Flucht in die Wintersonne V: Im Allegra-Revier am Berninapass

Heute geht es hinauf auf den Berninapass auf einen kleinen Schneeschuhspaziergang rund um Ospizio im Allegra-Revier. Der Versuch, den neuen Ahnenzug fotografisch festzuhalten, sollte dabei bestenfalls nur so halb funktionieren.


Donnerstag, 26. Dezember 2024

Auch für heute hatte ich mir wiedermal einen kleinen Plan zurechtgelegt, wobei dieser heute maßgeblich nach dem Fahrplan des “Ahnenzuges”, also des Allegras 3514 ausgerichtet war. Erklärtes Ziel war es, diesen das ein oder andere Mal irgendwo am Bernina schön abzulichten. Wobei die derzeitige Tageslänge im Grunde nur während höchstens einer Hin- und Rückfahrt für Sonnenlicht sorgt, sodass sich nicht übermäßig viele Chancen bieten würden. Zumindest verkündete der gestern Abend noch veröffentlichte Lokdienst aber, dass der besagte ABe 8/12 heute am Bernina im Einsatz wäre. Ansonsten wäre es auch gar nicht einmal sicher gewesen, dass ich der RhB auf dieser Tour meine Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Denn die Nacht hier bei Tirano war auf dem Weg zum Monte Generoso ohnehin ein guter strategischer Zwischenstopp – die Fahrt gestern in den Abend war schon so lang genug gewesen, weiter bis ins Tessin wäre es definitiv nicht mehr gegangen.
So aber war gestern Abend endgültig die Entscheidung gefallen, hier nicht nur einen Boxenstopp im Veltlin einzulegen, sondern eine Wertungsprüfung Richtung Val Poschiavo und Berninapass einzuschieben.

Frühstück war hier nicht inkludiert, sodass ich die Zelte direkt abbrach, die Zimmerkarte am Tresen zurücklies und die drei Minuten nach Tirano startete. Im Frühstücksraum schien sich die ganze lärmende Bagage von gestern Abend (und Nacht? Ich weiß es nicht dank Oropax) eingefunden zu haben – nichts wie weg hier! Hotel Valamerica – keine Empfehlung!

Gleich im Ortskern an der Piazza Marinoni fand ich in Tirano, wonach ich gesucht hatte: Ein schönes, typisch italienisches Caffè für ein kleines Frühstück. Über die Feiertage ist es ja nicht immer ganz klar, ob die bei Maps oder Apple Karten hinterlegten Öffnungszeiten denn stimmen. Aber man hatte (schon) geöffnet. Caffè Lucignolo – Empfehlung! Wie so oft super nette Betreiber, es ging alles zügig, die Kaffeezubereitungen waren nach deutschen Maßstäben wie immer über jeden Zweifel erhaben. Dazu natürlich zwei gefüllte Stückchen, so konnte in den Tag gestartet werden. Das irgendwann am Nachmittag zur Bar mutierende Caffè, wäre sicher auch abends eine gemütliche Adresse, um in der richtigen Gesellschaft den ein oder anderen Drink zu nehmen – anderes Thema, das kommt vermutlich erst Silvester wieder auf die Agenda…

Ich hatte den heutigen Morgen zeitlich so abgesteckt, dass ich den “Ahnenzug” oben in Ospizio abfangen würde, wo er so um halb zehn aus St. Moritz aufschlagen sollte. Anschließend wollte ich dann oben bisschen mit Schneeschuhen rumlaufen, den restlichen Verkehr ein wenig festhalten und mich dann rechtzeitig für die Rückleistung am frühen Nachmittag wieder irgendwo am Pass stellen.

Mit fast 1 1/2 Stunden Puffer auf den Zug brach ich Richtung Ospizio auf. Hinter der Grenze hatte unverhofft der kleine Denner offen. Solche Chance gilt es an Feiertagen zu nutzen, also einen kurzen Stopp eingelegt und die Lebensmittelvorräte ergänzt.

