Von Brăila im Osten des Landes geht es nun am Nachmittag weiter nach Ploieşti nördlich der Hauptstadt. Das dortige Netz ist inzwischen vollständig saniert, eingesetzt werden aber nach wie vor ausschließlich gebrauchte KT4D aus Potsdam. Bis morgen Mittag wollen wir uns den Betrieb etwas genauer ansehen.
Mittwoch 11. Mai 2022 II:
Nach dem vergeblichen Warten auf neue Fahrzeuge während der Kaffeepause, machten wir uns am frühen Nachmittag auf den Weg zum nächsten Ziel dieser Reise in Ploieşti. Immerhin weitere rund 170 Landstraßenkilometer waren bis dorthin abzureißen und wir rechneten mal nicht mit einer Ankunft vor dem späten Nachmittag. Da wir zumindest nicht auf Bukarest zufuhren, sondern dieses praktisch südlich liegenließen, hielt sich der Verkehr ganz gut in Grenzen. Durch den Werktag hing man aber trotzdem praktisch ständig zwischen irgendwelchen LKW, umzingelt von Lieferwagen, die es im Rückspiegel stets argwöhnisch zu beobachten galt, wollte man selbst zu einem Überholmanöver ausscheren.
Mit Buzău galt es glücklicherweise auch nur eine dieser anstrengenden Provinzstädte zu durchqueren, wo wir von der 2B auf die 1B wechselten und mit uns die übliche Vermischung aus lokalen und Transit-Ströme zu einem zähen Gewühle an jeder Ampel und jedem Kreisverkehr führten. Ansonsten war diese Fahrt, genauso wie die vorherige und die morgen folgende durch die rumänische Agrarebene größtenteils gähnend langweilig. Ich glaube diese Etappe war in diesem Punkt sogar an der Spitzenposition. Riesige Felder in völligem Nichts liegen rechts und links der Straße soweit das Auge reicht. Hin und wieder fliegt mit der üblichen Geschwindigkeit von 80 bis 110 km/h eines der Straßendörfer vorbei. Die Menschen in diesem Dörfern wohnen größtenteils ärmlich und verdienen ihr Geld wohl ausschließlich in der Landwirtschaft, oder mit kleinen Buden, in denen der Fernverkehr zu einem Espresso oder Snack einkehrt, oder die Flüssigkeitsvorräte ergänzt. Der “Forschung aktuell”-Podcast vom DLF wiegt mich irgendwann in den Schlaf, nach einem besonders brutalen Bahnübergang, der geradeso in Schritttempo passierbar ist, legen wir aber erstmal für eine logistische Pause am rechten Straßenrand an und wechseln anschließend die Rollen. Vorher wird noch auf einen recht belanglosen, aber irgendwie unterhaltsamen “Entdecken”-Artikel der ZEIT über deutsche Clubs in Paris gewechselt und die letzten Reserven für ein wenig Nahrung unterwegs zusammengesucht. Gegen halb fünf verdichtete sich der Verkehr dann zunehmend und wir rollten von Osten in Ploieşti ein. Ich schmiss mal kurz das Auto an den Rand, um dem Navigator Zeit zu geben, ein Hotel und die passende Route dorthin zu finden. Natürlich war der Navigator schon während der Fahrt nicht untätig gewesen und musste die Buchung für das Hotel Central praktisch nur noch bestätigen und das neue Ziel über CarPlay auf den Schirm des Scala werfen.
Das Hotel Central trägt seinen Namen derweil nicht von irgendwo: Es liegt direkt am zentralen Bulevardul Republicii, gegenüber des Verwaltungssitzes und schräg gegenüber des Kulturpalastes. Trotzdem lag das Zimmer im ersten Hotel am Platz dank der Last-Minute-Buchung über booking.com mit Frühstück und Parkplatz bei nur knapp 70€. Klar, geht das in Rumänien auch bedeutend günstiger, aber irgendwie muss das ja auch nicht sein… Mit CarPlay kamen wir dummerweise auf der falschen Richtungsfarbahn des sechsspurigen Bulevardul Republicii raus. Aber nach nun schon fast fünf Tagen auf rumänischen Straßen, wusste ich das routiniert zu lösen: Kurz auf der rechten Spur herumdümpeln, bis die Ampel hinter uns auf Rot wechselt und eine kurze Pause entsteht bis zum nächsten Strom. Das gleiche dann von Vorn abwarten, bis auch dort der Hauptstrom auf dem Bulevardul Republicii rot bekommt. Dann schnell beim nun kurzzeitig geschwächten Verkehr aus Abbiegerströmen einen U-Turn über alle sechs Spuren hingelegt und gezielt in einen praktischerweise freien Parkplatz direkt vor dem Haupteingang des Hotel Central gestoßen. Von der rechten Seite kam ein ironischer Hinweis auf die doppelt durchgezogenen Linien, die während des frogger-mäßigen Wendemanövers passiert wurde. Ansonsten schien man meinem gekonnten Manöver samt Parkplatz auf der Pole-Position aber den gebührenden Respekt zu zollen 😀
Kurz eingecheckt und die Sachen auf’s Zimmer gebracht. Nach den üblichen fünf Minuten-Füße-hochlegen gewann der Tatendrang dank schönstem Nachmittagslicht aber direkt wieder Überhand. Ein Blick von dem angepriesenen Balkon über den Bulevardul Republicii durfte auch noch sein. Der grandiose Mini-Balkon war allerdings zur Hälfte mit der Klimaanlage vollgestellt, sodass es gerade noch für eine Person reichte, sich irgendwie aus der Tür auf die winzige Standfläche zu zwängen. Hauptsache man kann das Zimmer mit Balkon vermarkten, ob der was nützt und wer überhaupt über dem tosenden Verkehr des Bulevardul Republicii einen Balkon braucht, sei mal dahingestellt. Ein Fenster hätte für’s Foto auch gereicht 😀
Wir haben am ersten Hotel am Platz eingecheckt und blicken von unserem Zimmer im Hotel Central direkt auf den Verwaltungssitz auf der anderen Seite des Bulevardul Republicii.
