CrossCountry Switzerland XII: Von Luchsen und Karlsruhern an YSteC und OC

Heute geht es dann nach langem Anlauf hinauf in den Jura. Erstmals wollte ich mir die YSteC von Yverdon hinauf nach Ste-Croix einmal genauer ansehen und am Abend lockten dann noch zwei Karlsruher Exilanten.


Mittwoch, 11. Oktober 2023

Nach drei Tagen mehr oder weniger “Autofotografie” hatte ich heute aber mal wieder so richtig Lust auf eine ausgiebige Tour mit dem Rad. Von unser etwas zweifelhaften Unterkunft, wo es in der Küche noch ein schmales Frühstück gab, fuhren wir hinüber nach Bercher, dem Endpunkt der LEB. Wer meine Reisen schon etwas länger verfolgt, der erinnert sich vielleicht noch an meinen Besuch hier vor gut zwei Jahren: Über den Röstigraben und Retour IX: Von der LEB hinauf in den Jura. Seither gab es hier nicht wirklich etwas neues, daher hatte ich Bercher auch eher als strategischen Punkt der Trennung vorgesehen. Am Bahnhofsparkplatz lud ich das Rad ab und rüstete alles Nötige für eine lange Tagestour auf. Auch ohne die LEB hatte ich genug Tagesprogramm, um mich nicht langweilen zu müssen, denn mit der YSteC und den Karlsruhern auf der OC gab es hier in der Ecke gleich zwei interessante Ziele für den Tag. Nach etwas überlegen hatte ich mich heute Morgen dafür entschieden, mit der YSteC anzufangen, an dieser einmal komplett mit dem Rad entlangzufahren und dann am späten Nachmittag noch nach Orbe hinabzurollen, sollte die Zeit es zulassen. Ein durchaus straffes Programm: Mit etwas hin und her dürften das rund 70 Kilometer bei gut 1100 Höhenmetern bergauf werden. Es galt daher keine Zeit zu verlieren und umgehend hinüber nach Yverdon an den Ausgangspunkt der YSteC zu radeln. Das wären dann die ersten 15 Kilometer des Tages. Zwischendurch ging es sogar durch ein lauschiges kleines Flusstal, ansonsten durch die kleinen Dörfchen dieser Gegend, die in die weite, hügelige Agrarlandschaft eingebettet sind. Macht einfach Spaß, hier auf den kleinen Asphaltsträßchen durch die Hügel zu radeln, auch wenn mein Rad dafür vielleicht die falsche Kategorie ist, aber die Offroad-Fähigkeiten würden heute durchaus noch gefragt sein… Nach einer knappen Stunde war gegen halb zehn Yverdon erreicht. Eingekauft hatten wir schon am Weg nach Bercher, sodass ich keinen logistischen Halt mehr in der Stadt am Ufer des Lac du Neuchâtel mehr einlegen musste. Nur in der Innenstadt gab es einen Halt für ein paar Aufnahmen am Place Pestalozzi und anschließend konnten am ersten abgenommenen Brunnen seit Bercher die Wasserreserven für die nächsten Stunden ergänzt werden. Das ist hier rund um die Westschweizer Seen immer ein wenig schwierig, denn anders als in den hochalpinen Gegenden der Schweiz und im deutschsprachigen Mittelland, ist man hier mit geprüften Trinkwasserbrunnen eher geizig.


Die Uhr am Château d’Yverdon-les-Bains zeigt 20 nach 9, als ich aus Bercher kommend Yverdon erreiche.


Erste Sonnenstrahlen erreichen die Place Pestalozzi im Herzen von Yverdon.

