2. Chance für Rom I: Prolog und über Bern nach Milano

Schon lange steht Italien bei mir etwas weiter oben auf der Liste der Reiseziele. Ganz weit oben natürlich das noch nie besuchte Rom. In diesem ersten Teil geht es nach dem Prolog schon einmal über Bern nach Mailand.


Endlich wieder ein Reisebericht an dieser Stelle und demnächst hoffentlich wieder in altbekannter Frequenz, denn es steht einiges an in den nächsten Wochen. Aber fangen wir am Anfang an – mit Italien:

Prolog

Was soll angefangen werden mit dem neuen Jahr? Diese Frage stellt sich meist irgendwann um den Jahreswechsel, wenn es langsam Zeit wird, über einen etwaigen Winterurlaub nachzudenken. So richtig eine Idee für den Winter hatte ich aber nicht – klar, gäbe es das ein oder andere Ziel, aber irgendwie nichts, was dann wirklich unter den Fingernägeln brennen würde.

Also mal etwas weitergedacht und das erste Halbjahr 2023 in den Horizont aufgenommen. Ganz oben steht ja schon seit langem Norwegen. Für Oslo wäre es jetzt wohl die letzte Chance, bevor die neuen CAF’s die Überhand gewinnen. Aber ein wenig Recherche bezüglich möglicher Unterkünfte etc., brachte dann doch schnell Ernüchterung: Die Tage in Finnland hatten ja letztes Jahr schon ordentlich ins Jahres-Reisebudget gescheppert, aber Oslo war definitiv noch einmal eine andere Nummer. Einfach jenseits von Gut und Böse, wenn sich nicht gerade Mitreisende finden, mit denen die Zimmerpreise geteilt werden können. Da es danach nicht aussah, wurden Oslo und Trondheim schnell begraben. Natürlich wird man jetzt fragen: Fährt der nicht jedes Jahr mehrmals in die Schweiz. Schon richtig, aber dort übernachte ich auch nie in Zürich, Genf oder Bern, sondern irgendwo in Gasthöfen auf dem Land. Das wäre mit einer Zugreise in die Städte Norwegens – Bergen wäre ja durchaus auch noch ein drittes Ziel – eher nicht zu verbinden (Spoiler: Da kommt doch noch was, denn irgendwie juckte Oslo dann doch zu sehr, aber dazu später mehr…). Also was machen mit den schönen Reisemonaten April oder Mai? Auch eine Tour Wien -> Graz -> (Bratislava) -> Budapest hätte durchaus mal wieder gereizt. Überall gab es viel Neues zu sehen und auch viel Altes noch einmal zu erleben. Aber ganz neu wäre mir keine der vier Städte und zudem hätte ich dafür einen potenziellen Mitreisenden auf dem Zettel, bei dem es sich vorerst aber nicht ausgehen würde in der ersten Jahreshälfte.

Schon im Dezember war aber etwas ganz anderes wieder auf dem Schirm erschienen, mit der Aufforderung von .italo, doch bitte meine zweimal verlängerten Gutscheine verfallen zu lassen, oder in Geld umzuwandeln. Die Wahl fiel da natürlich nicht schwer 😀 Die Tickets resultierten noch von einer für das Frühjahr 2020 bereits fertig geplanten und mit Zügen und Hotels komplett durchgebuchten Reise zu zweit nach Turin, Mailand und Rom. Bekannte Gründe führten natürlich dazu, dass diese Reise im März 2020 niemals stattfinden sollte…
Mit der Zeit trudelten in 2020 auch alle Buchungen wieder als Erstattung auf dem Konto ein und wurden hälftig an den zweiten Teil der Reisegruppe weitergeleitet. Einzig die bei .italo gebuchten Inlandsfahrten Mailand-Rom, Rom-Turin und Turin-Mailand gab es nicht direkt zurück. Ich erhielt hierfür auf einfachem Wege lediglich Gutscheine. Ansonsten hätte ich mich in die italienische Hotline hängen müssen – so groß war der Leidensdruck angesichts der günstigen Frühbuchertickets aber nicht. Zweimal wurde der Gutschein dann noch verlängert, ehe ich dann im Dezember 2022 die Nachricht erhielt, dass ein Refund jetzt auch einfach über ein Online-Antrag möglich wäre. Sehr gut, darauf hatte ich gewartet und zwei Wochen später war auch die letzte offene Rechnung mit Italien zurück auf dem Konto.
Lange Rede kurzer Sinn: Italien hatte sich damit wieder ins Gedächtnis gerufen. Und hatte es nicht eine 2. Chance mehr als verdient, nachdem es jetzt alle seine offenen Rechnungen beglichen hatte? Unbedingt! Denn irgendwie juckte es jetzt doch wieder. Die italienischen Städte Turin, Mailand und Rom sind einfach sowohl aus Straßenbahnsicht, als auch abseits davon spannend. Letztere der drei hatte ich noch nie besucht, was natürlich eine gigantische Lücke in meinem Reisekatalog darstellt. Und auch Mailand und Turin lagen nun schon 13, bzw. 11 Jahre zurück. Alle drei Betriebe können mit unzähligen Motiven und noch immer urigen Altfahrzeugen, ebenso wie mit abgerockten Niederflurwagen aufwarten. Da ist der Fotospaß doch vorprogrammiert!