Dann geht’s aber los. Auf dem Bulevardul Republicii verkehrt lediglich der Trolleybus, dem wir uns dank damals eingestellter Straßenbahn schon 2015 notgedrungen ausgiebig gewidmet hatten. Inzwischen scheint die gesamte alte Flotte gebrauchter Fahrzeuge aus Genf und Lausanne allerdings durch neue Solaris Trollino 12 der vierten Generation abgelöst. Mit ihrer knalligen blau/gelben Lackierung wissen die Stromer aber durchaus zu gefallen und sind mir bei diesem Besuch ungewohnt viele Aufnahmen wert.
Die Straßenbahn tangiert die Innenstadt auf der anderen Seite in zweiter Reihe über die Strada Nicolae Bălcescu und Strada Ștefan Greceanu. Am Gara de Sud treffen Trolleybus und Straßenbahn dann aufeinander. Wir liefen mal hinüber zu Straßenbahn und schauten, was dort bei den länger werdenden Schatten noch ging. Ein bisschen was ging durchaus noch und wir liefen anschließend die Strecke bis zum Bahnhof hinunter.
Die Straßenbahn in Ploieşti gehört zu den sieben in den 80er- bis Anfang der 90er-Jahre aufgrund von Brennstoff-Knappheit errichteten Straßenbahnbetrieben. Mit billigsten Mitteln errichtet und ohne fortwährende Investitionen betrieben, waren Infrastruktur und Fahrzeugpark bei all diesen, teilweise schon in zweiter Generation existierenden Betrieben, schon nach wenigen Jahren völlig heruntergerockt. So sind von den einst sieben Betrieben in Botoşani, Braşov, Constanta, Cluj, Craiova, Ploieşti und Reşiţa nur noch die drei Betriebe in Cluj, Craiova und Ploieşti übriggeblieben. Zuletzt erwischte es mit Botoşani 2020 und Reşiţa 2011 zwei Betriebe, die ich noch in Betrieb erleben konnte. Auch wenn sich alle sieben Betriebe nach dem Zusammenbruch der Diktatur noch einige Jahre mit Gebrauchtwagen über Wasser halten konnten, gab die Infrastruktur einen Fortbestand ohne grundlegende Sanierung bald nicht mehr her, nachdem die minderwertigen rumänischen Timis-Züge, V2A und V3A schon nach wenigen Jahren zu großen Teilen schadhaft abgestellt waren. Mit Cluj und Ploieşti gelang es in den 2010er Jahren nur zwei der sieben “neuen” Betriebe, die Infrastruktur während teilweise kompletter Betriebseinstellungen, in einer großen Kraftanstrengung vollständig zu sanieren. In Cluj konnte man inzwischen, wie zu Beginn der Reise gesehen, auch die Gebrauchtwagen vollständig durch eine neue Niederflurflotte ersetzten. Dieser Schritt steht in Ploiesti derzeit noch aus, momentan wird der Betrieb wie vor der Sanierung zu 100% von den robusten KT4D aus Potsdam geschmissen. Das Sorgenkind unter den drei verbliebenen “neuen” Betrieben dürfte damit Craiova sein, wo Teile der Strecke zwar saniert wurden, die Gesamtsituation sich aber nicht so rosig darstellt, wie in Cluj und Ploieşti. Aber dazu dann ab morgen mehr…
Das Netz in Ploieşti besteht heute noch aus den Linie 101 und 102, welche drei Äste bedienen. Interessanterweise wird die die Innenstadt tangierende Strecke zum Gara de Sud nur von der Linie 101 bedient. In Gegenrichtung geht es ab dem Dreieck an der Haltestelle Complex Nord, gemeinsam durch die Platte an den nördlichen Stadtrand zur Schleife Spitalul Judetean. Die Linie 102 ist praktisch allein dafür da, die großen Fahrgastströme in den ausgedehnten Plattenbausiedlungen zu bedienen und beschreibt vom Spitalul Judetean im Norden einen großen Bogen bis zum Gara Vest am westlichen Stadtrand. Beide Linien sind dabei zumindest in der HVZ etwa in einem 7 1/2-Minuten Takt unterwegs. So richtig dünn, wie bei manch anderem rumänischen Betrieb, wird der Verkehr aber den ganzen Tag über nicht.
