2. Chance für Rom VII: In rechten Winkeln durch Turin und Rückreise

Im letzten Teil dieser Reise geht es nun noch einmal 1 1/2 Tage kreuz und quer durch die Quadrate der Turiner Innenstadt mit ihren unzähligen charakteristischen Tordurchfahrten, bevor es auf die lange Rückfahrt geht. Natürlich stehen auch in Turin wieder die Altwagen in Form der Umbau-Gelenkwagen im Fokus des Interesses.


Dienstag, 18. April 2023 II: Turin

Im letzten Teil bin ich in Turin an der Porta Nuova aus dem Zug gefallen. Ebendort soll dieser letzte Teil des Reiseberichtes nun fortgesetzt werden:
Aus der Porta Nouva herausgetreten, begrüßt mich schon wieder reichlich Sonnenschein. Schon während der Fahrt war es überwiegend sonnig gewesen, aber auf den letzten Kilometern von Milano herüber gab’s dann doch hier und da eine ordentliche Siffschicht. Mal schauen was sich mit dem restlichen Tag noch anstellen lassen würde. Erstmal ging es vor der Porta Nuova aber hinab in die Metrostation zwecks Besorgung eines Tickets. Auch hier war eine Dreitageskarte zu bekommen, ohne dafür irgendeine aufladbare Basiskarte erstehen zu müssen. Da ich auch morgen den ganzen Tag noch herumfahren würde, war das günstiger, als zwei einzelne Tageskarten.


Nach dem Ticketkauf in der Metro gleich das erste Bild vor der Porta Nuova. Auf diesem Abschnitt des Corso Vittorio Emanuele II verkehrt einzig die Linie 9 in dichtem Takt, die gemischt von den Fiat TPR 5000 und den alten Umbau-Gelenkwagen der 2800er-Serie bedient wird. Hier verlässt Wagen 5053 die Haltestelle vor dem zentralen Kopfbahnhof Porta Nuova.

Wieder am Tageslicht galt es dann aber zunächst das Gepäck loszuwerden. Das Hotel lag nur wenige Straßen von der Porta Nouva entfernt. Das war auch die einzige Adresse auf dieser Reise, an der ich etwas Zweifel hatte. Alles was in dieser Stadt einen etwas besseren Eindruck machte, war irgendwie doch unverhältnismäßig teuer gewesen, gerade im Vergleich zu Mailand und Rom, was mich doch etwas verwundert hatte. Es fehlte irgendwie die gewisse, solide Zwischenkategorie an Hotels irgendwo knapp unter 100 Euro. Da ich da nicht drüber gehen wollte, gab es dann halt die nächst niedrigere Kategorie, von der natürlich nicht zu viel zu erwarten war. An einem mehr oder weniger normalem Wohnhaus hing aber ein passendes Hotelschild. Über einen Klingelknopf ging es durch einen Innenhof ein Treppenhaus hinauf in den ersten Stock, wo sich dann die Zimmer befanden. Man war erwartungsgemäß noch am Putzen, aber ich konnte meinen Koffer schon einmal unterstellen.
Anschließend schlenderte ich erstmal den Corso Vittorio Emanuele II hinauf, erneut vorbei an der Porta Nuova, der Haltestelle Re Umberto bis zur Haltestelle Vittorio Emanuele II, wo ich dann den nächsten Kurs der Linie 15 ins Innere der Quadrate der Turiner Innenstadt nahm.


Parallel zur Porta Nuova verläuft die Linie 4 und kreuzt anschließend den Corso Vittorio Emanuele II. Durch eine der vielen Tordurchfahrten geht es ins Zentrum der Stadt, das geprägt ist von den konsequenten rechteckigen Straßenverläufen aus den Zeiten der Römer. Die Bebauung wurde derweil im 17. und 18. Jahrhundert vollständig neugestaltet und ist in vielen Bereichen in ihrer fast durchgehenden Einheitlichkeit einzigartig. Der Cityway 6041 ist als Dienstfahrt auf dem Weg der Linie 4 unterwegs und kreuzt die Linie 9 auf dem Corso Vittorio Emanuele II.


Schon an der nächsten Kreuzung im Verlauf des Corso Vittorio Emanuele II, kreuzt auf der Re Umberto mit der Linie 15 die nächste Strecke die Linie 9. Hier ist Fiat 5020 auf der Kreuzung als Linie 9 unterwegs. 54 dieser Fahrzeuge bilden die erste Niederflurgeneration in Turin, wobei ein Wagen bereits einem Unfall zum Opfer fiel. Die Grundkonstruktion ist den SOCIMIS aus Rom sehr ähnlich, allerdings handelt es sich hier um Einrichtungsfahrzeuge und die Wagen scheinen deutlich besser instandgehalten zu sein und eine wesentlich höhere Einsatzquote zu haben. In dieser Form gibt es diese von 1989 bis 1992 von Fiat/Stanga gebauten Fahrzeuge nur hier in Turin.


Mit der Linie 15 geht es auf rechtwinkligen Pfaden, teils in Blockumfahrungen ins Herz der Innenstadt. An der Blockumfahrung rund um die Haltestelle Bertola lief ich etwas herum und fand die Via San Tommaso in perfekter Achse zur Sonne. Dort kommt der Umbau-Gelenkwagen 2819 entgegen.


An der bekannten Piazza Vittorio Veneto öffnet sich das enge quadratische Straßenbild hin zur Ponte Vittorio Emanuele I. Die eben schon angedeutete, einheitliche Architektur zeigt sich auf der Piazza Vittorio Veneto in Reinform. Einige der alten Gelenkwagen wurden in den vergangenen Jahren in ein historisches Lackschema zurückversetzt, laufen aber im normalen Verkehr mit. Historisch korrekt ist diese Lackierung an diesen Fahrzeugen ohnehin nicht sein. Die direkt mit rekonstruierten Wagenkästen umgebauten Fahrzeuge erhielten von Anfang an das orange Farbschema, die ältere Serie Sechsachser war nur in nicht rekonstruiertem Zustand in grün unterwegs.


Die 13 fährt hinter der Piazza Vittorio Veneto geradeaus weiter über die Ponte Vittorio Emanuele I und endet hinter der Brücke in einer Schleife um die Chiesa della Gran Madre di Dio. 2901 überquert die Ponte Vittorio Emanuele I.


An besagter Kirche pausiert wenig später der Wagen 2901. Die Fahrzeuge der Baureihe 2800 waren lange Zeit und sind in Teilen noch heute das Rückgrat der Turiner Straßenbahn. In zwei Serien entstanden die nach dem Umbau äußerlich fast identischen Fahrzeuge 2801-2857 und 2858-2902. Auch wenn es das äußere Erscheinungsbild heute nicht mehr vermuten lässt, entstanden die Fahrzeuge aus teils sehr verschiedenen Spenderfahrzeugen: Die erste Serie entstand in den Jahren 1958 bis 1960 aus den 1933 bis 1938 gebauten Vierachsern der Serien 2100 und 2200. Die zweite Serie entstand erst rund 20 Jahre später in den frühen 1980er Jahren. Der Umbau erfolgte aus den Vierachsern der Serie 2500, wobei die Karosserie der Fahrzeuge in diesem Zuge grundlegend rekonstruiert wurde und die Gene der Spenderfahrzeuge kaum mehr erkennbar sind. Zeitgleich wurde die erste Serie ebenfalls umfassend rekonstruiert und diesem Erscheinungsbild angepasst. Auch das Verkehrs-Orange erhielt in damit Einzug. Seither präsentieren sich die Gelenkwagen auch schon wieder gut 40 Jahre weitgehend unverändert im noch heute typischen Erscheinungsbild. Charakteristisch ist vor allem die nach vorn geneigte Frontscheibe mit dem kleinen nach unten geneigten Fenster darunter. Ebenso erhielten die quadratischen, gummigedichteten Fenster Einzug in die rekonstruierten Wagenkästen, nachdem die alten Serien die typischen schmalen Hochkantfenster aufwiesen. Die technische Basis der Fahrzeuge ist heute dennoch teilweise fast 90 Jahre alt, was die Wagen zwar äußerlich etwas kaschieren können, spätestens bei einer Mitfahrt verraten sich die Wagen allerdings durch das laute Heulen der Gleichstrommotoren, das laute Rumpeln der Drehgestelle und das zischen der pneumatischen Bremsen und Türen. Momentan sind noch etwas 70 der Sechsachser im Einsatz, wobei ihre Ablösung in Gestalt neuer Niederflurwagen von Hitachi bereits in den Startlöchern steht.