Die alte Planung von 2020 wurde also unter dem digitalen Staub hervorgeholt und modifiziert. In der Hoffnung, dass spätestens mit dem 7. April dann auch in deutschen Fernverkehrszügen die Maskenpflicht fallen würde (sieben Stunden Maske brauche ich dann doch nicht im Urlaub…), wurde die Tour erneut samt Anreise mit der Bahn geplant – was soll man auch auf einer italienischen Städtetour mit einem Auto? Zudem sind die Verbindungen aus Braunschweig auch wirklich sehr attraktiv, kommt man doch in der Regel mit zwei bis drei Umstiegen (im Optimalfall gar mit nur einem in Frankfurt) bis nach Mailand und das in nur 13 Stunden wenn man durchzieht. Etwas Optimierungspotenzial lag dann aber wieder in den angebotenen Verbindungen. Hauptproblem ist sowieso, dass sich der EC Frankfurt-Mailand bei der DB gar nicht buchen lässt: “Gehen sie zu ihrem DB-Reisezentrum”. Nein danke, dass Geld und die Zeit kann ich besser verwenden. Warum lässt sich ein EC, der mitten in Deutschland startet, nicht bei der DB buchen, aber bei der SBB und trenitalia? Ja, wahrscheinlich weil das deren EC ist, aber trotzdem: Will man dem Flugverkehr auf solchen Distanzen irgendwas entgegensetzen, muss das einfach möglich sein. Und mit nur einem Tag Anreise ist die Bahn zumindest im Urlaub für mich noch klar konkurrenzfähig zum Flugzeug. Funfact an dieser Stelle: Mit trenitalia ließe sich dann natürlich die Fahrt Braunschweig-Frankfurt nicht mitbuchen. Einzig bei der SBB wäre die ganze Tour Braunschweig-Mailand buchbar gewesen, allerdings zu einem erstaunlich hohen Preis. Wie sich herausstellte, lag dies wohl daran, dass man beim Buchen über die SBB den Supersparpreis der DB im Fernverkehr nicht absahnen konnte. Und der ist wirklich ein Knaller: Für 19,90 Braunschweig-Interlaken, da legt man glatt noch nen Zehner für die 1. Klasse oben drauf. Bis Interlaken wollte ich nicht, aber zumindest so weit wie möglich, denn nächste Hürde: Einen solchen Sparpreis gibt es für den EC natürlich nicht. Entsprechend erhöhen sich die Kosten vergleichsweise stark, je länger man die Strecke Frankfurt-Mailand mit dem EC fährt. Problem war jetzt natürlich, dass ich bei Tickets über verschiedene Anbieter keine Anschlussgarantie hatte, entsprechend würde ich in die Röhre (oder den Grund des Geldbeutels?) schauen, wenn ich es bei einer guten halben Stunde Umstieg auf den EC nicht schaffen würde. Und eine halbe Stunde bei einem ICE der einmal komplett Deutschland der Länge nach durchmisst – Peanuts. Also einen Zug früher? Das verhinderte eine Baustelle zwischen Offenburg und Basel, die nur eine Handvoll Fernverkehrszüge aus meiner Gegend am Tag durchließ. Also den EC am Abend nehmen und eine längere Pause unterwegs einlegen. Schnell war Bern ausgemacht, dem ich schon seit Jahren mal wieder eine Aufwartung machen wollte. Mit gut fünf Stunden Aufenthalt ließe sich doch bisschen was anfangen, schließlich liegt der Hauptbahnhof hier auch mitten in der Stadt.