Den Bahnhof und die völlig verbaute Ortsdurchfahrt von Yverdon neben der Regelspur ließ ich unbeachtet und fuhr gleich zum Stadtrand weiter. Ich fuhr mal noch am Haltepunkt La Brinaz unter der A5 durch und stellte mich dann an der Straße nach Valeyres sous Montagny für das erste Motiv. So richtig viele Schmalspurstrecken, die ich noch völlig neu entdecken kann, gibt es mittlerweile nicht mehr in der Schweiz. Die YSteC zählte aber definitiv zu jenen, bei denen das noch eher der Fall war. Zwar war ich schon dreimal hier, aber nur ein Spaziergang bei Ste-Croix und ein anschließender Besuch des Bahnhofes in Yverdon im Jahr 2011 waren etwas intensiver. Ansonsten stehen nur zwei sehr kurze Kurzbesuche mit mäßigem Wetter oder halb eingestelltem Verkehr in den Jahren 2016 und 2021 zu Buche. Der Tag sollte aber noch zeigen, dass sich ein genauerer Besuch an dieser Strecke motivlich durchaus auszahlt. Zum Einsatz kommen neben den zwei GTW 2/6 2000 und 2001 aus dem Jahr 2001 ausschließlich die neuen Be 4/4 3001-3006 aus 2016. Wie bei der MOB, MBC oder der CJ, haben die Triebwagen jeweils nur einen Fahrerstand und da es keine passenden Steuerwagen gibt, kommen in der Regel immer zwei der Triebwagen in einem Zug zum Einsatz und nehmen einen der drei ebenfalls 2016 beschafften Mittelwagen AB 3031-3033 ins Sandwich. Daneben sind allerdings auch eher ungewöhnliche Kombinationen mit älterem Wagenmaterial möglich, wie man es etwa von der CJ oder MBC kennt. So gibt es etwa Aufnahmen von den neuen Triebwagen mit dem Steuerwagen Bt 51 aus 1983, oder dem Bt 55 im GTW 2/6-Design aus 2006. Gesehen habe ich selbst solche Einsätze bislang noch nicht, angesichts des überwiegenden Halbstundentakts, für den mindestens drei Züge benötigt werden, ist es aber durchaus vorstellbar, dass solche Einsätze hin und wieder nötig werden, da auch die beiden GTW 2/6 meist als Doppeltraktion zum Einsatz kommen und somit für drei Umläufe nur vier Züge zur Verfügung stehen, wenn die Be 4/4 im Sandwich verkehren. Für heute hoffte ich zumindest mal auf das GTW 2/6-Doppel, denn zum einen bringt das noch etwas Abwechslung, zum anderen fehlten mir die beiden noch im aktuellen Farbschema. Den Auftakt machte aber zunächst mal ein Be 4/4-Sandwich.


Zwischen den Haltepunkten La Brinaz und Valeyres sous Montagny kommt mir das Sandwich aus Be 4/4 3004 und 3003 und AB 3032 Richtung Yverdon entgegen.

In dem kleinen Kessel, in den sich das folgende Dorf Valeyres sous Montagny schmiegt, würde sich durchaus ein schöner Blick vom Hang auf die Strecke im Talgrund ergeben. Aber auch nach zwanzig Minuten Erkundung der Hanglagen ergab sich kein passender Durchblick von öffentlichem Grund. Hatten mal wieder alles vollgebaut hier die Schweizer. So fand ich mich für den nächsten Kurs Richtung Yverdon dann doch am Talgrund wieder, aber auch hier war das Motiv durchaus lauschig.


Durch eine enge Kurve am Talgrund rollt das Sandwich aus Be 4/4 3002, 3001 und Ab 3031 durch Valeyres sous Montagny auf gleichnamigen Haltepunkt Richtung Yverdon zu.

Jetzt fiel ich in eine einstündige Vormittagslücke, in der der Halbstundentakt etwas unmotiviert eine Stunde aussetzt. Da könnte man ordentlich Strecke machen. Das “Problem” war allerdings, dass mir schon nach nicht einmal einem Kilometer das nächste Motiv ins Auge stach und irgendwie konnte ich das nicht einfach liegen lassen. Also das Rad abgelegt und den Rucksack für ein zweites Frühstück geplündert, nachdem das heute Morgen doch sehr schmal ausgefallen war. War auch schon wieder super entschleunigend, hier in der gemütlichen Landschaft eine Dreiviertelstunde herumzulungern, etwas zu essen, einen Kaffee zu trinken und dabei den ein oder anderen ZEIT-Artikel durchlaufen zu lassen. Um Elf kreuzten die beiden nächsten Züge dann vorn in Vuiteboeuf, sodass beide Richtungen recht kurz nacheinander durchkamen. Aus Ste-Croix kam dann überraschend das GTW 2/6-Doppel hinab, sodass ich noch einige Meter zurückhastete, um das Motiv etwas zu verlängern. Entweder hatte der mich vorhin umlaufen, als ich am Hang von Valeyres herumgefahren war, oder man hatte oben in Ste-Croix irgendwas durchgetauscht. Möglich wäre das dank der großen Wagenhalle dort oben problemlos.