Der Bulevardul Republicii, mit zahlreichen repräsentativen Gebäuden, ist das Revier der Trolleybusse. Die gesamte alte Flotte scheint durch diese farbenfrohen Trollino 12 der vierten Generation ersetzt worden zu sein.
Die andere Flanke der Innenstadt Richtung Bahnhof wird von der Straßenbahn mit der Linie 101 bedient. Hier geht es eher gemütlich zu, die Straßenzüge sind vom “Ceaușescu-Brutalismus” in Teilen verschont geblieben und schlängeln sich regelrecht durch die Stadt. KT4D 102 gehört zu den in Potsdam umfangreich modernisierten Fahrzeugen und gelangte 2002 in der zweiten Charge nach Ploieşti. Hier ist der Wagen als Linie 102 auf der Strada Ștefan cel Mare zwischen den Haltestellen Covurlui und Muzeuk de Istorie unterwegs.
Im weiteren Verlauf Richtung Bahnhof wird die Platte wieder präsent. KT4D 074 kommt als Linie 101 entgegen und erreicht wenig später die Haltestelle Covurlui. Zwischen 1996 und 1999 gelangten insgesamt 24 der äußerlich noch weitgehend originalen KT4D aus Potsdam nach Ploieşti. Ein weiterer folgte mit den modernisierten KT4D im Jahr 2002. Der Großteil der noch eingesetzten Fahrzeuge, macht trotz des langen Aufenthaltes in Rumänien, noch einen vergleichsweise guten Gesamteindruck.
Wir sind nun schon fast am Gara de Sud. Hinter der Brücke im Hintergrund knickt die Strecke im 90-Grad-Winkel nach rechts ab und erreicht die Endschleife am Bahnhof. Das noch sonnenbeschienene Plakat veranlasste uns derweil zu einer Aufnahme mit KT4D 090.
Etwas bizarr wirkte das Plakat dann an dieser Stelle zwischen tosendem Verkehr, Industrieanlagen und Platte irgendwie schon… 😉
KT4D 075 biegt in die Schleifenanlage am Gara de Sud ein. Während Bus und Trolleybus vor dem Bahnhof eine auffällige Stationsanlage aufweisen, wirkt die Straßenbahnendschleife ein wenig wie in der Ecke versteckt. Der vergleichsweise dichte Takt wurde immer wieder durch dicht aufeinander folgende Kurse durcheinander gewürfelt.
So folgt auf KT4D 075 umgehend KT4D 076, den ich nur seines Zustandes wegen noch extra zeige. Zu genau sollte man bei einigen der Tatras also auch nicht mehr hinsehen, sind die ersten Fahrzeuge doch nun schon bald 25 Jahre in Ploieşti und damit bedeutend länger, als einst in Potsdam, geschweige denn in Berlin. Dafür haben sich die Wagen, die ihre ursprünglich geplante Lebensdauer längst überschritten haben dürften, doch recht gut gehalten.
Die bereits erwähnte Bushaltestelle befindet sich prominent direkt vor dem Bahnhofsgebäude. Solaris 5937 nimmt als Linie 202 die ersten Fahrgäste auf.
Die Dachkonstruktion der Stationshalle ist durchaus bemerkenswert.
Vor dem Bahnhof laden großzügige Wasserspiele zu verschiedensten Blickwinkeln ein. Auch der Trolleybus lässt sich mit ins Bild bringen.
Langsam wandert ein Hochhausschatten in die Szenerie. Trollino 12 5941 bekommt aber noch ausreichend Sonne ab.