Vor dieser Planung hatte ich schon etwas im Kalender herumgeschoben. Aus der 2020er Planung konnte ich die Reisedauer von 9 Tagen übernehmen – das passte noch immer. Zeitlich durfte es natürlich nicht auf Ostern fallen, da ist in Rom der Teufel los (ach ne, der Pabst) und Fahrkarten und Unterkünfte überall gleich unbezahlbar. Das letzte Aprilwochenende war privat geblockt. Blieb eigentlich gar nicht mal mehr so viel Spielraum, sodass es am Ende auf die Zeit von Mittwoch den 12. April bis Donnerstag den 20. April fiel.

Die Anreise war ja nun schon Thema. Anschließend wären eineinhalb Tage Mailand, dann drei volle Tage Rom und nach der Rückfahrt in den Norden noch einmal eineinhalb Tage Turin geplant, bevor es am neunten Tag zurück ginge. In erster Linie sollte diese Reise damit schwerpunktmäßig Rom gelten, aber auch auf Mailand und Turin war nach den Jahren die Vorfreude groß. Die Rückfahrt war dann auch wieder ein ähnliches Buchungsprozedere, diesmal aber zum Glück mit weniger Einfluss durch die Baustelle. Also wieder möglichst kurz auf dem EC und möglichst weit mit dem DB Supersparpreis, gebucht wieder bei trenitalia und der DB. Aus Richtung Italien/Schweiz hatte ich auch wesentlich kleinere Bedenken bezüglich dem Funktionieren des Anschlusses, diesmal in Basel SBB – an dieser Stelle kann ich jetzt im Nachhinein nur herzlich lachen, dazu später mehr 😉
Einige Tage später wurden dann noch die Inlandsfahrten bei .italo gebucht, weil einfach am günstigsten, wenn man ungefähr mit dem Tag der Freischaltung den höchsten Frühbucherrabatt mitnimmt. Noch die Unterkünfte gebucht, allerdings stornierbar – man weiß ja nie in den letzten Jahren und die nicht stornierbaren Fahrkarten waren neben den Übernachtungen doch ein verschwindend geringer Kostenpunkt. Damit war die gesamte Planung im Grunde schon Mitte Januar abgeschlossen und lag fertig durchgebucht in der digitalen Schublade. Kommt mir irgendwie bekannt vor – hoffentlich würde Rom seine 2. Chance nun auch nutzen…

Spannend wurde es die Wochen zuvor dann noch durch den Streik der EVG. Zunächst gab es aber bis Mitte April nach Ostern einen Waffenstillstand und so war im Vorhinein zum Reisebeginn für den 12. April nichts der Gleichen angekündigt. Hin würde es also schon einmal gehen. Zurück würde es dann wieder interessant werden, aber ich hatte zur Not ein Wochenende Puffer hinter der geplanten Reise, also auch kein Problem.


Mittwoch, 12. April 2023: Anreise über Bern nach Milano

Die Westfalenbahn sollte mich schon um 4.20 Uhr von Braunschweig nach Hannover bringen heute Morgen. Reichlich früh, aber über das Osterwochenende hatte sich schon eine wunderbare Grundentspannung und Vorfreude eingestellt und so war es keine große Anstrengung, dem Ruf des Weckers zu folgen und das Auto auf 4 Uhr zum Bahnhof zu bringen. Immer wieder der Vorteil des Braunschweiger Hauptbahnhofes: Man wird dort abseits der Kernzeiten das Auto in nächster Nähe los und kann es einfach kostenlos ewig stehen lassen. Ob es nach der Reise dann auch noch da steht, ist natürlich immer eine andere Frage, wissen doch sicher auch gewisse andere Kreise, dass die Fahrzeuge dort gern mal viele Tage im Dunkeln auf die Rückkehr ihrer Lenker warten 😀


Die Caterer am Hauptbahnhof Braunschweig werden bereits beliefert, ansonsten herrscht hier um 4 Uhr doch eine ungewohnte Stille.