Der an der Endstation wartende 2901 bot dann auch gleich die Möglichkeit einiger ungestörter Innenraumaufnahmen. So ganz nach dem technischen Stand der 1980er sieht es dann eben doch nicht aus. Die seltsamen Sitze sind übrigens genauso unbequem, wie sie aussehen. Ich habe bislang kaum unbequemere Sitze in Straßenbahnen erlebt und konnte da eigentlich nur quer drauf sitzen, indem ich die Rückenlehne als solche komplett mied. Trotz ihres Alters sind die Fahrzeuge im Innern sehr gut gepflegt und könnten auch erst vor wenigen Jahren rekonstruiert worden sein. So herausgeputzt waren auf dieser Reise bislang nur die Ventottos in Mailand. Von außen hinterlässt der alltägliche Straßenverkehr dann aber doch hin und wieder seine Kratzer und Beulen, aber in einem meist überschaubaren Maß.

Nachdem die einzige feste Nahrung des Tages bislang die Snacks von .italo gewesen waren, war es nun doch höchste Zeit für eine kleine Pause. Auf der anderen Seite der Kirche fand ich neben der Abfahrtshaltestelle der 13 auch gleich ein passendes Eckcafé. Sandwich und Cornetti, dazu einen Americano und so konnte es wenig später gestärkt weitergehen. Einen fliegenden Händler gab es zwischenzeitlich noch abzuwehren, wobei er sich beim italienisch sprechenden Nachbartisch auch deutlich mehr Mühe gab. Scheinbar wirke ich auch selten wie ein potenzieller Kunde – ob das jetzt für oder gegen mich spricht sei mal dahingestellt 😉

An der Abfahrtshaltestelle der 13 standen auch gleich schon wieder mehrere Wagen bereit. Die Zugfolge war hier in Turin schon recht dicht, irgendwo zwischen drei und zehn Minuten. Es gab auch nur einen wirklichen Einbruch, zu dem ich dann aber gleich noch komme. Erstmal stand hier jetzt an erster Stelle einer der Fiats, sodass ich das Spiel mit den Innenraumaufnahmen gleich wiederholen konnte.


Blick durch die auch hier pneumatischen Falttüren in das kurze Mittelsegment von 5026. Wie der Großteil des Fahrzeuges, ist auch dieses längsbestuhlt.


Nur der Anfangs- und Endbereich über den Antriebsdrehgestellen ist 2+1 querbestuhlt. Der Wagenboden befindet sich dort fast auf klassischem Hochflurniveau.


Durch die Fahrerkabine fällt dieser Bereich im vorderen Teil noch einmal kleiner aus. Dafür hat man hier selten das Problem, einen Stehplatz zu finden, an dem man nicht ständig angerempelt wird.

Da es sich jetzt doch ziemlich eingewölkt hatte, wollte ich mal zur Zahnradbahn rausschauen, die am Ende der Linie 15 in Sassi anschließt und zur Basilica di Superga hinaufführt. Beim letzten Besuch hier im Jahr 2011 war die Strecke aus irgendwelchen Gründen dienstags außer Betrieb – natürlich waren wir ausgerechnet an einem Dienstag dort gewesen… Mit der nächsten 15 heulte ich also durch das etwas unübersichtliche Liniengewirr der Innenstadt gen Sassi.


Nach einer Haltestelle mit der 13 über die Ponte Vittorio Emanuele I, heißt es auf der Piazza Vittorio Veneto umsteigen auf die 15 Richtung Sassi. Mit 2815 folgt mir zunächst beim Blick zurück aber noch einer der wenigen in grün lackierten 2800er.

Der Ausflug nach Sassi mündete dann letztlich erneut in einer ziemlichen Pleite. Diesmal war die Zahnradbahn gar nur am Wochenende in Betrieb, die restliche Zeit sei wegen Streckenarbeiten kein Verkehr. Gut nur, dass ich wettertechnisch gerade rein gar nichts verpasste – es hatte sich komplett eingetrübt. Dazu kam ich jetzt auch noch in die einzige Störung, die ich in Turin hatte. Ansonsten lief der Verkehr wirklich sehr anständig und dass, obwohl es in Turin wirklich zahlreiche Stellen im Innenstadtgebiet gibt, an denen nicht umsichtige Wagenlenker und Lieferwagen die Tram aufhalten können. Es kam jedenfalls eine gute halbe Stunde nichts mehr aus der Stadt und hinten in der Schleife war auch nichts mehr, was hätte losfahren können. Wenigstens fiel das jetzt alles in einer Zeit zusammen, wo es mich eh nicht störte. Noch weniger störte es mich, als ich mal einen Blick auf den Wetterbericht für morgen warf: Sonne pur – den ganzen Tag! Na, da konnte ich ja die letzten Stunden des heutigen Tages mal ganz entspannt angehen. Inzwischen war ich bis zur Haltestelle Cadore geschlendert und wartete dort, als es dann irgendwann anfing wieder stadtauswärts zu rollen. Ich steuerte erstmal das Hotel an, um einzuchecken und gleich noch das Stativ für das Abendprogramm zu holen. Also wieder eine lange Mitfahrt in einem der 2800er. Gerade auf den schnelleren Abschnitten, beispielsweise auf dem Ring, ist das schon regelrecht meditativ mit der immer wiederkehrenden Melodie der heulenden Motoren, des klingeln des Haltewunsches und dem Zischen der Türen. Hier mal eine Hörprobe:

 

Eine akustische Mitfahrt im 2800er auf dem Ring

Ach ja: Den Haltewunsch sollte man in Turin nicht vergessen! Egal ob im Fahrzeug oder an der Haltestelle. Das Drücken im Fahrzeug kennen wir ja in Deutschland auch gut. Daraufhin ertönt im Fahrzeug ein einmaliges lautes Klingeln und über den Ausstiegstüren beginnt auf den großen USCITA-Schildern “Fermata” zu leuchten. Weniger geläufig ist derweil auch das kenntlich machen des Einstiegswunsches an der Haltestelle. Bei uns gibt es da ja durchaus keine klare Kommunikation: Bei Bussen reicht häufig ein Zurücktreten oder kurzes Kopfschütteln, damit der Fahrer Bescheid weiß und durchfährt. Bei Straßenbahnen ist das aber doch eher unüblich und es wird einfach gehalten, sobald jemand am Bahnsteig steht. So kommen dann natürlich auch regelmäßig Linien zum Stehen, mit denen man gar nicht mitfahren möchte. Hier in Turin ist daher das rechtzeitige Aufzeigen üblich: Ein lässiger Fingerzeig mit waagerecht ausgetrecktem Arm Richtung Gleis und das Personal an der Kurbel weiß Bescheid, dass man mit dieser Linie mitmöchte. Ansonsten wird auch einfach konsequent durchgefahren, auch wenn nur eine Linie an der Haltestelle verkehrt – könnte ja sein, dass man einfach nur Herumlungert 😀


Nach über einer halben Stunde rollt es wieder stadtauswärts. 2850 hält an der Haltestelle Cadore Richtung Sassi. Nicht schön, aber sehr repräsentativ für die langen Linienverläufe außerhalb der touristischen Kernstadt: Hohe, schlichte Wohnbebauung an breiten Straßen, die Straßenbahn in typischer Seitenlage neben einer Reihe Bäume, zwischen denen Autos parken und sich hier und da Einfahrten in die Innenhöfe befinden.


Einige Strecken, wie hier Teile des Rings, sind auch auf eigenem Bahnkörper trassiert. Die Umgebung sieht aber auch dort meist recht ähnlich aus. Vor allem die Dominanz der Straßen außerhalb der historischen Innenstadt ist allgegenwärtig – Turin ist eben DIE Autostadt in Italien. Anders als in Milano, wo zwei Linien Teilstrecken bedienen, gibt es mit der 16 in Turin noch eine klassische Ringlinie, die in beiden Richtungen einmal komplett im Kreis fährt. Das ist doch immer wieder sehr praktisch, wenn man außerhalb der Innenstadt nur eben ein kurzes Stück zwischen den sternförmigen Linien wechseln möchte. Und wenn man auf Sonne wartet, kann man einfach eine Runde fahren, ohne sich zu weit von der Innenstadt mit den potenziellen Motiven zu entfernen 😀

Nach dem Einchecken im etwas rustikalen Hotel – zum Glück gibt es Oropax – noch ein paar Minuten die Füße hochgelegt und dann schien sich schon das Wetter für morgen anzukündigen: Es zog wieder auf! Viel würde jetzt im April um viertel vor sieben natürlich nicht mehr gehen, aber am Vittorio Veneto und auf der Brücke sollte es sich vielleicht lohnen vorbeizuschauen.