Gara de Sud. 2015 waren wir hier am Morgen zu einer tagesfüllenden Bahnfahrt nach Botosani aufgebrochen. Durch die Einstellung blieb uns dieses Jahr beides erspart: Die elendig lange Bahnfahrt genauso wie der Besuch in Botosani selbst…
An einem der kleinen Gebäckstände vor dem Bahnhof hatten wir uns eine Tüte mit solchen leckeren kleinen Gebäckstückchen geholt. Eine Art Blätterteig, aber nicht so trocken, gefüllt mit ein wenig einer Puddingcreme oder ähnlichem. Super lecker und der perfekte Snack für zwischendurch, um bis Licht aus noch ein wenig “arbeiten” zu können. Sowohl an der großen Bushaltestelle, als auch bei der Abfahrtshaltestelle der Tram gab es sogar Ticketautomaten, an denen man anders als in Brăila sogar Tageskarten erstehen konnte. Das war doch endlich mal ganz einfach gewesen und wir würden nicht ständig diese VISA-Einzelfahrten in den Bahnen ziehen müssen. Unklar blieb, ob das Ticket nun bis Betriebsschluss oder 24 Stunden gültig wäre. Wir würden uns zur Sicherheit für das kleine Geld morgen einfach neue ziehen.
Nach den ungeschliffenen Rumpelgleisen in Cluj und den abgerockten Wagen in Iaşi, war die Mitfahrt hier in Ploieşti eine echte Wohltat: Die Gleise lagen wirklich exzellent und mit den spurtstarken Tatras ging es flott und ohne ewiges Gebummel an Kreuzungen von Station zu Station. So macht das Spaß!
Am großen Markt an der Haltestelle Hale sprangen wir dann aber doch gleich wieder ab, zu schön schien hier die Sonne noch in die Straße abseits der “Standard-Plattenbauten”. Nach einem Wolkenschaden kam dann der modernisierte KT4D 102 durch. Da hatte sich das Warten gleich doppelt gelohnt, denn ein wenig gehen die modernisierte KT4D mit den typischen eckigen Scheinwerfern doch unter im Betrieb.
Kurz vor der Haltestelle Hale tangiert KT4D 102 den großen, klassischen Markt im Zentrum der Stadt.
Dann sollte nicht mehr viel gehen. Die Sonne stand an den meisten Stellen einfach zu ungünstig und warf entsprechend lange Schatten. Vom Dreieck Complex Nord fuhren wir noch mit der Linie 102 zum Gara Vest. Die Strecke war eher nichtssagend. Die Mitfahrt allein machte aber schon einen großen Spaß. Die Wagen waren inzwischen angenehm leer und der KT4D raste wirklich von Station zu Station, als wäre der Teufel höchstselbst hinter ihm her. Die Türen wurden noch während des Bremsens geöffnet und während des Schließens wurde schon munter angefahren wie sich das gehört auf einer gut ausgebauten Strecke durch die Platte. Ein letzter Sonnenspot ergab sich noch am Gara Vest, dann war das Licht aus.
KT4D 075 verlässt im letzten Licht die Endschleife am Gara de Vest für eine weitere Runde auf der 102 zum Spitalul Judetean.
Nächster und letzter Tagesordnungspunkt: Essen. Wir hatten heute Lust auf “was anderes”. Also weder Pizza/Pasta noch klassisches “Drei-Komponenten-Essen” à la Grillteller oder Schnitzel. Eigentlich hatten wir hier draußen auf eine Art Mall mit Fressmeile gehofft. Trotz diverser Supermärkte und mehrerer Unterzentren war so etwas aber nicht auszumachen. Was in der Karte als West Mall verzeichnet war, stellte sich als Bürogebäude heraus. Also wieder in die 101 umgestiegen und zurück in die Stadt. Mangels vorhandener Mobil-Daten – mein Zusatz-Volumen funktionierte irgendwie immer noch nicht – befand sich die Aufgabe der Essenssuche nun weitgehend außerhalb meiner Verantwortung. So richtig war nicht auszumachen, wo denn in Ploieşti die “Fressmeile” ist. Von der Haltestelle Muzeul de Istorie wurde ich aber zielgerichtet zu einem Wok geleitet. Der war wirklich gut versteckt in einer recht dunklen Straße. Da wäre man ohne App niemals auf die Idee gekommen, dort auf der Suche nach Essen entlang zu laufen. Der Wokul Magic war aber wirklich top. Ein schön eingerichteter ruhiger Innenhof und eine Speisekarte die dann wirklich mal “was anderes” bereithielt. Wir wählten frische Frühlingsrollen und einen Nudelwok mit Gemüse und Entenstreife. Wie wir es schafften, das auf rumänisch zu wählen? Mit einer genialen App, die per Kamera den Text auf der Karte in Echtzeit scant und auf so etwas ähnliches wie Deutsch übersetzt. Hilft doch ungemein, wenn man teilweise wirklich nichts halbwegs übersetzten kann, was im rumänischen glücklicherweise nicht ganz so häufig vorkommt. Das Ergebnis war doch sehr lecker, garniert von einem frisch Gezapften. Das war wirklich super gemütlich hier, genau das Gegenteil zu unserem Restaurant am tosenden Kreisverkehr gestern Abend – aber irgendwie hatte beides etwas für sich 😀
Im Mai wird es dann bei klarem Himmel aber doch noch recht frisch am Abend, sodass wir die lauschige Lokalität auch bald nach dem Essen verließen und unser Hotel aufsuchten.