Nur einige wenige Fahrgäste haben sich für die 4.20 Westfalenbahn nach Hannover am Gleis 5 eingefunden, ansonsten ist es noch menschenleer.

Am Hauptbahnhof herrschte noch absolute Nachtruhe, einen ersten Versorgungshalt würde es aber schon nach kurzer Fahrt beim Umstieg in Hannover geben. Die Westfalenbahn verließ pünktlich um 4.20 Uhr Braunschweig und um 5.30 Uhr öffneten im Hauptbahnhof Hannover auch die ersten Bäcker, sodass ich mir vor der Abfahrt meines ICE 275 nach Interlaken Ost noch den ersten Kaffee und etwas Verpflegung holen konnte, für den Fall, dass die Bordgastronomie unter etwaigen Defekten leidet…
Der erste Aufreger folgte dann gleich zur Einfahrt des Zuges: Wie direkt von der ersten Seite des Bahn-Klischee-Buches entnommen, wurde quasi mit der Einfahrt des ICE der Bahnsteig von Gleis 12 auf 4 geändert, was den Sturm sämtlicher Fahrgäste durch die Unterführung zur Folge hatte. Netterweise auch ohne Bahnsteigdurchsage, sodass ich es erst fast nicht mitbekommen hätte, da ich weit hinten im Abschnitt der 1. Klasse doch recht allein wartete. In der App wurde nach der Abfahrt dann auch auf den Bahnsteigwechsel hingewiesen. Begründung: Bauarbeiten – Aha…
Der Platz auf meinem Einzelsitz in der 1. Klasse war dann aber schnell gefunden. Beim ICE 4 warnt einen die DB ja sogar selbst schon bei der Platzreservierung vor den gefürchteten “Wandfensterplätzen” – wirklich eine nette Implementierung, die eigentlich auch bei anderen Zügen Standard sein sollte. Dafür sind die Sitzmöbel dann aber wirklich von zweifelhafter Bequemlichkeit in diesem neuen Zugpferd des DB Fernverkehrs. So richtig gemütlich wollte der Sitz einfach nicht werden. Irgendwie hatte ich auch das Gefühl, die Lehnenverstellung funktionierte nicht in vollem Ausmaß.
Hinter Göttingen wurde die Fahrt dann sehr bald sehr gemächlich durch die Sperrung der Schnellfahrstrecke Hannover-Würzburg in diesem Abschnitt. Da gurkt man dann wirklich in gemütlichstem Tempo und engsten Radien entlang malerischer Flussauen und Fachwerkstädtchen. Ich verschob mich ins Bistro und genoss diesen gemütlichen Streckenabschnitt bei Frühstück und Kaffee, noch bevor es gegen acht hier deutlich voller werden dürfte.
In Frankfurt wurde Kopf gemacht, sodass der Zugbegleiter zu einer kurzen Raucherpause einlud. Auch wenn ich diesem Laster nicht erlegen bin, trat ich mal ins Freie um etwas frische Luft abseits der Raucher zu schnappen und die Füße kurz zu vertreten.


In Frankfurt wird Kopf gemacht, sodass erstmals kurz die Möglichkeit besteht etwas frische Luft zu schnappen. Das Wetter ist schon die ganze Fahrt bedeckt und regnerisch.


Wie immer herrscht auch auf den Nachbargleise im Frankfurter Hauptbahnhof reges Treiben.