Die nordöstliche Häuserfassade der Piazza Vittorio Veneto wird am Abend noch einmal ins Sonnenlicht getaucht.

Irgendwie ergab sich aber doch nichts mehr so richtig. Auf der Ponte Vittorio Emanuele I war natürlich noch lang Sonnenschein, aber wie schon zuvor auf der Piazza Vittorio Veneto, wo bald die Schatten drohten, wurden auch hier alle Versuche vom dichten Autoverkehr vereitelt. Und morgen war schließlich auch noch ein Tag, sodass ich mich lieber mal auf Nahrungssuche begab. Ich schlenderte etwas durch die engen rechtwinkligen Gassen und natürlich gab es zahlreiche Restaurants an denen für einen Dienstag auch viel los war. Irgendwie klingelten aber überall meine Touristenpreis-Alarmglocken im Kopf: Sah eher nach teuer und wenig aus… An der Linie 4 kurz vor dem Rathaus wurde ich dann aber neben der Hausdurchfahrt fündig. Eine einfache Pizzeria mit günstigen Preisen, halbem Self-Service und Vorauskasse. Die Pizza war super, es ging alles fix und ich war pünktlich zur blauen Stunde wieder am Vittorio Veneto und positionierte das Dreibein.


2890 hält zur blauen Stunde als Linie 15 auf der Piazza Vittorio Veneto.


Blick in die andere Richtung über den Po mit der Chiesa della Gran Madre di Dio, der Ponte Vittorio Emanuele I und der Chiesa di Santa Maria del Monte dei Cappuccini. Von dort oben müsste man doch einen genialen Blick auf die Innenstadt haben – wäre vielleicht ein schöner Tagesabschluss für morgen…

Etwas überrascht war ich dann doch, wie viel hier jetzt vor der Ponte Vittorio Emanuele I abbog und scheinbar Richtung Depot fuhr. Das war nämlich um kurz vor neun schon so ziemlich alles. Scheinbar schien man auf den hier laufenden Linien ungewöhnlich früh auf Nachtbusse umzustellen, denn so richtig Nacht ist es ja um neun noch nicht, erst recht nicht im italienischen Tagesrhythmus.
Für heute war es mir aber egal, denn ich wollte bei dem angekündigten Wetter morgen ohnehin früh raus um die schöne Morgensonne zu nutzen. Noch paar Bilder am Fluss, dann schlenderte ich am Fluss entlang zurück Richtung Hotel, wo es noch einen vorhin besorgten Snack gab, bevor auch bald das Licht ausging.


Mittwoch, 19. April 2023: Turin

Heute sollte also schon wieder der letzte “richtige” Fototag dieser Reise werden. Morgen würde es im Wesentlichen nur noch Rückfahrt sein. Dafür sollte heute mit Sonne nicht gespart und dieser Tag zum vollen Erfolg werden.

Für Urlaub klingelt der Wecker schon wieder absurd früh. Irgendwie oft früher als im “normalen” Leben – irgendwas mache ich falsch… Aber mit der Ponte Vittorio Emanuele I und der Piazza Vittorio Veneto gibt es hier eben zwei Top-Motive, bei denen schon früh die Schatten weg sind. Um kurz nach sieben aufgestanden, um halb aus dem Hotel und um kurz vor acht konnte es schließlich losgehen am Vittorio Veneto. Hier stand erstmal eine knapp einstündige Session an, bis die verschiedenen Motive wie gewünscht im Kasten waren. Einfach wiedermal herrlich diese frühen Morgenstunden, wenn die Stadt gerade erwacht und die Luft noch so klar ist, dass die Alpen ganz nah wirken am Horizont.


Ein erster 2800er wurde auf der 13 auf der Ponte Vittorio Emanuele I verhaftet.


In Gegenrichtung wartet 2872 auf der Piazza Vittorio Veneto, um als Linie 15 vor der Ponte Vittorio Emanuele I auf die Uferpromenade abzubiegen.


Durch zwei der typischen Tordurchfahrten kreuzt die 16 auf der Piazza Vittorio Veneto die Linien 13 und 15. Eine Haltestelle wurde für die 16 auf der Piazza vergessen. Stattdessen hält die Linie unmittelbar hinter der Torbogendurchfahrt auf der anderen Seite des Platzes. So auch 2871, der gleich nach der zweiten Tordurchfahrt die Haltestelle Vittorio Veneto Nord erreichen wird.


Ich folge der Linie 15 ums Eck zur Uferpromenade. Von dort fällt der Blick auf die Ponte Vittorio Emanuele I und zwei Bahnen der Linie 13. Darüber thront auf dem Monte dei Cappuccini die Santa Maria del Monte dei Cappuccini.


In die entgegengesetzte Blickrichtung sticht die Silhouette der Basilica di Superga ins Auge, zu der angeblich eine Zahnradbahn hinauffährt, vorausgesetzt ich bin nicht in der Stadt 😉


Nachdem zunächst zwei Fiats im Sichtabstand kamen, hieß es etwas zu warten auf den nächsten 15er, der dann gleich wie gewünscht einen Hochflurer in Gestalt von 2819 brachte.


Dichter Verkehr herrscht zur einsetzenden Rush-Hour auf der Linie 13. Aus dieser Perspektive wird die Flussstufe des Pos deutlicher und links rückt die Chiesa della Gran Madre di Dio ins Bild, um die herum die Linie 13 wendet.


Wieder am Vittorio Veneto geht es langsam die Via Po hinauf Richtung Castello. Selbiges zeigt sich hier schon im Hintergrund mit den schneebedeckten Alpen darüber, während 2889 in die Haltestelle auf der Piazza einfährt.

Unter den Arkaden der Einheitsbauten der Via Po Richtung Castello hinauf befinden sich zahlreiche Cafés, Bistros und Boutiquen. In einem der kleinen Cafés genehmigte ich mir erstmal ein Frühstück mit Cappuccino und zwei Croissants. Als ich auf die Frage woher ich denn käme mit Norddeutschland antwortete, wechselte der Barista plötzlich auf fließendes Deutsch. In Hamburg habe er lange Zeit gewohnt und käme ursprünglich aus Zürich. Zürich, Hamburg, Turin – es gibt schlimmere Schicksaale… Ein weit gereister Barista 😀

Ziel waren jetzt noch die Morgenmotive auf der Piazza Castello. Auch wenn das Castello dabei dem Sonnenstand geschuldet zunächst keinen Platz im Bild findet.


Auch ohne das Castello selbst, kann sich die Ansicht auf der gleichnamigen Piazza am Morgen durchaus sehen lassen. 2901 verlässt die touristisch vielleicht bedeutsamste Haltestelle der Stadt auf die Via Po Richtung Piazza Vittorio Veneto.


Vor der Haltestelle erreicht wenig später 2850 auf der Via Pietro Micca die Piazza Castello. Die Via Pietro Micca, will wie die Via Po als eine der wenigen nicht in das ansonsten sehr konsequente Rechteckmuster der Innenstadt passen.

Es war an diesem Morgen und Vormittag im Grunde nur ein Hin- und Herspringen zwischen den bekanntesten Punkten im Innenstadtbereich. Da das Castello selbst noch nicht umsetzbar war und wohl gut und gern noch eine Stunde brauchen würde, ging es mit der nächsten 13 wieder zurück, diesmal aber bis auf die andere Seite des Flusses zur Endschleife um die Chiesa della Gran Madre di Dio.


2869 biegt in die Schleife um die Chiesa della Gran Madre di Dio herum ein. Der Blick fällt über die Ponte Vittorio Emanuele I, die Piazza Vittorio Veneto durch die Via Po bis zum Castello. Dahinter türmen sich die schneebedeckten Alpen auf. Diese geniale Sichtachse wäre eben nicht möglich, wenn der Vittorio Veneto und die Via Po das Schachbrettmuster zum Po hin nicht leicht verzerren würden.


Wenig später verlässt 2869 die Schleife auch schon wieder, während mit 2890 ein weiterer Kurs einfährt.