Im Schatten einer Obstwiese wartete ich am Rande eines großen Phacelia-Feldes, das später auch als Motiv dienen sollte, auf die nächsten Kurse.


Von hinten kam dann Richtung Ste-Croix das schon bekannte Tripple aus 3004, 3032 und 3003.


Nur wenige Meter weiter, immer noch kurz hinter Valeyres, kommt in Gegenrichtung das in Vuiteboeuf gekreuzte GTW 2/6-Doppel aus 2000 und 2001 Richtung Yverdon durch.

Um nun doch mal etwas voranzukommen ging es anschließend ohne Halt an Essert-sous-Champvent vorüber. Dauraufhin folgt ein größeres Waldstück hinüber nach Vuiteboeuf in dem ohnehin nichts geht. Dahinter gab es einen Schuss querab, weil eh gerade was kam, bevor es weiter Richtung Baulmes ging. Erst an einem Bahnübergang zwischen Vuiteboeuf und Baulmes legte ich dann den nächsten richtigen Fotohalt ein, da von unten nun das GTW 2/6-Doppel wiederkommen müsste und es hier gerade ein ganz nettes Motiv in der typischen Agrarlandschaft gab.


Am Waldrand vor dem Bahnhof Vuiteboeuf gab es ein Gelegenheitsaufnahme eines Be 4/4-Sandwichs, bevor es weiter Richtung Baulmes ging.


Unweit des Bahnüberganges zwischen Vuiteboeuf und Baulmes wartete ich dann gezielt aus das GTW 2/6-Doppel aus Yverdon. Die Stelle hier bietet sich übrigens auch am späten Nachmittag von der Hangseite aus für einen weiten Blick hinab bis zum See an.

Vor Baulmes verläuft die Strecke dann unter der eindrucksvollen Felswand, durch die sich die Strecke später nach der Kehre bei Six-Fontaines ihren Weg hinauf nach Ste-Croix sucht. Gleich zwei Motiv boten sich hier an, sodass ich einen Zug je Richtung hier variierte. Da aus Ste-Croix dann schon wieder das GTW 2/6-Doppel an der Reihe war, nahm ich auch dieses gleich noch hier mit, bevor ich mir mit ungewissen Motivchancen die Kehre bei Six-Fontaines ansehen wollte.


Querab lässt sich vor Baulmes die eindrucksvolle Geröllwand abbilden, durch die sich die Strecke nach einer 180-Grad-Kehre bei Six-Fontaines die Steigung in den Jura hinauf nach Ste-Croix quält. Bei ganz genauem Hinschauen kann ziemlich genau über dem Be 4/4-Sandwich der Zaun neben der Strecke im Geröllhang erkannt werden.


Ein Be 4/4-Sandwich Richtung Yverdon habe ich unterschlagen, da als nächstes schon wieder das GTW 2/6-Doppel Richtung Yverdon an der Reihe war, dass ich an exakt der selben Stelle bei der Ausfahrt aus Baulmes umsetzte.


Baulmes ist eines dieser typischen, leicht morbiden Juradörfer, in denen die Fassaden doch immer etwas gealterter wirken als in anderen Teilen der Schweiz. Durch den Ort hindurch suchte ich den Weg auf das Asphaltsträßchen nach Six-Fontaines.


Blick hinauf an einem Uhrenturm im Dorfkern.

Die Strecke nach Six-Fontaines war dann bis zur Kehre ein ganz klarer Fall für den späten Nachmittag. Auch wenn das im Oktober wohl ein recht kurzer Zeitslot von nur einer, maximal zwei Stunde sein dürfte zwischen Licht weit genug rum und Schatten schon auf der Strecke. Aber ich merkte es mir mal für den Rückweg. Im noch sehr ursprünglichen Bahnhof von Six-Fontaines ließ sich dann aber was umsetzen. Solche “naturbelassenen” Bahnhöfe werden auch an den westschweizer Schmalspurbahnen allmählich zur Rarität. Hier an der YSteC könnte der Bahnhof in Six-Fontaines gar der letzte mit “Dreckbahnsteig” sein.