Wie das immer so ist, fängt man sich am Pass schnell einen Schleicher, der nicht einfach nur langsam fährt, sondern auch noch unlogisch. Immer nervig sowas, aber vielmehr als hinterherfahren, bleibt da kaum. Nach der Schneepartie von vor vier Tagen, war die Straße inzwischen aber wieder fast frei von Eis und Schnee.

An der Albergo paar Sachen im Rucksack verstaut, auf Stiefel gewechselt und die Schneeschuhe geschnappt, dann ging es die paar Höhenmeter hinab zum Bahnhof.


Die ersten Sonnenstrahlen des Tages treffen um 9 Uhr auf das Berninahospiz an der Passstraße.

Unten am Bahnhof blieben mir noch etwa zwanzig Minuten auf den Zug – dachte ich zumindest. Hier bleiben im Bahnhof? Das Licht stand sehr achsig, aber Sonne war schon da. Bisschen kompromissbehaftet ist das Bahnsteigmotiv vom Hausbahnsteig aus aber schon hier. Paar Minuten hin und her überlegt und dann doch beschlossen, ans erste Motiv vorzulaufen. Da musste jetzt auch schon Sonne über den See scheinen. Doch gerade beim Wechsel auf die Schneeschuhe, fängt’s plötzlich an zu Bimmeln. War das etwa? Es blieb keinerlei Chance mehr, sich noch irgendwie zu stellen. Eine Minute später rauschte unten der Ahnenzug Richtung Tirano durch. Gut, hatte ich den auch mal gesehen 😀 War jetzt so aber eigentlich nicht geplant gewesen. Also das mittelmäßige Bild im Bahnhof gegen gar kein Bild getauscht. Manchmal sollte man eben auch mit Mittelmaß zufrieden sein. Andererseits entstehen die paar Bilder, die darüber hinausgehen, auch meist nur, weil man mit Mittelmaß eben nicht zufrieden war. Es wird philosophisch. Kommen wir mal zurück zu harten Zahlen. Schwarz auf weiß. Ein Blick in den Fahrplan: Was hatte der Zug hier so früh zu suchen gehabt? Das Gleiche, worauf ich im Trentino noch genauestens geachtet hatte, war mir hier nun zum Verhängnis geworden. Zwar nicht wie bei der FTM jeder Zug, aber doch immer mal wieder fahren die Züge auch am Bernina auf verschiedene Minuten ab. Einmal in der Spalte verrutscht, hatte ich die Abfahrtszeit zur Minute 38, der meisten anderen Züge gesehen. Genau dieser hier zur Stunde 8 fährt aber schon auf die Minute 33. Die fünf Minuten, die mir gefehlt hatten…

Ein Grund, vom Plan abzuweichen, war das jetzt aber auch nicht. Rauf zum Auto, um dem irgendwie hinterherzujagen ins Val Poschiavo, erschien nicht sehr verlockend, denn es war einfach nur unfassbar herrlich hier oben: Der wunderbar klare Wintermorgen, dazu diese Stille, weil auf dem verschneiten Weg wirklich gar nichts los war. Nein, ich wollte hier nicht weg. Ich wollte hier gemütlich bisschen Fotos machen und einfach Urlaub genießen.

Wie ich also weiter oberhalb des Lago Bianco ein Stück Richtung Alp Grüm lief, fing es plötzlich wieder an zu rauschen, wenig später zu bimmeln. Dann schob sich vorn ein doppelter Allegra um die Ecke. Diesmal stand ich wenigstens halbwegs, um diese seltsame Garnitur zumindest notdürftig zu verarzten.


In Alp Grüm muss der eben versemmelte Ahnenzug diesen doppelten Allegra aus ABe 8/12 3515 und 3510 gekreuzt haben. Ein doch etwas seltsamer Anblick. Schon aus den letzten Monaten gab es hin und wieder Aufnahmen eines solchen Doppels am Bernina, wobei ich dachte, es wäre mehr oder weniger eine Überführungsfahrt. Die Komposition scheint allerdings momentan täglich unterwegs zu sein.

