, nachdem die Strecke zum jüdischen Friedhof und zur Schleife vor der Combinatsbrücke 2015 zwar noch bedient wurden, sich aber in einem äußerst kläglichen Zustand befanden.

Gerade war es arg dunkel geworden, sodass wir uns einfach ein wenig am Piața Energiei aufhielten, mit der neuen Situation vertraut machten und an den Mitnehmbuden am Rande des Platzes ein wenig Brennstoff einschoben. Dieses Gebäck dort bei Panda ist aber auch wirklich gut und auch die Pizzastücken nicht zu vergleichen mit dem, was man bei uns an solchen Mitnehmständen manchmal an vor Fett und Salz triefendem Zeug mit der irreführenden Bezeichnung “Pizza” feilgeboten bekommt.


Gleich als erstes fuhr uns auf dem Bulevardul Basarabiei kurz vor dem Piața Energiei auf der Linie 7 vom Piata Centrală einer der nagelneuen Astra Autentic vor die Linse. Auch diese Farbgebung weiß mich überhaupt nicht zu überzeugen – Frankfurt lässt grüßen.


Am Piața Energiei treffen aus allen vier Himmelsrichtungen Strecken auf den neu gestalteten Kreisverkehr. Hier der Rotterdamer GT6 1530 als Linie 39 von Micro 19 nach Liceul 3.


Aus Richtung Piata Centrală trifft GT6 1263 als Linie 7 auf den Piața Energiei und fährt weiter nach Micro 19.


Autentic 39 umkurvt den Kreisverkehr von Liceul 3 nach Micro 19.


Die vierte Strecke am Piața Energiei ist die nur noch als Betriebsstrecke bis zum Depot dienende, ehemalige Strecke zum Kombinat. Diese führte einfach schnurgeradeaus über die große Brücke im Hintergrund und wendete vor den Werkstoren.


Einzig am Depot geht es noch rustikal zu, das übrige derzeit befahrene Rumpfnetz ist saniert. Zahlreiche KT4D stehen hier noch am Rand. Schon beim letzten Besuch wurde nur noch ein letzter KT4D für die damalige Linie 1: Comat – Liceul 9 eingesetzt. Die neuen Autentics ersetzten also in erster Linie schon Teile der Rotterdamer GT6.


Auf der vom Depot weiterführenden Strecke zum Kombinat ist wohl schon einige Zeit nichts mehr gelaufen. Vor der Brücke liegt noch die ebenfalls nicht mehr bediente Schleife Liceul 9.


Autentic 1852 biegt als Linie 39 am Piața Energiei Richtung Micro 19 ab. Beide Linien wurden etwa im 15-Minuten-Takt mit beiden Fahrzeugtypen bedient, ein System war dabei allerdings nicht erkennbar.

Wir hatten es hier jetzt gesehen am Piața Energiei. Der tägliche Punkt des mindestens eine halbe Stunde in oder an einem Kreisverkehr stehen, war damit auch für heute abgearbeitet 😉
So richtig lud das Wetter allerdings nicht zum Fotografieren ein, noch weniger vielleicht aber auch die befahrenen Strecken. Im Grunde verläuft die Tram überall in der Mitte vierspuriger Straßen und wird dabei komplett vom Autoverkehr erschlagen. Einzig die Strecke nach Micro 19 bietet in einem Abschnitt leicht abseits der größten Verkehrsachsen etwas Abwechslung. Dort hatten wir uns allerdings 2015 schon ausgiebig herumgetrieben. In diesem Bereich stand damals vor einem McD auch noch einer der Frankfurter L-Wagen als Eventraum des Burgerbräters. Wahrscheinlich war das Dach inzwischen durchgerostet, jedenfalls war der Frankfurter nicht mehr aufzufinden.
Mangels Ideen steuerten wir also einfach die letztes Mal nicht bediente Endschleife am Piata Centrală an. Anschließend führte uns unsere Endschleifenfahrt auch noch nach Liceul 3 und Micro 19, sodass wir das Gesamtnetz einmal abgefahren waren – allerdings mit dem Auto 😀


Es braucht schon viel Glück, in dem dichten Verkehr entlang der Straßenbahnstrecken wenigstens einmal ein Bild ohne Auto direkt vor der Tram hinzubekommen. Kurz vor dem Piata Centrală tat sich hinter der Haltestelle Farmacia – selbige verlassen rechts zu sehen – durch einen Rechtsabbieger eine kleine Lücke auf. GT6 1263 hat als Linie 7 gleich sein Ziel erreicht.


Der Piata Centrală ist das eigentliche Zentrum von Galați, auch wenn das einstige Straßenbahnnetz eher auf die Anbindung der sozialistischen Plattenbauviertel an das Kombinat ausgerichtet war. GT6 1263 steht seine Pause in der Endschleife vor dem großen Markt ab. Rechts schließen diverse Buslinien ebenfalls den Markt an.