Etwas unterrepräsentiert waren bislang in den Aufnahmen eindeutig die Fiats der 5000er Serie. Dabei mischen die Fahrzeuge auf den drei heute Morgen gezeigten Linien munter mit und stellen etwa die Hälfte des Auslaufes dieser Linien. Zumindest auf der 13 und 15. Auf der Ringlinie 16 waren sie etwas in der Unterzahl. Eingesetzt werden können die Fahrzeuge auf allen Linien, abgesehen von den stumpf endenden Linien, zu denen im derzeit betriebenen Netz allerdings nur die Linie 4 zählt. Weiterhin schienen auch auf der Linie 10 ausschließlich Cityways zu fahren, darunter die wenigen Einrichtungswagen dieses Typs. Alle anderen Linien, die zum Zeitpunkt des Besuches betrieben wurden, also die Linien 3, 7, 9, 13 und 15, wurden gemischt mit den 2800ern und 5000ern bedient. Hier wendet Fiat 5022 zwischen End- und Starthaltestelle der Linie 13 um die Chiesa della Gran Madre di Dio.


Für das Castello-Motiv ging es anschließend wieder die Via Po hinauf. Unterwegs begegnete mir an der Haltestelle Sant’Ottavio 2819.


So richtig wie vorgestellt klappte es irgendwie nicht am Castello. Die Schatten sind scheinbar selbst Mitte April noch etwas zu lang zur passenden Tageszeit. Eigentlich wollte ich das Bild auch von der anderen Seite machen, aber genau am richtigen Standort in der Via Po wütete gerade eine Tagesbaustelle. Da lohnte es sich dann nicht, auf eine gänzlich autofreie Szenerie zu hoffen. Die Variante mit 5011 musste reichen.

Langsam setzte jetzt auch das eigentlich ungeliebte Hochlicht ein, aber für einen kleinen Streifzug durch die rechten Winkel ist das gar nicht mal so verkehrt, wenn die Schatten einigermaßen kurz sind. So trieb ich mich ohne größeren Plan etwas in dem unübersichtlichen Gewirr aus Strecken herum, die sich hier teils mit durch Häuserblocks getrennten Richtungsgleisen den Weg durch die engen Gassen suchen. Auch an die Linie 4 mit den garstigen Cityway verschlug es mich dabei – gehören eben auch dazu und sollten nicht komplett vernachlässigt werden. Zudem bedient die Linie 4 mit den eingleisigen Strecken am Rathaus und vor der Kathedrale exklusiv zwei ganz nette Stellen der Innenstadt.


2850 kommt von der Haltestelle Arsenale und biegt Richtung in die Via XX Septembre ein.


Eine unübersichtliche Kreuzung zeigt sich auch mit der Linie 4 rund um die Haltestelle Bertola. Cityway 6053 kreuzt hier auf der Via Antonio Bertola die Strecke der Linie 13 auf der Via Pietro Micca.

Anschließend war erstmal Zeit für eine kleine Unterbrechung zwecks Kaffeepause an einem Straßencafé an der Linie 4. Schön draußen sitzen und die Cityway-Ungetüme an einem vorbeirumpeln lassen. Das war aber auch wirklich übel, wie die sich da mit ihren starren Fahrwerken durch die Kurven zwängten, dazu noch das recht laute Dröhnen der Fahrwerke. Wie schon in Rom, fiel doch ein wenig auf, dass sich da in den letzten 20 Jahren schon noch mal einiges getan hat an dieser Grundkonstruktion des Multigelenkers, von der ich wohl kein Freund mehr werde. Aber so ein Urbos 3 – für mich bis heute die Multigelenker mit den kultiviertesten Laufeigenschaften – ist diesen Karren doch noch mal ein ganzes Stück voraus.


Der lange Siebenteiler im Sonnenspot vor dem Rathaus auf der Piazza Palazzo di Cittá war wirklich eine Punktlandung. Etwas anderes als die Cityway der Linie 4 verkehrt hier aber auch nicht. Dafür ist diese Linie gefühlt auch im 5-Minuten-Takt unterwegs. Die Cityway von Alstom stammen unverkennbar noch aus der Feder von Fiat und wurden auch in den Fiat-Werken gebaut. Sie sind derzeit noch die jüngsten Fahrzeuge im Fuhrpark und wurden von 2001 bis 2004 ausgeliefert. Die ersten fünf Fahrzeuge 6000-6004 wurden noch als Einrichter gebaut und kamen während meines Besuches auf der Linie 10 zum Einsatz. Die 50 weiteren Fahrzeuge wurden als Zweirichter gebaut und bedienen derzeit nur die Linien 4 und 10. Ursprünglich war eine Anschaffung von bis zu 180 Fahrzeugen geplant, von denen zumindest Teile auch schon als Optionen mit Alstom vereinbart waren. Ob aus finanziellen Gründen oder wegen der Unzufriedenheit mit den neuen Fahrzeugen – jedenfalls wurden diese Pläne nie umgesetzt. Die Ausfallrate der Fahrzeuge scheint jedenfalls enorm zu sein und die Auslastung der Werkstatt aufgrund von Fehlermeldungen durch die Elektronik nach italienischen Quellen an der Kapazitätsgrenze. Stattdessen erfolgt derzeit die Auslieferung der ersten von 70 neuen Hitachi-Triebwagen, welche wohl in den kommenden Jahren alle verbliebenen Umbau-Gelenkwagen der 2800er Serie ersetzen dürften.


Ums Eck holte ich mir schnell eine frische Pommes als Mittagssnack aus der Pizzeria von gestern und wartete dann auf der Piazza Palazzo di Cittá auf einen weiteren Kurs der 4, um das Rathaus noch aus anderer Perspektive in Szene zu setzen.


Vor dem Rathaus mal wieder ein martialisches Gerangel: Das Monumento al Conte Verde.


Das Gegengleis der Linie 4 verläuft drei Gassen weiter südöstlich parallel direkt vor der Kathedrale entlang. Selbige ließ sich beim derzeitigen Sonnenstand irgendwie weder mit noch ohne Tram in Szene setzen, aber die Vortreppe der Cattedrale di San Giovanni Battista ermöglichte zumindest einen etwas erhöhten Blick auf Cityway 6041, bei dem die beiden Türme der Porta Palatina über die Baumwipfel ragen.


Die Porta Palatina ist das einzige erhaltene Turiner Stadttor aus den Zeiten der Römer und wurde in seinen Ursprüngen bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. erbaut.

Wie ich hier so nichtsahnen wieder das ein oder andere touristische Highlight neben der Strecke mitnahm, muss natürlich gesagt sein: Auch viele weitere touristische Highlights wären einen ersten oder zweiten Blick Wert gewesen, wie die Kathedrale, die Piazza San Carlo, das Castello del Valentino, die Mole Antonelliana, die Zitadelle und und und. Allein schon die ganzen prächtigen Piazzas und Palazzos könnte man sich einen ganzen Tag lang anschauen. Aber wenn die Zeit begrenzt ist, verzettelt man sich da eher. Also galt die Konzentration den Altwagen, bevor diese verschwunden wären und an Kultur wurde nebenher mitgenommen, was auf dem Weg lag. Umso mehr bleibt für einen ausgiebigeren weiteren Besuch der im Innenstadtbereich wirklich sehenswerten Stadt.

An dem riesigen Markt Porta Palazzo treffen die Richtungsgleise der Linie 4 dann wieder zusammen. Der kurze Abstecher dorthin ergab aber nur, dass ich hier noch gut zwei Stunden zu früh war. Umso besser, würde hier nachher dann das Nachmittagslicht schön stehen. Also wieder zurück, schauen wie das Licht an den anderen Achsen so gedreht hat inzwischen.


Ohne Haus- und Tordurchfahrten geht es nicht in Turin. Hier die Durchfahrt der Linie 4 auf der Via Milano direkt hinter den Motiven von vorhin am Rathaus. Hinter der Hausdurchfahrt befindet sich die Piazza Palazzo Cittá und Cityway 6006 erreicht gleich die Haltestelle Monte die Pietá.

Danach folgt schon wieder die Haltestelle Bertola, wo die Linie 13 auf der Via Pietro Micca gekreuzt wird. Den Blick auf die Linie 4 hatten wir hier vorhin schon. Jetzt hat das Licht für die Linie 13 mit Fiat 5010 gedreht.


Eine Haltestelle weiter bin ich schon wieder am Castello. Das Licht hat inzwischen schon etwas weiter gedreht als gedacht, aber für den schönen 2855 auf Fahrschulfahrt wurde trotzdem der Auslöser betätigt.