Interessanter Zug, wenn auch vielleicht ein wenig übermotorisiert mit 16 von 24 angetriebenen Achsen. Da könnte man ja jetzt noch 14 Wagen anhängen 😀 Was der hier trieb, war allerdings schon ein Rätsel. Im Fahrplan gibt es zwar einen Kurs zu dieser Zeit, der steht allerdings erstens als Bernina-Express drin und zweitens mit der Ziffer 13, also vom 11. Mai bis 27. Oktober. Da hatte ich es also wenigstens nicht selbst verkackt, wie eben gerade, oder ich bin selbst jetzt noch zu blöd, meinen Fehler zu finden. Tatsache ist aber, der Zug fährt – als was auch immer – nach St. Moritz und das scheinbar auch täglich, denn später war diese Leistung als Zug 2634 auch für morgen wieder mit zwei anderen Allegras in den Lokdiensten zu finden. Am Nachmittag fährt das Doppel dann als 2643 wieder zurück. Mit Abfahrt 15.10 Uhr ab St. Moritz war damit aktuell aber nichts anzufangen.

Auch davon ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen – hatte ich erwähnt, dass es hier gerade einfach nur herrlich war? Weiter vor also, über den Bahnübergang und für den nächsten Planzug Richtung Tirano an eines der unzähligen Top-Motive hier. Zunächst war jetzt der Regio Richtung St. Moritz dran. Mit dem war aber nicht viel mehr anzufangen, als einfach querab gegen Allegra und See zu schießen. Hauptziel waren nun die beiden im Kreuzungsabstand hintereinander herfahrenden Züge nach Tirano, zuerst der Regio und dann einer der wenigen, aktuell verkehrenden Bernina-Expresse. Die Zeit dazwischen reicht gerade, um wieder ein Stück zurück zu laufen an den bekannten Blick vom Bahnübergang auf die Brücke hinter der Ausfahrt Ospizio. Beim Warten auf die Züge aus St. Moritz ging sich dann auch ein zweites Frühstück aus dem Denner aus. Hätte schlechtere Orte dafür geben können…


Aus Tirano kommt Allegra 3501 mit einem Regio über den Pass und schlängelt sich entlang des Lago Bianco zum Bahnhof Ospizio Bernina.


Eigentlich wartete ich hier aber auf zwei im Kreuzungsabstand fahrende Züge aus dem Engadin. Zunächst Allegra 3513 mit dem Regio aus St.Moritz.


Die Zeit zwischen den beiden Zügen reicht aber entspannt aus, um sich wieder ein Stück Richtung Ospizio an den Bahnübergang zu verschieben. Unterwegs fällt der Blick auf die interessanten Eiswülzte, die der gefrorene Lago Bianco aufwirft. Besonders eindrucksvoll war auch das laute Knarzen und Zucken, dass sich immer wieder akustisch durch die Eisfläche bewegte.


Es folgt am bekannten Motiv mit der Brücke unmittelbar hinter dem Bahnhof Ospizio Bernina der Bernina Express aus Chur, heute gezogen von Allegra ABe 8/12 3505.


Auf dem Weg zurück nach Ospizio fällt der Blick über die Schulter in Richtung der Staumauer des Lago Bianco.


Die Schneemengen halten sich für Ende Dezember doch sehr in Grenzen und der Weg ist auch ohne markierte Steine noch zu finden. Ob das hier Ende letzter Woche der erste ernsthafte Schneefall in diesem Winter gewesen war?

Ich wollte dann eigentlich wieder hoch zum Auto und mal schauen, was anzustellen wäre bis zur Rückfahrt des Ahnenzuges. Aber am Weg vom Bahnhof hinauf zur Straße konnte am Abzweig des Wanderweges Richtung Lagalp noch ein Nachschuss auf den nächsten Regio aus Tirano mitgenommen werden. Irgendwie gefiel das hier gerade einfach zu gut, bisschen entspannt durch den Schnee zu laufen. Also entschied ich spontan, noch hier zu bleiben und den nächsten Regio aus St. Moritz, sowie den Bernina Express aus Tirano von eben jenem Wanderweg nach Lagalp zu versuchen. Möglichkeiten, in beide Richtungen zu schießen, hat es hier ja doch einige. Zwei nur mit Stiefeln bewaffnete, versanken in den Verwehungen doch arg tief und gaben es bald auf, mit den Schneeschuhen war es aber überhaupt kein Problem, das kurze Stück ans Motiv rüber zu laufen.