Ein inzwischen auch an den westschweizer Schmalspurbahnen zunehmend seltenes Bild: Ein Bahnhof in seiner ursprünglichsten Form mit Resten alter Gütergleise und klassischem “Dreckbahnsteig”. Der hier zufällig angetroffene Mitreisende flüchtete für meine Aufnahme noch rechtzeitig Richtung Bahnhofsgebäude, nachdem er die Einfahrt des Sandwich 3004+3032+3003 seinerseits auf den Chip gebannt hatte. Irgendwie trifft man sich im Laufe eines Tages doch immer irgendwo 😀

Nach dieser Erkundung sollte es nun hinauf nach Ste-Croix gehen. Wie die Felswand auf den letzten Bildern vermuten ließ, ist das dann die ernstzunehmende Höhenstufe hinauf in den Jura. Zwischen Baulmes auf 631 Metern und Ste-Croix auf 1066 Metern fährt die Bahn schließlich nicht umsonst die Kehre bei Six-Fontaines aus und schlängelt sich anschließend in einem großen Bogen am Hang entlang hinauf nach Ste-Croix. Dabei verläuft die Strecke allerdings ab Six-Fontaines bis kurz vor Saint-Croix mit nur wenigen kreuzenden Wegen mitten durch den Wald. Die bekannten Felsmotive, die man von diesem Abschnitt hin und wieder sieht, sind dann in der Regel auch bei Sonderfahrten aufgenommen, denn wahlweise gibt es hier keine Zuwegung, oder aber keinen sicheren Standpunkt neben dem Gleis. Mit dem Rad ging es zunächst zurück nach Baulmes, denn hier geht Richtung Nordwesten das für den MIV gesperrte Asphaltsträßchen ab, über das man mitten im Wald die Schotterpisten erreicht, die meist gar nicht weit von der Bahntrasse entfernt nach St-Croix hinaufführen. Kurz hinter dem Abzweig auf die Schotterpiste war es sogar für wenig hundert Meter mal etwas freier, aber so richtig lohnte für dieses “Nicht-Motiv” das Warten auf den nächsten Kurs nicht.
Also ging es weiter durch den Wald auf der nun grobschlächtigen Schotterpiste und oftmals im niedrigsten Gang den Steilhang hinauf. Um auf dem felsigen und unebenen Untergrund genug Traktion zu behalten, musste die Dämpfung trotz steiler Bergfahrt zumindest auf mittlere Stufe geöffnet werden. Kann man sich wieder fragen, wer sich solche Wege mit dem Rad hochquält, aber im Gegensatz zum kurzen Vergnügen des Runterfahrens, wo man aber 100 % der Konzentration auf Fahrtechnik und den Weg vor sich richten muss, ist es bergauf halt einfach nur anstrengend, geistig und fahrtechnisch über weite Strecken aber weniger herausfordernd. So bleibt Zeit, die Landschaft zu genießen oder wie jetzt mitten im Wald den Blick etwas nach rechts und links schweifen zu lassen und das ein oder andere Detail zu entdecken. Zugegeben gab es auf dieser Piste nicht allzu viel zu entdecken – auf den ersten Blick. Aber auf den zweiten Blick – nein, das kann nicht sein. Hat sich da gerade etwas im Muster des trockenen Unterholzes am Hang neben mir bewegt? Etwas erstaunlich Großes hätte das sein müssen, damit der periphere Blick es bemerkt. Tatsächlich und absolut unerwartet lag dort ein bestens getarnter Schatten am Hang: Ein Luchs! Es heißt ja immer, die Tiere seien extrem scheu und würden quasi nie gesehen. Tatsächlich gibt es aber auch zahlreiche Berichte, dass die Tiere aufgrund ihrer Stellung als Spitzenprädatoren und der nicht mehr vorhandenen Bejagung gar nicht mal so scheu sind, sondern eher neugierig gegenüber allem neuen in ihren Revieren und dem Menschen gegenüber recht desinteressiert – wir werden eben weder als Konkurrenten noch als Beute angesehen. Die extrem seltenen Sichtungen liegen vielmehr daran, dass die Tiere als Einzelgänger extrem große Reviere beanspruchen und man sie aufgrund ihrer guten Tarnung, der gesteigerten Aktivität in Dämmerung und Nacht und der fast lautlosen Fortbewegung eben meist auch nicht einmal dann bemerken würde, wenn sie fast neben einen stünden. So gibt es ja auch im Harz seit einigen Jahren wieder Luchse aber trotz zahlreicher Besuche dort ist mir nie einer (bewusst) über den Weg gelaufen. Ich bin ja bislang nicht einmal einem Wolf begegnet, obwohl meine heimischen Radelgefilde im Norden Braunschweigs Richtung Heide durchaus verstärtes Wolfsrevier sind. Aber hier ohne Vorwarnung plötzlich 15 Meter neben einem Luchs zu stehen – das gibt es doch nicht. Und was nicht fotografiert oder gefilmt wurde, hat auch nie stattgefunden. Also gab es natürlich nur eins: Das Rad in die Ecke gelegt und die Kamera rausgeholt. Natürlich jetzt etwas ärgerlich, dass ich angesichts des heute avisierten Tagesprogrammes nur das 18-35 für Lanschaftsaufnahmen auf der Z50 dabei hatte und so maximal bis “Standardbrennweite” kam.  Aber jede Wette: Hätte ich das 50er oder das 24-120 dabei gehabt, wäre mir der Luchs nicht über den Weg gelaufen – Murphy eben 😉 Angesichts dieser unwahrscheinlichen Begegnung haderte ich auch nicht damit, sondern machte das Beste draus. Und die faszinierende Katze war auch derart entspannt, das sich selbst bei 35mm auf Crop was machen ließ und bisschen herausvergrößern geht ja auch noch.