Die Querung des Vittorio Veneto der Ringlinie 16 haben wir vorhin schon auf der Piazza selbst gesehen. Jetzt steht das Licht für wenige Minuten in der Straßenachse auf der anderen Seite der Tordurchfahrt. 2817 ist im Uhrzeigersinn unterwegs und hat bereits auf der anderen Seite der Piazza gehalten. Etwas tückisch sind hier die Tordurchfahrten schon, denn gleichzeitig bilden die Tore in querender Richtung einen Teil der stilbildenden Arkaden vor den Einheitsbauten auf der Piazza Vittorio Veneto und der Via Po. Für Straßenbahn- und Autofahrer sind querende Personen praktisch erst im letzten Moment erkennbar, sodass Schritttempo bei der Durchfahrt dringend geboten ist.


Gleiche Szene mit dem nächsten Kurs in Gestalt von 2897, diesmal von der anderen Straßenseite.


Auf der anderen Seite der Piazza stehe ich jetzt quasi im Tor, das gleichzeitig den Tunnel für die Arkaden bildet. Fiat 5051 hält als Linie 16 im Uhrzeigersinn an der Haltestelle Vittorio Veneto Nord. Ein WhiteVan geht natürlich immer noch in den Gleiszwischenraum 😉

Dann war es aber Zeit bzw. Licht für den großen Markt Porta Palazzo. Mit der Linie 16 gegen den Uhrzeigersinn konnte ich dort in wenigen Halten hinüber heulen, ohne durch die Innenstadt fahren zu müssen. Dort angekommen, war um halb vier allerdings schon das größte Spektakel vorüber. Die unzähligen mobilen Marktstände waren größtenteils schon abgebaut und wurden nun mit den wildesten Konstrukten abtransportiert. Gefühlt wurde noch der letzte röchelnde Rasenmähermotor zweckentfremdet, um den origamimäßig zusammengefalteten Marktstand irgendwie zu teilmotorisieren und nicht die ganze Last per Muskelkraft bewegen zu müssen. Das war wirklich sehr unterhaltsam, mit welch kreativen Methoden und unter Außerachtlassung aller Arbeitsschutzrichtlinien hier binnen kürzester Zeit der riesige Platz plötzlich leer war. Zurück blieb lediglich eine Unmenge an Müll, die sich beim aufkommenden Wind in einen regelrechten Plastiksturm verwandelte. Schon rückten die ersten Sprengwagen und Kehrmaschinen aus, um den Bergen an Plastikverpackungen Herr zu werden. Eine gewisse Sensibilisierung der Standbetreiber und Besucher hinsichtlich der Massen an Plastikmüll und dessen vernünftiger Entsorgung würde aber sicher nicht schaden… Die Szenerie wirkte jetzt jedenfalls etwas verlassen, dafür kam die historische Markthalle im nordöstlichen Viertel des Platzes gut zur Geltung.


Inzwischen wirkt die große Straßenbahnkreuzung im Zentrum des großen Marktes Porta Palazzo regelrecht verlassen. Noch vor zwei Stunde herrschte hier das wildeste Marktleben. Nun waren nur noch die Putzkollonnen unterwegs, als 2893 den Platz auf der Ringline 16 entgegen des Uhrzeigersinns überquerte. Hier traf ich auch auf die Linien 3 und 9, die ebenfalls mit 2800ern und 5000ern bedient werden. Im Hintergrund folgt 5028 als Linie 3.

Linien 3 und 9 – war da nicht mal was? Genau, da war mal was und manch einer mag die Fahrzeuge der 7000er Serie schon vermisst haben in diesem Bericht. Für alle die sich etwas weniger mit Turin auskennen eine kurze Zusammenfassung, um auch die kleine Fahrzeugvorstellung im Rahmen dieses Berichtes abzuschließen:

In den 80er-Jahren plante Turin im Rahmen der Umstrukturierung der Straßenbahn die großflächige Einführung von fünf leistungsfähigen, in Deutschland wohl als Stadtbahn bezeichneter Linien, die das Grundgerüst der neuen Straßenbahn bilden sollten. Weitgehend besonderer Bahnkörper, großzügige Fahrzeuge, große Radien, lange Haltestellenabstände waren die Grundideen dieses Netzes. 100 neue Stadtbahnwagen “metropolitana leggera” sollten für dieses Netz angeschafft werden. Die kurze Variante der Erzählung endete so: Das gesamte Projekt wurde nie ansatzweise so realisiert wie geplant und schließlich abgebrochen. Lediglich zwei Linien wurden zeitweise nach dem neuen Konzept betrieben und zwar die Linie 3 Valetta – Piazza Hermanda und die Linie 9 Piazza Stampalia – Esposizioni. Die Lieferung der ursprünglich 100 geplanten Fahrzeuge wurde schnell auf 50 reduziert und stattdessen wurden die Fahrzeuge der 5000er Serie nach herkömmliche Straßenbahnparametern beschafft. Für die 50 Fahrzeuge der Baureihe 7000 blieben damit Zeit ihres Einsatzes nur die Linien 3 und 9 übrig, die für den Einsatz dieser Fahrzeuge ertüchtigt waren. Mit einem Gesamtgewicht von 63 Tonnen auf sechs Achsen (zum Vergleich: bei den 2800ern sind es 39 Tonnen) und einer gigantischen Hüllkurve durch die Länge von 28 Metern bei klassischer Jakobsdrehgestell-Bauweise (zum Vergleich: bei den 2800ern sind es 20 Meter), waren die Fahrzeuge im restlichen Bestandsnetz nicht einsetzbar. Spätestens mit der Etablierung von Niederflurfahrzeugen war das gesamte Fahrzeugkonzept ohnehin hinfällig und der Streckenausbau nicht so weit vorangeschritten, dass man an dem Konzept hätte festhalten müssen. Der Einsatz auf der Linie 9 endete im Jahr 2002 mit der temporären Einstellung der Linie für den Metrobau. Danach stellte sich heraus, dass im Zuge des Metrobaus einige für die Hüllkurve der 7000er unpassierbare Stellen an der Linie 9 entstanden waren, sodass die Fahrzeuge fortan nur noch auf der Linie 3 einsetzbar waren. Die letzten zehn Fahrzeuge 7040-7050, welche abweichend mit elektronischer Ausrüstung von Ansaldo ausgestattet waren, wurden daraufhin Anfang der 2000er abgebrochen. Ende 2013 endete schließlich der Einsatz der 7000er und die Linie 3 wurde wieder auf herkömmliche Einrichtungswagen der Serien 2800 und 5000 umgestellt. Leider waren die 7000er bei einem Besuch im Jahr 2011 zeitweise auch auf der Linie 3 nicht anzutreffen, da die Linie durch zahlreiche Baustellen im Netz nicht betrieben wurde. So konnte ich dieses Intermezzo der Turiner Straßenbahngeschichte nie im Einsatz erleben. Wer sich mehr für diese Episode und auch sonst für die Fahrzeuge, Linien und Geschichte der Turiner Straßenbahn interessiert, dem sei die folgende, umfassende Website empfohlen: https://www.tramditorino.it/. Notfalls mal den Google Übersetzer anschmeißen 😉

Nach diesem kleinen Einschub weiter im Programm: Eigentlich wollte ich einem der grünen 2800er ein Stück vorausfahren, aber im weiteren Verlauf der Linie 16, auf der mir der Wagen gegen den Uhrzeigersinn folgte, bot sich motivlich mal rein gar nichts an. Das war wieder eher so das hässliche autogerechte Turin hier. Weil die Lichtachse gerade ganz gut passen müsste, bog ich dann hinter der Haltestelle Fabrizi mit der Linie 13 vom Ring ab zur nächsten Haltestelle Piazza Risorgimento. Dort ließ sich das “Arbeiterturin” dann mal ganz ansprechend ohne Vier- bis Sechsspurige Straße in Szene setzen.


An der Piazza Risorgimento heult 2890 auf der Linie 13 stadtauswärts. So sieht es in Turin gefühlt fast überall außerhalb der Innenstadt aus. Hier in einer der Nebenstraßen ist wenigstens der Autoverkehr mal nicht so erdrückend, Kinder spielen auf der begrünten Piazza rechts hinter mir, Eltern tratschen währenddessen auf den Schattenbänken, Rentner holen sich was vom örtlichen Krämer, Jugendliche lungern herum – gemütliches Quartiersleben vom Feinsten. Ich nutze derweil beim Warten auf die nächste Bahn wiedermal einen der vielen Brunnen zum Ergänzen des Flüssigkeitshaushaltes.