Aus dem Engadin rollt nun wieder der ungefähre Stundentakt, sodass kurz nach halb zwölf der Allegra ABe 8/12 3508 mit dem nächsten Regio den Lago Bianco Richtung Tirano umkurvt. Zunächst schräg über den See gesehen.


Dann noch einmal direkt unterhalb meines Standpunktes zwischen Wanderweg und Bahnstrecke.


In Alp Grüm hat der Bernina Express aus Tirano gekreuzt und ist etwa zwanzig Minuten später bei mir am Lago Bianco. In dieser Zeit bin ich einmal um die enge Kurve gelaufen und stehe nun für den Allegra 3506 auf der anderen Seite, wenn auch die Ausleuchtung etwas kompromissbehaftet ist.

Den nächsten Regio Richtung St. Moritz würde ich nun in Ospizio durchziehen lassen, um anschließend den Gegenzug am klassischen Bahnhofmotiv umzusetzen. Bald würde hier dann auch schon der Sonnenuntergang drohen, vermutlich irgendwann zwischen 13 und 14 Uhr, denn die Sonne verschwindet hier früh hinter den hohen Flanken der Bernina-Gruppe auf der anderen Seite des Lago Bianco. Aus dem Zug aus Tirano stieg dann erstmal eine dem Klischee-Heft entsprungene südasiatische(?) Familie aus. Die schienen das hier ein wenig wie einen Freizeitpark zu betrachten und winkten mir noch seltsam zu, als sie am Bahnsteig an mir vorübergingen. Als würde ich zum Ensemble gehören und eine Art Maskottchen ssein. Gut, zwischen einem Schweizer und einem Deutschen können die sicher nicht unterscheiden – wie auch, sind die Phänotypen doch nicht wirklich zu differenzieren… Anschließend wurde sich neben dem Bahnhof eine Schneeballschlacht geliefert und der Hund von der Leine gelassen, der natürlich auch komplett freidrehte – man bekam das Gefühl, zumindest die Kinder und der Hund hatten noch nie Schnee gesehen und auch für alle anderen schien es eine völlig fremde und exotische Welt, die natürlich auch sogleich mit allen Daheimgebliebenen geteilt werden musste. War auf jeden Fall ein lustiges Unterhaltungsprogramm während der Wartezeit auf den Gegenzug Richtung Tirano. Brenzlich wurde es nur für den Hund, denn der turnte auch lange nach der Durchsage des einfahrenden Zuges, die auch auf Englisch erfolgt, noch fröhlich von der einen zur anderen Seite der Gleise. Erst als dann wirklich der Zug auftauchte, wurde der Hund eiligst an die Leine genommen. Zum Glück für ihn, war er da nicht gerade auf der anderen Seite der Gleise, sondern wieder zurück bei seiner Familie.


Der Bahnhof Ospizio mit seinem kleinen Bahnhofsbuffet und den klassischen Bahnsteigglocken ist bis heute ein Kleinod, wenn nicht gerade ein Zug einen Haufen Touristen ausgespuckt hat. Zwischen den Zügen, wenn sich die letzte Ladung in die Landschaft verstreut hat, geht es beschaulich zu.


Aus St. Moritz kommt ABe 8/12 3501 Richtung Tirano zurück und fährt in den Bahnhof Ospizio Bernina ein. Am Rand des Bahnhofes und auf den Dächern hat man auch durchaus schon meterhohe Schneewände gesehen im Dezember, aber den herrlichen Sonnenschein ziehe ich dann doch einem Schneesturm vor.