Wenig später startet GT6 1263 zur nächsten Fahrt Richtung Micro 19.


Wir warteten noch einmal einen der neuen Autentics ab. Wenigstens konnte man hier an der Schleife mal in Ruhe fotografieren. Es folgte der Autentic 1854.


Geografischer Sprung: Autentic 1852 erreicht die derzeitige Endstation der Linie 39 Liceul 3. Die Häuserwand quer ganz im Hintergrund ist bereits der nicht weit entfernte Piața Energiei.


Im anschließend als Endschleife genutzten Kreisverkehr am Bulevardul Milcov ist derzeit noch Schluss für die Linie 39. Die weitere Sanierung zumindest bis Comat scheint aber schon weit fortgeschritten. Architektur abseits sozialisitischem Brutalismus und Plattenbauten sucht man in Galați spätenstens seit der Einstellung der recht grünen Strecke zum jüdischen Friedhof entlang der Straßenbahn über weite Strecken vergebens.


Autentic 1852 erreicht nach der Kreisfahrt die Abfahrtshaltestelle Liceul 3 Richtung Piața Energiei und Micro 19.


Nächster Sprung zur Schleife Micro 19 – wie könnte es anders sein – natürlich um einen Kreisverkehr herum. Autentic 1852 startet zu einer weiteren Fahrt als Linie 39 nach Liceul 3. Das Licht war heute wirklich mehr als grenzwertig, noch dazu die schreckliche Farbe der neuen Fahrzeuge…


Auch das Silber des Rotterdamer GT6 1530 ist kaum besser zu fotografieren. Einzig der gelbe 1263 war ein kleiner Lichtblick. Grundsätzlich sollten Silber und Grau als “Farben” für Straßenbahnen verboten werden. Grüße gehen raus nach Düsseldorf – komisch, dass ich dort schon seit 2012 nicht mehr war. Zufällig das Jahr, in dem die letzten cremefarbenen GT8 und die weiß/roten GT8S ausschieden…


Hin und wieder lässt sich an der Endstation Micro 19 auch ein Wagen überholen, wie hier der GT6 1530, der den folgende Autentic 1861 auf der 7 vorbeilässt.


Die “Sattelschlepper” aus Rotterdam sind für Sechsachser schon mächtige Fahrzeuge, wie besonders der seitliche Blick beim Wenden um den Kreisverkehr zeigt.

Puuuh, war das hier alles schaurig… Natürlich ist es erfreulich, dass das Netz nun scheinbar doch in Teilen konsequent saniert wurde und wird und auch der Fahrzeugpark langsam in der Moderne ankommt. Aber fotografisch war das hier in Galați sicher der eindeutige Tiefpunkt dieser Reise. Dadurch, dass ausschließlich noch sanierte Strecken befahren werden, fehlen einfach diese morbiden Ecken, an denen es fotografisch so richtig interessant wird. Der Rest ist einfach nur Einheitsplatte und vierspurige Straßen und auch mit dem Licht ließ sich an diesem Nachmittag einfach kein Blumentopf gewinnen. Das war einfach nur anstrengend. In der ganzen Zeit hatten wir auch kein einziges Café ausmachen können, das ansatzweise zu einer kleinen Verschnaufpause eingeladen hätte, nach der man ja nicht nur durch die Wirkung des Koffeins so oft mit neuem Elan an die Sache herangeht. An jeder Ecke waren einfach nur unzählige Wettbuden und zwielichtige Spelunken. Bahh, ist das garstig hier! Wir hatten genug und waren ja zum Glück nicht mit dem Ziel eines vollständigen Portraits hier vorbeigefahren. Im Grunde nur auf das Gerücht hin, die neuen Niederflurwagen könnten schon laufen und weil man auf dem Weg nach Brăila kaum an Galați vorbeikommt, war die Stadt überhaupt auf der Reiseroute gelandet. Objektiv müsste man hier unter Galați im Vergleich zu 2015 natürlich ein positives Fazit setzen: Die Strecken saniert, neue Fahrzeuge, ein einigermaßen annehmbarer Takt. Subjektiv wollten wir jetzt aber einfach nur weiter, zu abgerockten Linzenz-DüWags und zerbröselnden, morbiden Strecken nach Brăila – da freut sich das Fotografenherz – die Fahrgäste wohl weniger 😀


An dieser Stelle machen wir dann an diesem Dienstag den 10. Mai 2022 schon den nächsten Cut. Denn im nächsten Teil soll es dann geschlossen mit dem Abend und bis zum folgenden Nachmittag mit Brăila weitergehen.

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