Morgen werden wir dann noch bis Mittag an der Straßenbahn von Ploieşti verbringen, bevor es weiter nach Craiova geht – und irgendwie müsste ich mein Internet mal wieder ans Laufen bringen…
Donnerstag, 12. Mai 2022 I:
Das Buffet des Hotel Central sollte heute Morgen wirklich keine Wünsche offenlassen und belegte auf jeden Fall eine der, wenn nicht die Spitzenpositionen dieser Tour. Es gab praktisch alles, was man sich so wünschen konnte und viel mehr, als es zum Sattwerden gebraucht hätte. Im Grunde hätte man zum Mittag wiederkommen können 😀 Der Frühstücksraum war auch erstmals auf dieser Reise wirklich gut gefüllt und das auch erstmals überwiegend mit Touristen. Ploieşti scheint gewissermaßen die erste Anlaufstation und Ausgangspunkt für den internationalen Tourismus im ganzen Land zu sein, ist die Stadt vom Flughafen Bukarest doch in Kürze zu erreichen und man spart sich das Moloch von Millionenstadt, wenn man dort nicht explizit hinmöchte. Es herrschte also ein buntes Treiben, wir hatten aber noch einen Tisch ergattern können und bedienten uns reichlich, würde das doch vorerst wohl bis zur Weiterfahrt am frühen Nachmittag genügen müssen.
“Unser” Hotel Central direkt am zentralen Bulevardul Republicii. Für ein Eckzimmer hat es nicht gereicht und auch die Zimmerdecke war für Economy-Reisende wie uns in der dritten Etage nur noch auf Standardhöhe. Das großzügige Frühstücksbuffet stand aber auch für uns uneingeschränkt zur Verfügung 😀
Der Bulevardul Republicii hat schon einige brutalistische Schmuckstücke vorzuweisen, wie dieses Einkaufszentrum gegenüber vom Kulturpalast auf dem Weg zur Trolleybushaltestelle.
Zimmer geräumt, bezahlt und schonmal die Sachen ins Auto geschmissen. Nach einigen Tagen Reise inzwischen längst wieder Routine. Die Trolleybushaltestelle wies dann sogar einen identischen Fahrscheinautomaten auf, wie gestern am Bahnhof, wo wir uns die Tageskarten gezogen hatten. Da unklar war, ob die noch Gültigkeit besaßen, zogen wir uns einfach zwei Neue – das würde den Braten nun wirklich nicht mehr fett machen. Was den Braten dann aber doch fett machte, war die unglaubliche Verschwendung des Mitreisenden beim Bezahlen: Während wir meinen Fahrschein noch passend bezahlen konnten, wurde der zweite Fahrschein um einen Lei überbezahlt. Wechselgeld gab es aber nicht. Stattdessen schmiss der Automat tatsächlich einen zweiten “Fahrschein” aus, auf dem uns ein “Credit” von einem Lei bescheinigt wurde. Am Automaten selbst ließ sich dieser Credit allerdings gar nicht einlösen, auch nicht beim Kauf eines weiteren Fahrscheins. Was war damit also anzufangen? Wahrscheinlich müsste man irgendwo die letzte besetzte Verkaufsstelle des Verkehrsbetriebes ausfindig machen und sich den Credit dann beim nächsten Fahrscheinkauf anrechnen lassen. Was für ein genialer Streich. Naja, immerhin spuckte der Automat keine ägyptischen Kaugummis als Wechselgeld aus… 😀 Ob ich die 20 verschwendeten Cent aber in der Endabrechnung dieser Reise noch geltend mache, werde ich mir genau überlegen. Das gibt einen halben Stern Abzug in der Google-Bewertung 😀
Mit dem Trolleybus ging es dann jedenfalls den Bulevardul Republicii und den Bulevardul Independenței zum Gara de Sud hinunter. Ich widmete mich sogleich mal der gestern schon erwähnten, etwas am Rand neben dem Bahnhof “versteckten” Endschleife der Tram.
Um einen kleinen Markt herum wendet die Straßenbahn neben dem Gara de Sud. Hinter den Buden befindet sich die zweigleisige Endhaltestelle. KT4D 087 setzt zu einer weiteren Runde ein und erreicht gleich die Abfahrtshaltestelle.
Wenig später nimmt KT4D 088 an der Abfahrtshaltestelle auf der anderen Straßenseite die ersten Fahrgäste auf. Beachtenswert ist der seltsame Stromabnehmer des KT4D. Wo die Werkstatt den wohl ausgegraben hat? Die Timis- und V3A/V2A-Triebwagen hatten in Rumänien jedenfalls zum Schluss eigentlich schon Einholmstromabnehmer.