Es lief alles überraschend störungsfrei weiter – bis Offenburg. Warum hält ein ICE mit einem Laufweg von rund 1000km überhaupt in Offenburg? Anderes Thema – wahrscheinlich kennt der Bürgermeister jemanden der jemanden kennt… Heutiges Thema war ein Verdacht auf Personen auf den Gleisen – eines jener Probleme, für das die dann selbst mal wenig kann. Der Verdacht bestätigte sich, aber wir rollten trotzdem noch bis Freiburg weiter, währenddessen ich etwas vor der Lautsprecherdurchsage in der App bereits sah, dass es ab dort überhaupt nicht weitergehen würde. Der ICE 275 brach hier kurzerhand ab und machte sich nach kurzer Zeit auf die Rückfahrt in den Norden, diesmal sogar bis Kiel. Auf Gleis 3 war bereits der EuroCity nach Milano über Zürich gestrandet und hatte seine Fahrt ebenfalls für beendet erklärt. Problem ist nämlich auch, dass genau in diesem Bereich der Strecke südlich von Freiburg auch noch eine Baustelle liegt, durch die die Kapazität ohnehin beeinträchtigt ist, sodass nach Streckenfreigabe die ganzen Züge nicht durchzubekommen wären. Aber es sollte immerhin schon nach einer knappen Stunde mit den nächsten ICE weiter nach Basel gehen. Entsprechend groß war aber das Chaos auf dem Bahnhof und ich schlenderte stattdessen etwas auf der Bahnhofsbrücke herum und beobachtete paar Trambahnen. Auch den derzeit letzten einsatzfähigen GT8K 214 konnte ich erspähen – weiß auch nicht, wie oft ich in Freiburg nun schon dachte, das sei das letzte Mal gewesen, dass ich die Kisten fahren sehe…


Deutlich früher als geplant, geht es schon in Freiburg wieder aus meinem ICE 275 heraus und dieser entschwindet wenig später in die falsche Richtung gen Kiel.


Die knappe Stunde hier vertreibe ich mir mit etwas Tramspotting auf der Bahnhofsbrücke. GT8D 248 erklimmt die Haltestelle direkt über den Bahnsteigen. Bei diesem Wetter war es dann auch nicht gar so schlimm, eine Stunde beim geplanten Zwischenhalt in Bern zu verlieren.

Der folgende ICE nach Basel war dann natürlich ordentlich voll, in der 1. Klasse hatte ich zumindest aber einen Sitzplatz ergattern können. In Basel SBB wechselte ich dann auf einen schön leeren, klassischen IC der SBB nach Interlaken Ost. Nach einer planmäßigen kurzen Pause in Olten jagte dieser dann über die Bahn 2000 Strecke in kurzer Zeit nach Bern hinüber – und was war der Sessel hier bequem nach der ICE 4 Holzbank 😀 Der Schaffner wusste natürlich davon, dass aus Freiburg einige Stunden keine Züge über die Grenzen kamen und hatte kein Problem mit meiner Anwesenheit trotz Zugbindung. Mir war jetzt also durch den Streckenunterbruch nur eine gute Stunde Zeit verloren gegangen in Bern. Blieben mir aber immer noch gut vier Stunden, was angesichts des vor dem Fenster seit Stunden anhaltenden Dauerregens nun auch nicht übermäßig tragisch war. Im leeren IC nach Bern war auch genug Platz und Zeit, noch auf regenfeste Kleidung aus dem Koffer zu wechseln, denn völlig unvorbereitet was die Wettervorhersage angeht, bin ich in diesen Tag gestartet.