Im Unterholz am Wegesrand kaum zu erkennen liegt plötzlich einer von nur rund 80 Luchsen des Jura am Hang und hält Siesta. Der Störenfried wurde natürlich längst erkannt und aufmerksam fixiert. Die scheue Katze scheint aber zu wissen, dass von Menschen für sie heute keine Gefahr mehr ausgeht. Erst recht nicht von solchen auf zwei Rädern mit auffällig orangen Akzenten an Rad und Helm. So würde sich wirklich kein ernst zu nehmender Feind versuchen anzuschleichen.


Bis auf 10/15 Meter ließ mich der Luchs herankommen. Näher versuchte ich aus Respekt vor der majestätischen Katze nicht, schließlich bin ich hier der Eindringling. Der Blick in diese wachsamen, großen Augen – absolut faszinierend. Etwas ganz anderes, ein solches Tier in seinem natürlichen Habitat zu beobachten, dort wo es Herrscher und Überlebenskämpfer zugleich ist, als irgendwo in einem Gehege durchdrehend hinter Gittern den immergleichen Weg auf und ab laufend. Keine Zoobesuche eines ganzen Lebens können aus meiner Sicht eine solche, einmalige Begegnung aufwiegen.


Nach einiger Zeit schlich der Luchs ein paar Meter weiter und legte sich dort erneut nieder, nicht ohne den Besucher auch nur eine Sekunde aus den Sinnen zu verlieren. Das vorwiegend dämmerungs- und nachtaktive Tier schien momentan nicht gerade im Jagdstress…

Wie lange ich hier verweilte kann ich gar nicht mehr sagen. Sogar zwei talrasende E-Bike-Rentner rauschten zwischenzeitlich durch und hatten nur einen kurzen Blick übrig, was ich hier trieb mit Kamera im Anschlag in den Hang starrend. Natürlich entdeckten sie den gut getarnten Luchs nicht, wie auch ich ihn auf Talfahrt niemals erkannt hätte. Nach vielleicht zehn, fünfzehn Minuten in denen ich das Tier einfach nur beobachtete und ab und zu noch ein Bild versuchte, riss ich mich dann doch los. Den Luchs schien ich weiterhin nicht zu jucken, auch wenn er mich nicht aus dem Blick ließ. Näher heran für ein noch besseres Foto wollte ich aber auch nicht, dass würde eine Grenze des Respekts überschreiten. So verließ ich bald diese einmalige Szenerie, ohne ansatzweise verarbeitet zu haben, was hier gerade geschehen war, sodass ich einfach im Programm fortfahren konnte, als wäre nichts gewesen. Bis Ste-Croix hatte ich bei der unverhofften Begegnung bereits etwa die Hälfte der Strecke, aber weit mehr als die Hälfte der Steigung geschafft, sodass das Treten alsbald wieder weniger anstrengend wurde und es die letzten Meter bis zur offenen Landschaft rund um Ste-Croix sogar wieder leicht bergab rollte. Direkt dort, wo die Strecke aus dem Wald bricht, bot sich von meiner Piste ein netter Blick über eine erste Wiese. Anschließend ging es für einen Blick in den Bahnhof und einen Besuch beim örtlichen Coop in den Ort hinauf. Der Bahnhof war seit meinem bislang einzigen Besuch hier oben komplett saniert worden, sodass ich zugunsten eines Landschaftsbildes auf das moderne Bahnhofsbild verzichtete und nach dem Besuch des Detailhändlers gleich wieder in die Wiesen unterhalb des Ortes hinüberrollte. Bei Kaffee und Stückchen aus dem Coop wartete ich am Gegenhang auf die nächste Ausfahrt Richtung Yverdon.