Nachdem wir es am Gara de Sud gesehen hatten, fuhren wir zwei Stationen mit in den gemütlich urbanen Abschnitt zwischen den Haltestellen Covurlui bis zur auf den Bulevardul Rebublicii zulaufenden Strada Gheorghe Doja. Das Licht war schön und dieser kurze Streckenabschnitt sehr abwechslungsreich, sodass wir uns hier die nächsten 1 1/2 Stunden von Motiv zu Motiv treiben ließen. Im nächsten kleinen Profi-Markt, der aber groß genug war um ausreichend Wechselgeld zu haben, zerlegte ich beim Getränke- und Bananenkauf derweil mal einen meiner letzten großen Scheine, um für etwaige Tageskarten- oder Proviantkäufe, die in Bargeld abzuwickeln wären, wieder gerüstet zu sein.
Gleich nach dem Aussteigen an der Haltestelle Covurlui kommt KT4D 095 entgegen Richtung Gara de Sud.
An der nächsten Ecke – ich taufte sie “Murphys Corner” – kommt KT4D 072 Richtung Gara de Sud durch. Der Grund meiner seltsamen Bezeichnung: Dies war nicht der erste, sondern der insgesamt vierte Versuch an diesem Motiv. Stets herrschte hier ein ganz beschauliches Treiben und in Straße war kaum etwas los. Sobald dann aber der nächste KT4D auftauchte, schossen plötzlich aus allen Ecken Autos und Menschen hervor und standen oder fuhren quer im Bild. Als dann keine Autos kamen, schoss Bruchteile nach dieser Auslösung eine entgegenkommende Bahn von hinten ins Bild – es war wie verhext… Aber noch mehr Zeit wollte ich nicht verschwenden und mit dem Schatten auf dem zweiten Wagenteil konnte ich dann doch ganz gut leben.
An der nächsten Häuserecke, schon fast bei der Haltestelle Museul de Istorie, kommt einer der modernisierten KT4D entgegen. Mehrere Fahrzeuge tragen künstlerische Bemalungen, darunter mindestens zwei der Modernisierten.
Hinter der Haltestelle Muzeul de Istorie geht es wieder einige Meter auf belebtere Straßen mit “Standard-Platte”, bevor der große Markt folgt. Hier kommt KT4D 074 auf der Strada Ștefan Greceanu zwischen den Haltestellen Hale und Muzeul de Istorie entgegen. Abseits vom bereits erstaunlich verbreiteten Dacia Spring, steckt die individuelle E-Mobilität auf Gummireifen in Rumänien noch etwas in den Kinderschuhen – so gehört auch einer der wenigen gesichteten ID.3 zu einem Sharing-Anbieter.
Weiter auf der Strada Ștefan Greceanu wird im Hintergrund der große zentrale Markt von Ploieşti erreicht. Auch hier bieten sich spannende Motive, wie dieses an den Markt angrenzende Eckhaus mit KT4D 079 Richtung Gara de Sud.
Ein kurzer Blick an die Eingänge der großen Markthalle
Hinter dem Markt spült es die Strecke auf die boulevard-ähnliche Strada Gheorghe Doja im Hintergrund, welche wiederum in den Bulevardul Republicii mündet. Über die Blumenrabatten einer kleinen Verkehrsinsel sehen wir KT4D 086.
Auf der Strada Gheorghe Doja geht es dann schon wieder sehr boulevardesk zu. Entscheidender Unterschied zu vielen anderen Städten: Seit der Generalsanierung Mitte des letzten Jahrzehnts hat die Straßenbahn hier in Straßenmitte einen eigenen Bahnkörper samt vor Überfahren schützendem Bordstein. Sogar der Versuch eines Grüngleises wurde hier angestellt, wohl eher aber, um entsprechende Fördertöpfe in Anspruch nehmen zu können. Auf seit Tagen ungeahnt guter Gleislage kommen hier die KT4D vor dem Palatul de Justice entlanggerast, wie 093 auf dem Weg zum Bahnhof.
Detailstudie an der für den Ceaușescu-Betonwahn so repräsentativen Ecke Strada Gheorghe Doja / Strada Vasile Conta.
Für den neuzeitlichen Glas-Wahn steht derweil der Palatul de Justitie, auch wenn das Design des Gebäudes durchaus zu gefallen weis.
Ein Dacia-Taxi hat neben dem Palatul angelegt und wartet auf einen Fahrgast. Wenn dieser jedoch im Prozess verknackt wurde, kann das Warten lange dauern… Davon unbeeindruckt zieht KT4D 071 am Justizpalast vorbei.
Das noch fast achsige Licht Richtung Bulevardul Republicii lud zu ein wenig Tele-Spielereien ein. Dabei kommt im Hintergrund der Ceaușescu-Brutalismus entlang des Bulevardul Republicii schon hervoragend zum Tragen.