In Bern etwas herumgesucht, bis ich die Schließfächer gefunden hatte und schon konnte es zu einem kleinen Spaziergang losgehen. Nur um nach wenigen Metern am modernen Tramterminal festzustellen: Hier fährt heute nichts. Durch Sanierungsarbeiten unter anderem auf der Spitalgasse war das Netz in zwei Teile gespalten. Ich lief also eben jene bekannte Gasse mit den zwei Brunnenumfahrungen hinauf zur Haltestelle Zytglogge, wo ich dann schnell auf das Tram stieß. Genauer die Linien 7, 8 und 9, wobei die 8 und 9 durch den Unterbruch an der Haltestelle Zytglogge jeweils auf die andere wechselten. Gefühlt etwa in einem 5-Minuten-Takt rollten die Linien und es waren auch gleich alle Fahrzeugtypen in großer Zahl anzutreffen. Konkret hatte ich es natürlich noch einmal auf die Vevey-Niederflurwagen aus den Jahren 1989/90 abgesehen. Damals ein revolutionärer Fahrzeugtyp, der dank kleinrädrigen Laufdrehgestellen unter dem Mittelteil der Berner Bevölkerung erstmals einen erheblichen Niederfluranteil bieten konnte. Auch das Design war damals neuartig und heute etwas gewöhnungsbedürftig, ich würde es aber nicht direkt als hässlich bezeichnen wollen. Irgendwie etwas zwischen funktional und dem Anspruch, doch noch etwas Eleganz hineinzubringen. Jedenfalls sind diese Fahrzeuge nun auch schon wieder über 30 Jahre alt und stehen durch die gerade anlaufenden, siebenteiligen Tramlink kurz vor der Ablösung. Grund genug, nach zwölf Jahren mal wieder einen Kurzbesuch hier in Bern einzulegen und ein paar Abschiedsaufnahmen zu schießen. Zumindest der Sonnenstand war ja nun kein Problem, sodass ich erstmal knappe zwei Stunden auf dieser Seite der Sperrung verbrachte und die verschiedenen Motive auf dem nur kurzen Abschnitt zwischen Kornhausbrücke und Helvetiaplatz abarbeitete:


Unter den Arkaden des Casinos am gleichnamigen Platz kann Schutz vor dem vom starken Wind doch ordentlich aufgepeitschten Regen gesucht werden. Dabei lässt sich auch gleich noch ein erstes Bild des über die Kirchenfeldbrücke fahrenden Be 4/8 738 anfertigen.


Auf der anderen Seite der Brücke dominiert am Helvetiaplatz das Bernisches Historisches Museum die Szene. Aus der 21 Fahrzeuge umfassenden zweiten Combino-Serie stammt Be 4/8 656, gut zu erkennen am neuen Frontdesign, das hier erstmals nach der “Combino-Krise” zum Einsatz kam und später auch in Erfurt und Nordhausen Anwendung fand.


In Gegenrichtung erreicht Be 6/8 763 das Ende der 229m langen und 37m hohen Kirchenfeldbrücke. Be 6/8 stammt aus der 2002-2004 gelieferten, ersten Serie Combinos, die ursprünglich aus 15 fünfteiligen Be 4/6 bestand, von denen 2009 acht Fahrzeuge um zwei Segmente verlängert wurden. Das Frontdesign entspricht weitgehend dem Combino-Advanced. Durch die abweichende Lampenanordnung ist das Erscheinungsbild der Berner Combinos allerdings einmalig.


Nicht so einfach wie es aussieht war die Aufnahme des Bundeshauses von der Kirchenfeldbrücke. Durch den stürmischen Gegenwind bei Regen drohte die Optik binnen kürzester Zeit voller Regentropfen zu sein. Den Wassertest hat die D750 ja nun schon zu Hauf mit Bravour bestanden, aber Tropfen auf der Linse durch waagerechten Regen sind doch immer nervig…


Es geht wieder zurück Richtung Casinoplatz, wo der Be 4/8 738 am Anfang der Brücke mit dem Casino passend in Szene gesetzt werden konnte. Unter der Bezeichnung Casino verbirgt sich nicht wie heute üblich ein Glücksspielhaus, sondern nach der ursprünglicheren, italienischen Bedeutung, ein “Gesellschaftshaus”, zeitweise deshalb auch “Kultur-Casino” genannt.


Wenn auch deutlich weniger als in anderen Ländern, sind auch in der Schweiz immer häufiger Ganzreklamen zu sehen. Zumindest in Bern aber mit meist zu 100% ausgesparten Fenstern. So bleiben ein ordentliches Erscheinungsbild und “Mitfahrerlebnis” doch weitgehend unbeeinträchtigt. Be 4/8 670 überquert den Casinoplatz.