Weiter raus wollte ich eigentlich nicht, auch wenn es wohl ähnlich beschaulich geblieben wäre. Aber ich wollte mit der Linie 13 in die andere Richtung den Bogen über Piazza Statuto und Porta Susa zurück in die Innenstadt schlagen. An der großen Schleife um die Piazza Statuto traf ich dann auch erstmals auf die Einrichtungsfahrzeuge der Cityway-Serie auf der Linie 10. Die Linie hatte ich bislang als einzige irgendwie geschickt umgangen. Für ein alibimäßiges Fahrzeugbild reichte es aber, ansonsten sind die Wagen ohnehin abgesehen von den Türen links und dem zweiten Fahrerstand identisch zum Rest der Serie. Sehr nett war auf jeden Fall, dass gerade ein 2800er auf der 13 einsetzte und dabei eine Runde durch die große Schleife fuhr. Ansonsten streift die Linie 13 die Piazza Statuto nur und biegt vor der Schleife Richtung Porta Susa ab.


Außerplanmäßig dreht an der Piazza Statuto eine 13 eine Runde durch die große Schleife um den Platz und fährt stadtauswärts Richtung Campanella aus. Vermutlich war 2901 ein Einsetzer. Dahinter verbringt ein Kurs der Linie 10 seine Pause, die hier in einem riesigen Oval um den gesamten Platz wendet. Rechts die dem Platz seinen Namen gebende Statur Monumento al Traforo del Frejus.

An der Porta Susa war nicht viel zu wollen. Also weiter Richtung Innenstadt. In der 13 war ich auch schon ganz richtig, denn gestern hatte ja das Motiv auf der Ponte Vittorio Emanuele I mit der Chiesa della Gran Madre di Dio nicht mehr geklappt. Und da würde es wohl durchaus einige Versuche brauchen. Die schwierige Entscheidung ist dann ja immer nach einigen Versuchen: War da jetzt schon das Optimum dabei gewesen oder würde es sich lohnen, auf eine noch bessere Lücke im Verkehr zu hoffen?


Nach einigen Versuchen auf der Ponte Vittorio Emanuele I beschloss ich, dass diese Umsetzung mit 2890 das Glück schon genug herausgefordert hatte. Die Bahn ist knapp unverdeckt, kein fetter SUV zu präsent vor der Linse, kein Fahrrad hat mich von hinten erlegt und die Passanten sind ordentlich und nicht abgeschnitten im Bild drapiert. Auf mehr zu hoffen wäre ein Glücksspiel, da ging ich lieber ein hervorragendes Eis im Schatten der Chiesa della Gran Madre di Dio essen.


Von der Haltestelle auf der Piazza Vittorio Veneto lässt sich die Chiesa della Gran Madre di Dio um diese Zeit auch mit Tele gut umsetzen. Mit der Linie 15 zusätzlich zur 13 gibt es auch noch einmal doppelt so viele Chancen auf Autoglück. Im Vordergrund die Gleise der kreuzenden Ringline 16.


Etwas überraschend fing es jetzt am frühen Abend doch zeitweilig an sich etwas einzusiffen am Himmel. Aber den Tag konnte mir nichts mehr vermiesen und ich nahm den grünen 2855 noch im Halblicht auf dem Vittorio Veneto mit.


Die Ringlinie 16 kann man dann am Abend fast gespiegelt zur morgendlichen Variante umsetzen. 2897 hat die Haltestelle Vittorio Veneto Nord vor der Piazza bedient und quert diese nun ohne Halt.


Ein letztes Aufbäumen der Sonne gab es für 2881 nach dem Halt auf der Piazza Richtung Castello. Danach kam eh der Schatten von rechts rein. Diese garstige “idealista” Werbung gab es übrigens bei allen drei besuchten Betrieben. Und überall war sie genauso aussagelos wie hier. Highlight in Rom war, dass man auch sämtliche Fenster stumpf mit gelber Folie überklebt hatte, ohnedas die nicht vorhandenen Botschaft dadurch irgendeinen Mehrwert erfahren hätte. Hier in Turin war man da etwas zurückhaltender und die 2800er hatten grundsätzlich keine überklebten Fenster. Lediglich bei den Cityways gab es einige komplett tapezierte.

Ich hatte jetzt für den Abend nur noch einen Programmpunkt: Ich wollte mal von der Endschleife der Linie 13 aus den Monte dei Cappuccini für einen Blick über die Stadt erklimmen. Zur blauen Stunde wäre das sicher genial, denn wirklich nachhaltig sahen die Wolken am Himmel auch nicht aus. Vorher blieb aber noch genug Zeit, der Pizzeria von gestern einen weiteren Besuch abzustatten. Nachdem auch meine zunächst vergessene Pommes unter großer Entschuldigung irgendwann nachgereicht wurde, fuhr ich mit der 13 wieder bis zur Endschleife. Unterwegs sah ich am nicht planmäßig befahrenen Abzweig am Castello auch noch den roten 2823 herumstehen. Der Weg hinauf auf den Hügel war dann noch etwas kürzer als ich gedacht hatte und in zehn Minuten war ich von der Endstation der Linie 13 auf dem “Gipfel” mit der Chiesa di Santa Maria del Monte dei Cappuccini. Vom Vorplatz der Kirche hatte man einen perfekten Blick über die Stadt, Richtung Piazza Vittorio Veneto und Mole Antonelliana. Letztere kommt ohnehin nur von erhöhtem Standpunkt richtig zur Geltung. Die 1889 vollendete Mole Antonelliana, benannt nach ihrem Architekten Alessandro Antonelli, war zu ihrer Fertigstellung, hinter dem Obelisken des Denkmals für George Washington, das zweithöchste begehbare Gebäude der Welt. 167,50 Meter ragt die Spitze der Kuppel in den Turiner Himmel, die zusätzlich als das Äußerste gilt, was in damaliger Bauweise ohne Stahlbeton statisch möglich war. Aus den Straßen der Innenstadt ist zwar oftmals die Spitze der Mole Antonelliana über den Hausdächern zu erkennen, einen wirklichen Eindruck von der Mächtigkeit des zunächst als Synagoge geplanten Gebäudes, erhält man aber am besten von den umliegenden Hügeln jenseits des Pos. So etwa hier vom Monte Cappuccini.
Langsam wandelte sich die Farbe des Himmels von gelb über rot zu blau und die schneebedeckten Alpengipfel am Horizont versanken im Dunkeln der Nacht.


Von hier aus sieht man erst richtig, wie nah die Alpen eigentlich sind. Die Gipfel vermischen sich langsam mit den abendlichen Wolken.


So ist kaum auszumachen, wo die schneebedeckten Gipfel enden und die festhängenden Wolken beginnen.


Mit dem Einsetzen der Straßenbeleuchtung wendet sich der Blick aber zur Piazza Vittorio Veneto und der dahinter emporragenden Mole Antonelliana, die erst aus dieser Perspektive ihre volle Wirkung entfalten kann. Auf der Piazza kommt an der Kreuzung derweil ein 2800er passend und autofrei vor der Ampel zum Stehen.


Kurz vor dem Abstieg noch der Blick Richtung Basilica di Superga. Der Blick von dort oben ist auch nicht schlecht, allerdings ist die Stadt selbst dann doch schon arg weit weg, wie wir bei einem Besuch 2011 feststellen mussten.

Was für ein genialer Abschluss dieser Reise! Die Bilder sprechen hoffentlich für sich.

Da die Linien auf der Via Po inzwischen den Betrieb eingestellt hatten, lief ich halt wieder zu Fuß zurück Richtung Porta Nuova, diesmal allerdings nicht am Ufer des Pos entlang, sondern etwas durch die Innenstadt. Eigentlich schade, wäre die Via Po mit den beleuchteten Arkaden doch durchaus ein Straßenbahnbild wert gewesen. Aber das Zeitfenster ist dafür im April schon recht kurz, wenn ab kurz nach neun nichts mehr fährt. Entlang der Strecke über die Piazza Carlo Emanuele II, die gerade von keiner Linie planmäßig bedient wird, gelangte ich schließlich zum Corso Vittorio Emanuele II mit der Linie 9 und dem Hotel nicht mehr weit. Die Linie 9 schien auch am späten Abend noch mit Straßenbahnen bedient zu werden im Gegensatz zum Busverkehr auf den Linien 13 und 15. Scheinbar ist das keine generelle Sache, dass Abends keine Straßenbahnen mehr fahren.


Auf der Via Po fahren leider schon ab kurz nach neun keine Straßenbahnen mehr. Dann eben ein “Trockenbild” der schön beleuchteten Arkaden. Vorn kreuzt die derzeit nicht bediente Strecke von der Via Gioacchino Rossini in die Via Accademia Albertina und weiter über die Piazza Carlo Emanuele II. Dieser werde ich anschließend zum Corso Vittorio Emanuele II folgen.