Die Steigung hinauf in den Jura ist geschafft und direkt am Waldrand fällt ein erster Blick auf die letzten Meter der Strecke hinüber nach Ste-Croix auf denen sich das Landschaftsbild noch einmal hin zu offenen Wiesen wandelt.


Während ich zum Coop fuhr, war der Mitreisende unwissend wiedermal nicht fern und hielt den eben von mir aufgenommenen Zug aus 3001, 3031 und 3002 im grundsanierten Bahnhof von Ste-Croix fest.


Nach dem Einkauf ging es wieder aus dem Ort in den Jura-Höhen heraus an den kurzen Streckenabschnitt durch die Wiesen. Vom Gegenhang – ohnehin mein Weg zurück hinab nach Baulmes – nahm ich das nächste Be 4/4-Sandwich bei der Ausfahrt auf. Der Mitreisende war derweil unten auf Gleislevel an der Strecke unterwegs, wie der spätere Austausch ergab. Ich muss ihn aus der Ferne wohl für einen gewöhnlichen Spaziergänger gehalten haben.

Durch den Luchs und das Gebummel am Vormittag war es hier oben nun doch schon etwas später, als ich grob geplant hatte, sodass ich nach diesen zwei Aufnahmen wieder den Rückweg antrat. Denn zwei Ziele hatte ich noch für heute: Die Nachmittagsmotive am Abschnitt zu Kehre zwischen Baulmes und Six-Fontaines und ein Abstecher an die OC. Orbe ist vom Bahnhof Six-Fontaines keine zehn Kilometer entfernt und es würde überwiegend bergab gehen, sodass von ein oder zwei Fahrten der Karlsruher Exilianten zwischen Orbe und Chavornay noch Sonnenaufnahmen drin sein sollten. Runter ging es dann wenig erstaunlich wieder ungleich schneller. Die zwischenzeitliche Steilabfahrt auf mit Längsrillen durchsetztem, grobschlächtigem Schotter, verlangten durchaus einiges ab, dann ging es aber auch bald wieder recht entspannt auf sicherem Untergrund weiter. Kurze Ausblicke Richtung See hinunter wirkten erstaunlich diesig, während es unten bei Baulmes nach wie vor schönstes klares Nachmittagslicht hatte. Das kleine Asphaltsträßchen Richtung Kehre geht hier immer wunderbar neben der Strecke her und immer wieder eröffnen sich schöne Blicke. Zu viele, als dass ich die bei den länger werdenden Schatten noch alle hätte umsetzen könnte, sodass ich zwischendurch immer wieder etwas in Eile war, um keinen Zug zu verpassen.


Runter ging wie immer ungleich schneller, sodass ich schon eine halbe Stunde später wieder zwischen Baulmes und Six-Fontaines stand und das Be 4/4 Sandwich aus 3003, 3032 und 3004 Richtug Ste-Croix aufnahm.


Weiter ging es in herrlich verschlafener Landschaft in Richtung Six-Fontaines.


Blick zurück Richtung Baulmes über eine der lauschigen Wiesen mit versprengten, schon herbstlich angehauchten Laubbäumens.