Be 4/8 hält an der Haltestelle Casinoplatz. Auffällig dabei die typischen Duewag-Falttüren, die verraten, dass diese Fahrzeuge, wie auch die engen Verwandten in Genf, in Zusammenarbeit von Vewey/ABB und Duewag entstanden. Andere Schweizer Fahrzeuge aus dieser Zeit weisen demgegenüber meist noch die typischen Außenfalltüren auf.


Blick zurück auf die Kirchenfeldbrücke und das Bernisches Historisches Museum mit Be 6/8 763. Das Berner Oberland im Hintergrund geht heute doch mächtig in den schweren Regenwolken unter.


Zwischen Zytglogge, dem mittelalterlichen Stadttor mit Uhrturm und dem Casinoplatz erwischt Be 4/6 758 einen kurzen Moment ohne störendes Beiwerk. Einer von sieben nicht verlängerten Combinos der ersten Serie.


Über den Kornhausplatz geht es auf das Gegenstück der Kirchenfeldbrücke, die 283m lange und rund 47m hohen Kornhausbrücke, die auf der anderen Seite der Altstadt über die Aareschleife führt. Von der Haltestelle Kursaal kommend erreicht Be 4/8 664 gleich den Kornhausplatz.


Blick zurück auf Stadttheater und Kornhausplatz mit Be 4/8 741, der die Kornhausbrücke erklimmt.


Dank Regenwetters lässt sich das Theater gleich von beiden Straßenseiten in Szene setzen, diesmal mit Be 4/8 737.


Erneut vom Kursaal über die Kornhausbrücke kommend der kurze Combino Be 4/6 759.

Auch zur anderen Hälfte des Netzes wollte ich noch kurz hinüberschauen und lief einmal quer durch die Altstadt, am Bundeshaus vorbei, bis zum Kocherpark, wo die Linien 3 und 7 in die Belpstrasse abbogen, anstatt weiter Richtung Innenstadt zu fahren. So richtig die Motive wollte es hier aber nicht geben, vielleicht auch inzwischen einer gewissen Erschöpfung als Ergebnis von frühem Aufstehen, kaltem Regenwetter und wenig Essen geschuldet. So ging es nach kurzer Zeit schon zurück Richtung Altstadt, wo ich unter den charakteristischen Arkaden noch etwas im Trockenen durch die Gassen schlenderte.


Im zweiten Teilnetz ist Be 4/8 736 am Kocherpark aus der Belpstrasse in die Effingerstrasse eingebogen.


Am Kaufmännischen Verband ist Be 4/8 732 in Gegenrichtung mit dem Ziel Kocherpark unterwegs.


Typisch für die Berner Altstadt sind die engen Arkaden vor den Gebäuden, durch die sich fast die gesamte Altstadt trockenen Fußes durchschreiten lässt. Der Blick in die Schaufenster und Gasträume der vielen kleinen Läden, Restaurant und Cafés lässt dabei keine Lageweile aufkommen. Noch typsicher sind die Eingänge in die Keller, die durch solche Holztore wie hier erreicht werden. Dahinter findet sich eine weitere Welt aus Läden, Gastronomie, Friseuren und vielem mehr. Hier in einer Nebengasse geht es eher ruhig zu und die Keller sind größtenteils zugesperrt.