Die Piazza Carlo Emanuele II umkurvt die Strecke in einer Kreisbahn, die auch zum Wenden aus beiden Richtungen genutzt werden könnte.

Jedenfalls war das nochmal ein toller Abschluss dieser Reise gewesen und wettertechnisch mehr als versöhnlich. Da gefallen im Nachhinein dann auch die nassen Regenbilder, wenn man auch reichlich Sonne genießen durfte. Morgen wäre dann nicht mehr viel zu reißen. Um 10 Uhr sollte trenitalia von der Porta Nuova ablegen und um 23:01 – so sah mein kühner es Plan vor – sollte ich Braunschweig erreichen. Dass das nicht klappen würde, damit rechnete ich im Grunde schon fest. Aber das Chaos am nächsten Tag war dann doch des Guten etwas zu viel, aber davon morgen mehr… Was ich noch gar nicht erwähnt hatte: Am Freitag ist ab 3 Uhr morgens der EVG Streik. Bis dahin sollte ich es also wenn möglich bis Braunschweig geschafft haben 😀


Donnerstag, 20. April 2023 – Freitag, 21. April: Turin – Braunschweig

Zu so einer Reise gehört ja meist unweigerlich auch immer eine lange Etappe der Rückfahrt, oft ein tagesfüllendes Unternehmen. Viele Stunden Fahrt, wenig Bilder. Und Turin – Braunschweig ist dann ja doch ein gutes Stück, aber so abenteuerlich, wie es sich am Ende darstellen sollte, hätte es dann doch nicht sein müssen… Meist ist es doch eher ein schlechtes Zeichen, wenn man über die Reiseetappen selbst lange berichten kann 😀 Aber der Reihe nach:

Um 10 Uhr sollte heute mein Trenitalia Frecciarossa 958 nach ganz weit in den Süden die Porta Nuova verlassen und mich bereits in Milano wieder rausschmeißen. Von dort dann mit einer halben Stunde Übergang wieder den EuroCity in die Schweiz, diesmal bis Basel SBB. Dann mit gut 40 Minuten Übergang mit der DB Basel Bad – Frankfurt und Frankfurt – Braunschweig. Der Plan klang eigentlich nicht schlecht und aus dieser Richtung rechnete ich nicht mit übermäßigen Verspätungen, sodass ich guter Hoffnung war, meinen Anschluss mit Ticketbruch in Basel zu bekommen. Das sollte sich noch als gigantische Fehleinschätzung herausstellen.
Zunächst aber suchte ich mir am Corso Vittorio Emanuele II ein Café, was wieder nicht lang dauerte und genehmigte mir einen Cappuccino und zwei süße Stückchen dazu. Eigentlich sollte es heute morgen bedeckt sein, sodass ich ruhigen Gewissens auf einen Gewaltstart verzichtet hatte. Nun war aber doch recht viel blau am Himmel, die Zeit aber schon recht fortgeschritten. Ich schlenderte also nur noch ein wenig den Corso hinunter bis zu Ecke bei der Haltestelle Della Rocca. Dort gab’s dann noch eine Abschiedsaufnahme von der Turiner Straßenbahn – natürlich mit 2800er 😉


2839 biegt auf der Ringlinie 16 an der Haltestelle Della Rocca vom Corso Vittorio Emanuele II auf den Corso Cairolo. Was für ein Spaß, hier noch ein letztes Mal das italienische Verkehrsgeschehen zu beobachten 😀

Jetzt war es auch schon Zeit, sich noch im Supermarkt ein wenig einzudecken, den Koffer zu holen und zum Bahnhof zu ziehen. Da alles etwas schneller ging als gedacht (das letzte Mal an diesem Tag), konnte ich mir in der Porta Nuova auch noch gemütlich einen Café genehmigen, bis ich zu meinem Frecciarossa ziehen musste. Der Platz war schnell gefunden und so richtig voll schien es nicht zu werden auf der kurzen Teilstrecke bis Milano.


Noch bin ich frohen Mutes und mache vor Abfahrt noch ein Bild meines Frecciarossa 9587, der mich bis Milano Centrale bringen soll.

10 Uhr kam und 10 Uhr ging und es passierte: Nichts. Es gab aber auch keine Information, warum nichts passierte. Puh, das wurde jetzt aber knapp auf meinen EC nach Basel. Der italienische Schnellverkehr steht ja eigentlich im Ruf, sehr pünktlich zu sein. Nach gefühlt ewigen 20 Minuten setzte sich der Zug dann aber doch in Bewegung. Wir erinnern uns: Übergang in Milano: 20 Minuten. Chefe drückte jetzt aber richtig auf die Tube und so pendelte sich die Verspätung auf der Live-Anzeige bei 18 Minuten ein. Schon mal online auf die Abfahrtstafel für Milano Centrale geschaut: Der EC sollte pünktlich sein und praktisch auf der anderen Seite des Kopfbahnhofes abfahren. Das würde gleich in einen veritablen Sprint ausarten. Diese Fahrt konnte also schon einmal nicht wirklich genossen werden.
Fünf Minuten vor Ankunft positionierte ich mich auf der Pole Position direkt an der Tür, möglichst weit Vorn im Zug. Quälend langsam rumpelte der Zug über das ewige Vorfeld bis zum Bahnsteig. Irgendwann stand er dann, die Türen öffneten sich und ich peste los. Der EC stand noch, dummerweise war aber der hintere Zugteil geschlossen, also jener der am nächsten zu erreichen war. Weiter entlang gesprintet und in die erste Tür gehechtet. Das war nun also geschafft! Gut am Hecheln nach dem Sprint mit all dem Gepäck, suchte ich meinen Platz auf. Der EC schien schon wieder nahezu ausgebucht, der Platz neben mir im Vierer blieb aber glücklicherweise frei. Nutzte nur nichts, denn wir fuhren nicht los. Dann die Durchsage: Wir stehen hier jetzt noch 30 Minuten und warten auf einen Anschluss. Ernsthaft? Meinem 40 Minuten Übergang in Basel SBB ging es also schon wieder an den Kragen. Es hätte aber gereicht. Hätte – wenn die Fahrt mit dem EuroCity nicht so unendlich zäh gewesen wäre. Der schien jetzt einen Slot jenseits von Gut und Böse bekommen zu haben. Ist ja eh zu spät, da macht es wohl keinen Unterschied. Leider ging dann auch die Fahrt entlang des Lago Maggiore etwas im Wetter unter. Es gab wirklich nicht viel Gutes zu berichten von dieser Rückfahrt. Aber mal eine ernsthafte Frage: warum hält dieser EuroCity am Lago Maggiore ausgerechnet in Stresa? Das ist ja nun wirklich nur ein Dorf.
Wir zuckelten mal hier vor uns hin und blieben mal dort auf freier Strecke stehen. Die Verspätung hatte sich mittlerweile auf 70 Minuten aufgeschaukelt. Mein Anschluss in Basel SBB wäre nicht zu bekommen – DB wollte pünktlich sein. Puuh, da hatte ich wohl die A-Karte gezogen, denn mein Ticket war in Basel SBB gebrochen, sprich: Ab dort ging es nach dem trenitalia Ticket mit dem DB-Supersparpreis weiter. Ich war schon am hin und her überlegen, wie ich es jetzt am dümmsten machen sollte, teuer würde es aber in jedem Fall werden, meine Reservierung war hin, genauso wie die 1. Klasse. Bis – ja bis ich zwanzig Minuten vor Basel mal wieder den DB-Navigator aktualisierte und dieser freudig einen Zugausfall verkündete: Mein ICE 274 hatte es auf der Hinfahrt nicht bis Basel SBB geschafft. Er würde zurück also erst ab Basel Bad einsetzen. Ein häufig praktiziertes Prozedere, wenn die DB Verspätung hat und ihre Trasse in die Schweiz hinein verliert. Die ICEs wenden dann einfach in Basel Bad und man muss zusehen, wie man mit einem anderen ICE oder der SBB bis dort kommt. Für mich war das jetzt natürlich Glück im Unglück und eine riesen Erleichterung. Nicht, dass ich den ICE 274 jetzt noch bekommen hätte, aber ich konnte mich nun natürlich darauf berufen, dass mein Zug in Basel SBB ausgefallen sei und mit irgendwas anderem weiterfahren. Das ich den im Leben nicht bekommen hätte, wenn er ansatzweise pünktlich gewesen wäre, davon wusste ja niemand 😉 1. Klasse – ich bin wieder im Rennen 😀


Nach langem Bangen war es schließlich die DB, auf deren Unplanmäßigkeit wiedermal Verlass war. So konnte ich ohne Nachlösen in Basel SBB umsteigen.