Das Hochlicht übernahm jetzt gegen elf doch langsam Überhand. Und ewig wollten wir ja auch nicht mehr in Ploieşti verweilen. Zumindest die Streckenbereisung wollten wir aber noch vervollständigen und nahmen den nächsten 101er zur noch nicht bereisten Endschleife Spitalul Judetean. Die von beiden Linien befahrene Strecke führt ab dem Dreieck weiter durch dicht bebaute Plattensiedlungen, wenn auch nicht mehr so erschlagend wie am Bulevardul Republicii. Die Endschleife liegt dann aber im wörtlichsten Sinne am Ende. Dahinter kommt nicht mehr viel Stadt und der Verkehr geht langsam in Überlandgeschwindigkeit über. Danach ging es einmal ganz hinüber zur anderen Schleife der Linie 102 am Gara de Vest, wo wir gestern Abend schon waren. Aber auch heute sprangen uns hier draußen nicht wirklich Motive ins Auge, für die sich große Aktionen gelohnt hätten. Der abwechslungsreichste Abschnitt ist wirklich die Strecke der 101 vom Gara de Sud bis zum Bulevardul Republicii. So beließen wir es hier nun bei der kleinen Endschleifentour, langsam wurde es auch ordentlich warm. Die Bahnen waren derweil gut gefüllt mit zwischen Wohnen, Einkaufen und Schule wechselnden Fahrgästen. Dass die 102 gar nicht in die Stadt fährt, sondern ausschließlich hier draußen verläuft, hat also durchaus seine Berechtigung. Für die Verbindung in die Innenstadt steht ansonsten ja auch noch der Trolleybus bereit.
In der Endschleife Spitalul Judetean enden sowohl die 101, als auch die 102. Die eingleisige Schleife war teils so voll, dass die letzte Bahn gar nicht mehr von der Endhaltestelle abrücken konnte. Erst an der Abfahrtshaltestelle wird es dann zweigleisig, vorgerückt wird aber trotzdem erst im letzten Moment, anstatt die zwei Abfahrtsbahnsteige zu nutzen, um den Rückstau in der Schleife etwas zu verkürzen.
Hinter der Endschleife endet die Bebauung abrupt. Hier kommt dann wirklich nicht mehr viel Stadt.
KT4D 088 mit dem seltsamen Stromabnehmer rückt als 102 zur Abfahrtshaltestelle vor. Offensichtlich finden hier also auch Linienwechsel statt, ein richtiges System war auf die Schnelle aber nicht erkennbar.
An Bord von KT4D 088 sind noch immer 60 DM fällig, sollte man ohne gültigen Fahrausweis erwischt werden. Tatsächlich fand auf eben jener Fahrt auch eine Kontrolle statt. Den Blick hätte ich gern gesehen, wenn wir feierlich 60 DM aus der alten Mottenschublade überreicht hätten. Wobei ich wohl höchstens noch einige Münzen zusammenkratzen könnte, zur Zeit der D-Mark habe ich noch nicht großartig mit Scheinen “gehandelt”…
Angekommen am Gara de Vest, wo der Stromabnehmer vor dem blauen Himmel noch mal richtig zur Geltung kommt. KT4D 088 und 086 pausieren hinter der Endhaltestelle bis es Zeit für die nächste Runde ist. Die klassischen “Tatra-Ölspuren” sind noch allgegenwärtig. Abgesehen von einigen Fahrzeugen, die einfach das Ende einer KT4D-Lebensdauer erreicht hatten, hinterließ der Betrieb aber einen ausgezeichneten und gepflegten Eindruck.
KT4D 086 rückt durch die Schleife zur Abfahrtshaltestelle vor. Der Westbahnhof befindet sich auf der linken Seite. Für ein abrückendes deutsche Altdieselgefährt reichte die Zeit leider nicht mehr, um auf den richtigen Bahnsteig zu wechseln. Danach stand in den folgenden Minuten erstmal keine Zugbewegung an, sodass es wieder zurück ging.
Für die Rückfahrt hatten wir jetzt nur noch den großen Kreisel am Piața Mihai Viteazul auf dem Zettel, wo die Straßenbahn von der Strada Gheorghe Doja kommend auf den Bulevardul Republicii trifft. Dort nimmt der gleichermaßen eindrucksvolle wie menschenfeindliche Ceaușescu-Brutalismus seinen Höhepunkt und muss sich durchaus nicht vor der nahen Hauptstadt verstecken. Gibt es in der Hauptstadt allerdings dutzende solcher Plätze mit den Viertelrund-Fassaden der Betonhochhäuser außen herum, ist der Piața Mihai Viteazul in dieser reinsten Form diese “Architekturstils” in Ploieşti doch eher einmalig.