Ziel war das GTW 2/6-Doppel Richtung Yverdon and der Stelle direkt hinter der Kehre bei Six-Fontaines mit Blick Richtung Lac du Neuchâtel, von dem im Dunst nur eine kleine Ecke am rechten Bildrand erkennbar ist.


Es hatte noch immer letzte Sonnenspots an der Strecke zwischen Baulmes und Six-Fontaines, sodass ich ein Stück zurück Richtung Baulmes auch noch das Be 4/4-Sandwich 3001, 3031 und 3002 Richtung Ste-Croix mitnahm, bevor es Zeit wurde Richtung Orbe aufzubrechen.

Richtig gut gefallen hatte es mir hier an der YSteC. Um den Tag noch krönend abzuschließen suchte ich mir nun aber meinen Weg hinüber nach Orbe. Das Gute: Auf den knapp zehn Kilometern geht es fast konstant rund 200 Meter bergab. Das war also gut in einer halben Stunde zu schaffen, sodass die halb Sechs Ankunft in Orbe gut im Bereich des Möglichen lag. Ich hatte nämlich noch etwas erstaunt feststellen müssen, dass die OC jetzt am frühen Abend nurmehr im Stundentakt läuft. Es würde dann anschließend also nur noch höchstens eine Pendelfahrt bei Licht bleiben. Zunächst würde der Karlsruher nun aber in Orbe ankommen, sodass ich durch den dichten Berufsverkehr gleich am Bahnhof vorbei radelte und eine Stelle an der großen Kurve hinauf zum Bahnhof Orbe suchte. Zunächst fuhr ich unter der Brücke unter der großen Kurve durch und schaute mich kurz um. Vom Hang hätte man natürlich eine deutlich bessere Perspektive. Also wieder zurück und in die kleine Anrainerstraße mit Ausblick auf die große Kurve. Dummerweise hatte ich den rasant wachsenden Schatten etwas unterschätzt. Wenige Minuten Verspätung reichten, damit der Damm im Vordergrund schon komplett verschattet war. Zumindest aber der Triebwagen bekam noch bis fast zum ursprünglich geplanten Auslösepunkt Sonne ab.


Keine zehn Kilometer entfernt von der YSteC liegt das Städtchen Orbe, das über die kaum vier Kilometer lange Stichstrecke Orbe-Chavornay an das SBB-Netz angeschlossen ist. Als einst erste elektrifizierte Regelspurstrecke der Schweiz ist die kurze Linie noch heute ein Sonderling und wird mit einer Gleichspannung von 750V betrieben. Perspektivisch soll die Strecke nun doch in das S-Bahn-Netz integriert werden. Bis es soweit ist, beschaffte man übergangsweise im vergangenen Jahr allerdings zwei der in Karlsruhe ausgemusterten Zweisystem-Stadtbahnen GT8-100C, von denen im Regelbetrieb einer benötigt wird, um im Stunden- oder Halbstundentakt über die kurze Strecke nach Chavornay zu pendeln. Der ehemalige GT8-100C 819 der AVG, nun als Be 4/8 003 bezeichnet, erreicht hier aus Chavornay kommend gerade Orbe und holt über eine langgezogene Kurve auf einem Damm aus, um auf die Höhe des Bahnhofes in Orbe zu gelangen.


Deutlich besser getroffen hatte es am Damm bei Orbe am Vormittag der Mitreisende mit der historischen Stadt-Silhouette von Orbe. Diese schöne Ansicht möchte ich nicht vorenthalten. Man kann eben nicht überall gleichzeitig sein…

Recht überrascht hatte ich eben beim Vorbeifahren festgestellt, dass der Bahnhof Orbe noch im schönsten Abendlicht lag. Da der Karlsruher “dank” des Stundentaktes nun ohnehin ewig im Bahnhof stehen würde, konnte ich mich ganz in Ruhe davon überzeugen, ob dort noch immer Sonne schien. Dem war dann auch so, sodass ich hier nach dem Schattenschaden von eben ein erstes richtiges Bild der “neuen” Wagen auf dieser Strecke eintüten konnte.


Der Bahnhof Orbe versprüht irgendwie so richtiges Nebenbahnflair, als sei hier seit der Eröffnung kaum etwas verändert worden. Be 4/8 steht seine lange Pause in schönster Abendsonne ab, während im Hintergrund der zweite im Bunde, nun als Be 4/8 004 bezeichnet, auf weitere Einsätze an einem anderen Tag wartet.