Da es noch 20 Minuten hatte, bis der nächste ICE Richtung Frankfurt abfahren sollte, blieb nun auch endlich mal Zeit was Essbares zu besorgen. Der Coop-Pronto auf der Bahnhofsbrücke bot eine reichliche Auswahl, um den Rucksack mit Fressalien und Getränken für die weitere Rückfahrt zu füllen. Der Zug wurde jetzt natürlich rappelvoll, aber an der 1. Klasse geht das zum Glück immer ein Stück weit vorbei und ich fand einen nicht reservierten Einzelplatz mit super Sicht, den ich bis Frankfurt würde behalten können.
Es lief aber auch weiterhin nicht so richtig. Bis Frankfurt waren es schon wieder gute 30 Minuten Verspätung, sodass der nächste Anschluss dort gerade weg war. Also eine Dreiviertelstunde warten. Ich nutzte die Zeit für einen Blick zur Straßenbahn auf dem Vorplatz, aber es regnete ununterbrochen vor sich hin und zehn Minuten Frankfurter Bahnhofsvorplatz sind dann auch wirklich wieder genug des Guten…


R-Wagen 030 hält in der Dämmerung bei Dauerregen am Hauptbahnhof. Irgendwas Interessantes kam nicht durch in den 10 Minuten die ich aushielt.


Die Lufthansa fährt auch Bahn: LH3486 fliegt bald Richtung München ab. Fliegen, vielleicht doch keine sooo schlechte Idee beim nächsten Mal… Die Bahn hatte jetzt ihre Chance gehabt, oder?

Also noch einen Kaffee getrunken und dann kam auch bald meine nächste Verbindung, mit der ich dann noch einmal in Hannover würde umsteigen müssen. Übrigens war auch das wieder irgendwas völlig verspätetes. Eigentlich sollte dieser ICE 592 nach Hamburg Altona schon um 20:14 Uhr abgefahren sein. Dann hätte ich ihn wahrscheinlich auch selbst nicht bekommen. Stattdessen stand inzwischen schon 21:06 auf der Uhr. Naja, man nimmt es langsam gelassen, denn nach dem überstandenen Ticketbruch in Basel, brachte mich jetzt nichts mehr aus der Ruhe. Irgendwann würde ich heute Abend, bzw eher morgen früh schon ankommen in Braunschweig. Stichwort “morgen früh”: Da war doch noch was? Richtig, der EVG-Streik ab 3 Uhr. Das der mir nun bei einer ursprünglich mal geplanten Ankunftszeit um 23:01 Uhr noch gefährlich wurde, sagt wohl alles über die Pünktlichkeit des System Bahn in diesen Tagen… Die letzte Westfalenbahn sollte jedenfalls um 01:13 Hannover Richtung Braunschweig verlassen. Gut – so fair muss man sein – der 01:13er wäre auch sonst quasi der Letzte, aber um 03:13 würde es eben schon weitergehen. Ich hatte schonmal Vorkehrungen getroffen, falls nun noch alles schiefgehen sollte und ein potenzielles Taxi nach Braunschweig gebeten, das Smartphone möglichst nicht auf lautlos zu stellen in der Nacht 😉 Eigentlich wollte ich aber eh auf den RE60 um 00:14 Uhr, hatte also auch noch eine Stunde Puffer. Den 00:14 sah ich dann gerade noch ausfahren, als mein ICE gerade den Bahnsteig erreichte. Das nenne ich einen Service. Wo doch inzwischen eh kaum mehr etwas unterwegs war wegen des aufziehenden Streiks, hätte man den Anschluss sicher abwarten können ohne große Komplikationen…


Bis Hamburg Altona würde es der ICE 582 noch schaffen vor dem Streik, im Gegensatz zu zwei Reisenden, die mit Abfahrt des Zuges von der Rolltreppe gehastet kamen – die waren dann wohl gestrandet in Hannover. Stranden – okay – aber dann noch ausgerechnet in Hannover 😉 Für mich stand zum Glück noch der RE60 auf der Tafel, der als letztes vor dem Streik von diesem Gleis ablegen würde.

So hatte ich noch eine Stunde mitten in der Nacht am Hauptbahnhof Hannover gewonnen. Fast in einer Kategorie mit Frankfurt Hbf würde ich sagen. Während die Reinigungtrupps damit beschäftigt waren Ordnung zu schaffen, schmiss ein Obdachloser genau vor Ihnen den Müll aus den Eimern wieder auf den Boden. Unbeschreibliche Szenen, vor allem weil es die Putzkolonne irgendwie auch nicht zu stören schien. Ein anderer hatte eine der Wartekabinen auf dem Bahnsteig in Beschlag genommen und zog dort höchst konzentriert sein Fitness-Programm durch. Einige Nachtschwärmerinnen, die auf denselben Zug warteten wie ich, waren von der Szenerie in ähnlichem Maße wie ich gefangen zwischen Belustigung, Verwunderung und Verstörtheit.

Ein Ausflug zu einer der letzten Abfahrten der 10 von der oberirdischen Haltestelle Hauptbahnhof/ZOB half, die Zeit wenigstens etwas zu verkürzen. Dann setzte ich mich ganz ans Ende meines Bahnsteiges, wo ich alles im Blick behalten konnte und wartete nochmals 20 Minuten in Sichtweite der zur Mukkibude umfunktionierten Wartekabine.


Bei der Stadtbahn ist noch nicht ganz Nachtruhe: Eine 10 wartet an der Haltestelle Hauptbahnhof/ZOB noch auf Abfahrt.

Der RE60 der Westfalenbahn war dann tatsächlich der einzige pünktliche Zug der ganzen Fahrt. Was für ein Gefühl der Ermächtigung, neben dem Braunschweiger Hauptbahnhof eigenhändig den Zündschlüssel im Schloss zu drehen und prompt abzulegen 😀 Auf der kurzen Heimfahrt grüßten noch Marder, Dachs und Reh vom Straßenrand, dann war es geschafft!


Epilog

Das hatte sich doch gelohnt! Eine wirklich tolle Tour und abseits der An- und Abreise auch super entspanntes Reisen. Mit den gebrochenen Tickets hatte ich mir natürlich auch selber ein Ei ins Nest gelegt, aber das hier in beide Richtungen alles von Vorn bis Hinten so massiv verspätet ist… Ja – vielleicht hätte ich auch das ahnen können. Aber es war eben die erste derartige Bahntour nach Corona, da ist man etwas aus der Übung. Auf der Hinfahrt war ja auch alles gut gegangen und mit 5 Stunden Puffer in Bern musste es das eigentlich auch. Aber auf der Rückfahrt waren die 40 Minuten in Basel Bad wohl doch zu optimistisch gewesen. Im Nachhinein recherchierte ich mal: Scheinbar sind diese EC’s nach und von Mailand immer massivst verspätet. Aber et hätt ja nochmal jot jejange – oder so ähnlich 😀

Ansonsten hat diese Tour wirklich begeistert. Wie erwartet, machte das Fotografieren und Herumtreiben in den italienischen Städten großen Spaß. Niemand stört sich daran, wenn man irgendwo herumlungert kreuz und quer über die Straße läuft und wenn man eine Pause braucht, kann man immer mal schnell ins nächste Café stehen. Spannende Architektur und Motive gibt es ohnehin an jeder Ecke – mehr, als man hätte erledigen können.

Letztlich war es war es jetzt auch überall höchste Zeit, die Altwagen noch einmal ausgiebig zu besuchen, denn bei allen drei Betrieben stehen teils schon in den nächsten Monaten die Neufahrzeuge in den Startlöchern und werden zumindest mittelfristig wohl einen Großteil des alten Geraffels ablösen. Das Heulen und Zischen, dass mich nun neun Tage begleitet hatte, wird dann wohl für immer Verstummen auf den italienischen Straßenbahnschienen. Irgendwie schon ein wenig traurig, sind die Fahrzeuge hier doch wirklich kultig. Selbst die alten Niederflurwagen sind irgendwie auch schon wieder besonders. Auf der anderen Seite ist es natürlich gut zu sehen, dass der gigantische Sanierungsstau langsam angegangen wird. Und zumindest in Mailand werden die Ventottos wohl uns alle überleben und noch lange vor sich hin zischen, heulen und rumpeln 😉

Ich würde sagen, Rom und Italien haben ihre 2. Chance mehr als genutzt!

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