Vom Piața Mihai Viteazul ausgehend erstreckt sich zwischen der Strada Gheorghe Doja und dem Bulevardul Republicii eine kleine Parkanlage mit gigantischer Rumänien-Flagge.
Der Piața Mihai Viteazul muss sich vor der nahen Hauptstadt durchaus nicht verstecken. Ganze Straßenzüge und Stadtviertel wurden in den rumänischen Städten unter dem Regime von Nicolae Ceaușescu planiert und anschließend neu hochgezogen. Das Bild der dabei entstandenen Boulevards und Plätze bezeichne ich gern als “Ceaușescu-Brutalismus”, auch wenn es diesen Begriff offiziell wohl nicht geben dürfte. Besonders “beeindruckend” – wenn dieser Begriff für diese menschenfeindliche Architektur denn überhaupt zutreffend sein kann – ist diese Architektur natürlich in Bukarest. Aber auch in Ploiești hat sich der Diktator mit dem Bulevardul Republicii ein Denkmal gesetzt, das der Hauptstadt kaum nachsteht. Am Piața Mihai Viteazul im Verlauf des Bulevardul Republicii, erreicht der betonierte Wahnsinn seinen Höhepunkt, mit den jeweils ein Viertel des Platzes umrandenden Gebäudefronten, von denen zwei Viertel hier im Hintergrund zu sehen sind.
Die riesige Flagge vor dem Betonensemble war mir noch eine eigene Aufnahme wert.
Damit hatten wir dann fertig mit der Straßenbahn von Ploieşti. Vom Muzeul de Istorie liefen wir wieder hinüber zum Bulevardul Republicii am Kulturpalast. Bevor es jetzt aber auf die abermals nicht ganz kurze Etappe nach Craiova gehen sollte, wollten wir noch eine Kleinigkeit zu Essen suchen. Das Einkaufszentrum gegenüber des Kulturpalastes war irgendwie seltsam unbelebt und wenig einladend. Also durch die Unterführung wieder zurück auf die Seite des Kulturpalastes. Neben dem eindrucksvollen Brutalismus-Gebäude des Verwaltungssitzes, gab es zumindest einen McD, wo wir auf eine Kleinigkeit und einen Kaffee einkehren konnten. Dummerweise schaffte es McCafé nicht, aus dem Bestellautomaten die Information des Vorort-Verzehres herauszulesen, während das den Kollegen mit unserer Teilbestellung bei McD problemlos gelang. So sah ich dann nach dem Essen mal am McCafé Tresen vorbei, wo denn die Capuccino geblieben war. Dort standen zwei zum Mitnehmen, die dann wohl unsere waren. Naja, konnten wir den zur Mittagszeit heillos überfüllten Laden wenigstens verlassen und den Kaffee draußen in der kleinen Parkanlage trinken. Dank der Thermobecher war der auch erst auf eine angenehm trinkbare Temperatur herabgesunken. Nebenbei entstanden dabei auch noch einige Studien der kleinen Grünanlagen vor dem Verwaltungssitz.
Die Büste dieses Herren hat ihren Platz an der kleinen Grünanlage vor dem Verwaltungssitz gefunden und beobachtet uns argwöhnisch beim Kaffeetrinken.
So gestärkt konnte es dann weitergehen. Einmal noch über den Bulevardul Republicii zum Auto und schon machten wir uns auf den Weg nach Craiova, wo es dann im nächsten Teil weitergeht.
Ploiești hatte bei uns doch einen durchaus positiven Eindruck hinterlassen. Sowohl was die sanierten Straßenbahnanlagen angeht, als auch die Stadt selbst. Besonders wenn man an einigen anderen Orten sieht, wie es wenige Jahre nach einer “Sanierung” wieder um die Infrastruktur beschert ist – Grüße gehen raus nach Craiova – scheint es hier doch ein recht nachhaltiger Erfolg gewesen zu sein. Und scheinbar verfügt man auch über irgendeine Art Schleifwagen – Grüße gehen raus nach Cluj 😉
Auch die Stadt selbst machte irgendwie einen besseren Eindruck, als in den letzten Tagen die Industriestädte im Osten des Landes. Liegt vielleicht auch daran, dass das hiesige Zentrum der Rumänischen Erdölraffinerie mit den bekannten großen Betreibern noch immer aktiv ist und entsprechend Geld in die Kassen spülen dürfte, während die einstige Industrie im Osten weitgehend brach liegt. So ist die Stadt trotz oder vielleicht gerade wegen zahlreicher “Bausünden” aus Zeiten der Diktatur irgendwie auch interessant anzusehen, weil eben auch diese brutalistischen Baudenkmäler nicht verwahrlosen wie anderswo, sondern gut gepflegt wirken. Vielleicht kommt man also mal wieder, wenn hier die ersten Niederflurwagen rollen…