Hier noch der Blick des Mitreisenden am Vormittag auf den zweiten GT8-100C, nun Be 4/8 004 vor dem urigen Güterschuppen in Orbe.

Trotz der langen Pause war noch ein Bild drin, denn zwischen Orbe und Charvonay ist es nicht nur für Schweizer Verhältnisse wirklich pottflach und die Höhen des Juras schon weit genug entfernt, dass die Sonne wirklich erst wenige Minuten vor rechnerischem Sonnenuntergang verschwindet. Dorthin verschob ich mich dann im Folgenden und wartete ab, bis der Karlsruher aus Orbe startete. Unterdessen gab ich schonmal meine Position durch, sodass wir uns gleich die Straße hoch an der Ortseinfahrt von Orbe am Coop Pronto treffen könnten.


Kaum losgefahren und Orbe verlassen, ist für Be 4/8 004 auch schon das Ziel Charvonay in Sichtweite – ein wirklich eigentümliches Kleinod diese Strecke 😀 Selbst die Rückfahrt eine Viertelstunde später war noch in der letzten Sonne, die Farben hatten aber schon zum Schlechteren nachgelassen und variieren ließ sich hier auch nicht mehr groß, sodass ich es bei diesem Bild zum Abschluss belasse.

Ich radelte noch den knappen Kilometer zur Tanke mit dem Coop Pronto zurück und wurde bereits erwartet. So konnte ich direkt das Rad verladen und wir anschließend zum Einkauf des Abendessens im Pronto schreiten. Wie immer wurde etwas variiert mit den Salaten und Backwaren und nach bald zwei Wochen fängt man auch irgendwann an etwas zu experimentieren um noch etwas Neues zu entdecken. Wieder draußen am Auto ließen wir mal das Navi rechnen und nachdem ich eben schon stark in Versuchung gekommen war, äußerte ich nun doch den Gedanken an einen frischen Kaffee vor dem Abendessen, angesichts der doch noch guten Stunde Fahrt. Meine Idee stieß sofort auf Anklang – also gleich wieder zurück und noch zwei Kaffee geholt. Dann konnte es losgehen zum letzten Ziel dieser Reise, der Chemin de fer du Jura. Während des wenig zufriedenstellenden Aufenthaltes in der Unterkunft gestern Abend, hatten wir schonmal vorgesorgt, dass es die letzten zwei Nächte wieder besser würde. Oberhalb von La-Chaux-de-Fonds hatten wir uns für zwei Nächte in einem mit Gästezimmer ausgebauten Bauernhaus einquartiert und dabei für 100 CHF die Nacht gleich ein ganzes Apartment samt Frühstück erhalten. Das schien doch mal vielversprechend. Hinter Neuchâtel auf das seltsame Schnellstraßenkonstrukt hinauf in den Jura gewechselt und bald stellte nur noch die Ortsdurchfahrt von La Chaux-de-Fonds eine letzte Herausforderung dar. In dem rechteckigen Einbahnstraßensystem waren leider immer die entscheidenden Verbindungen durch Baustellen gesperrt, sodass es im Dunkeln nicht ganz einfach war, den richtigen Ausgang aus dem System auf eines der kleinen Asphaltsträßchen zu finden, das hinauf zu unserem Hof führen sollte. Nachdem das geschafft war, ging es durch die Finsternis der engen Straße den Hügel hinauf und beim ersten Versuch fuhren wir natürlich prompt am richtigen Haus vorbei. Nachdem uns das aber langsam zu weit vorkam drehte ich um und wir hielten am richtigen Haus. Man erwartete uns schon und sprach – Achtung – Englisch! Einfach nur schön 😀 Ich glaube das Französisch wäre mir viel sympathischer, wenn nicht gar so viele Anwender ausschließlich dieses sprächen… Das Haus war einfach nur toll. Man fühlte sich sofort wohl in dem modern ausgebauten, uralten Bauernhaus und unser Apartment hatte sogar zwei Stockwerke, sodass ich im offenen Obergeschoss mein eigenes Reich einrichtete. Unten gab’s noch ein gemeinsames Abendessen, dann verkroch man sich alsbald ins Bett und freute sich auf einen entspannten Tag morgen im Jura.

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