Noch einen Coop in der Spitalgasse aufgesucht und dann ging es auch schon wieder zum Bahnhof hinüber. Der ist hier in Bern ja wirklich etwas übel. War mir gar nicht mehr so präsent, so lange war ich hier nicht mehr per Bahn unterwegs. Erinnert aber irgendwie im schlechten Sinne etwas an Birmingham: Unterpflaster mit niedriger Decke, alles irgendwie etwas zu düster. Für den aus den Dieselzügen dröhnenden Lärm in Birmingham sorgte hier eine Baustelle, die die Bahnsteige in einen zeitgemäßen Zustand zu versetzen versuchte. Die Bahnsteighöhe meines Bahnsteiges für den Richtung Milano nahenden EC59 war dann auch nur knapp über Schienenoberkante. Für mich kein Problem, für viele andere aber sicher schon und eines modernen Bahnknotens in der Schweiz sicherlich nicht mehr ganz würdig…
Gut gefüllt, aber nicht gepresst voll war der EuroCity zunächst von Bern weg, leerte sich aber schon bei den nächsten Halten merklich. Aber irgendwie doch immer eine wenig versifft diese Züge, die die Schweizer über die Grenze nach Italien schicken… Die eigentlich interessante Strecke ins Berner Oberland, durch den Lötschberg und Simplon und anschließend entlang des Lago Maggiore ging zunächst in dicken Regenwolken unter, später in der Dunkelheit. Das war eigentlich als schöne Fahrt in den Sonnenuntergang geplant, aber nunja. Man kann es sich nicht aussuchen. So ließ ich den vierten Teil einer interessanten Nato-Serie von zdf info auf dem iPad laufen, denn der Blick aus dem Fenster unterschied sich nur wahlweise zwischen Grau und Schwarz, die Landschaft war nicht einmal zu erahnen. Auf italienischer Seite wird die Strecke dann gefühlt entgültig zu einem elendigen Gegurke, irgendwie zogen die Lichter vor dem Fenster immer überraschend langsam durch. Die Grenzer waren an mir auch wie immer wenig bis gar nicht interessiert. Trotz des Geschleiches wurde Mailand mit weniger als zehn Minuten Verspätung erreicht. Das Geschleiche scheint also planmäßig. Und nach Bern ist dieser Bahnhof Milano Centrale die reinste Wucht: Eine Kathedrale von Bahnhof die dem Besucher der Stadt sofort zeigt, er ist hier in einer Stadt von Welt angekommen, in einer Stadt die etwas sein möchte. Den Nerv, das Ganze fotografisch noch festzuhalten, hatte ich dann gerade aber nicht mehr so richtig – erstmal ankommen.


EC59 aus Frankfurt hat Milano Centrale mit kaum zehn Minuten Verspätung erreicht.

Es war schon kurz vor zehn. Um noch einmal in die Stadt aufzubrechen war es mir nach diesem langen Tag dann doch genug. Aber wenigstens zur Straßenbahnschleife westlich des Bahnhofes schaute ich noch einmal herüber. Und sogleich heulten natürlich die ikonischen Ventottos aus den späten 20er Jahren an mir vorbei durch die Straßen und zauberten ein breites Grinsen ins Gesicht. Die drei größeren italienischen Betriebe, deren Ziel diese Reise ist, setzen ja nun alle noch quasi Museumswagen im Planbetrieb ein, aber die Ventottos sind nun wirklich Dinosaurier, haben gleich mehrere Fahrzeugserien überlebt und sind im Begriff, mit noch rund 150 Exemplaren in den nächsten Jahren weitere Fahrzeug-Genrationen zu überdauern. In der Schleife neben dem Centrale kamen gerade aber nur die noch jüngsten Fahrzeuge zu stehen, die Sirietto aus der Sirio-Familie von AnsaldoBreda. Diese Karren werden sicher keine hundert Jahre überdauern…


In der Schleife neben dem Centrale wartet Sirietto 7610 als Linie 9, die ungefähr die östliche Hälfte des Rings bedient, auf die Abfahrtszeit.

Das kurze Stück zum Hotel hinüber konnte ich zu Fuß mit dem Koffer ziehen. Vorher am Centrale noch schnell in die Metro hinunter, um am Automaten schonmal die Fahrkarte für die nächsten zwei Tage zu ziehen. Man weiß ja nie, wo man die an der Straßenbahn bekommt und zumindest die drei italienischen Betriebe Mailand, Rom und Turin haben Verbundtarife für Metro, Tram und Bus, wie es sich gehört.
Das Hotel war ein klassischer 3-Sterne-Schuppen: Alles in bester Ordnung, wie man es sich wünscht für knapp 100€ die Nacht – jedenfalls bei meiner Reservierung im Januar war es zu diesem Preis zu haben. Ich verdrückte noch das Essen aus dem Coop, etwas zu suchen hatte ich nun keine Lust mehr heute. Dann war auch schnell das Licht aus, denn morgen gilt es die letzten der unmodernisierten Sechsachser und Jumbos zu finden.

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