Nun war es Zeit, sich für die Rückfahrt des Ahnenzuges zu Stellen. Der Klassiker an der oberen Berninabachbrücke schien mir angesichts der drohenden Schatten schon riskant, sodass es letztlich die Einfahrt Diavolezza wurde. Da wird zwar der Triebwagen durch den starken Weitwinkel, den es hier braucht, etwas klein und steil, aber ich hatte mich inzwischen eh damit “abgefunden” morgen noch einen weiteren Anlauf starten zu müssen, sollte der Allegra 3514 erneut am Bernina unterwegs sein. Und da der heute Abend in St. Moritz enden und in Pontresina übernachte sollte, war die Chance zumindest schon mal recht groß.


Um halb zwei drohen im Dezember am Bernina schon massiv die Schatten. Die Einfahrt Diavolezza hatte für den Ahnenzug Richtung St. Moritz aber noch ausreichend Sonne. Hier zunächst querab gesehen, vor der scharfen Kurve, die auf die Brücke über den Ova da Bernina vor dem Haltepunkt Diavolezza zuführt.


Und eine zweite Ansicht mit eben jener kleinen Brücke vor dem Haltepunkt.

Viel war jetzt wohl nicht mehr zu holen mit dem Ahnenzug. Zumindest keine Streckenbilder. Ich folgte dem Zug also mal hinab nach Pontresina, wo ich wieder einen kleinen Vorsprung hatte, nahm die dortige Einfahrt mit und sah mir den Allegra während seiner dortigen Pause etwas genauer an: Der Allegra 3514 trägt auf jedem der drei Wagenteile eine der Lackierungen dreier der Ursprungsbahnen der heutigen RhB, der Berninabahn, der Rhätischen Bahn und der Chur-Arosa-Bahn. Während man die gelbe Berninalackierung heute noch von den beiden historifizierten ABe 4/4 I 30 und 34 kennt, sind die ehemaligen Lackierungen der Chur-Arosa-Bahn und der Rhätischen Bahn derzeit nicht historisch repräsentiert. Umso schöner aus meiner Sicht die Idee, den ABe 8/12 3514 bei seiner ersten großen Revision in den “Ahnenzug” zu verwandeln und auch die Umsetzung fand ich sehr gelungen.


Allegra ABe 8/12 3514 erreicht den Bahnhof von Pontresina, wo er zwecks Anschlusses aus dem Engadin vor der Weiterfahrt etwa zehn Minuten Pause hat.


Die Lackierung wurde aus meiner Sicht mit viel Liebe zum Detail umgesetzt und sehr stimmig auf das moderne Fahrzeug adaptiert. Man nutzte hierzu die ohnehin nach der ersten großen Gesamtrevision der Allegra-Flotte anstehende Neulackierung. Aus diesem Grund strahlen auch die anderen 14 ABe 8/12 gerade wie neu, nachdem sie in den letzten Jahren doch schon etwas ausgeblichen waren nach den ersten fast 15 Jahren im Einsatz.


Am besten passt natürlich die alte gelbe Bernina-Lackierung zum Allegra, der als Zweisystemtriebwagen vorrangig für diese Strecke beschafft wurde und erstmals Bernina-Express-Züge aus Chur und Davos ohne Traktionswechsel ermöglichte. Ansonsten fühlen sich die Allegras auch seit vielen Jahren auf der Strecke Chur-Arosa recht wohl.

Ich wollte nun eigentlich die Brückeneinfahrt St. Moritz umsetzen, hatte allerdings die Rechnung ohne den Wahnsinn gemacht, der hier im oberen Engadin gerade abging. Der Parkplatz direkt am See war komplett überfüllt und selbst am riesigen Bahnhofsparkplatz fanden sich nur noch ganz hinten wenige Stellplätze. Die Brücke zu machen fiel damit raus, denn der Allegra kam gerade eingefahren, als ich einen Parkplatz gefunden hatte. Ich lief dann aber mal durch das Getümmel ans Bahnsteigende raus, denn der Triebwagen würde sicher schnell vom Zug absetzen und sich für die Rückfahrt ans andere Ende hängen. Mehrere RhB-Bedienstete hatten am Bahnsteig währenddessen alle Hände voll zu tun, die Touristen aus aller Welt am Betreten des Zuges zu hindern, der zum einen noch gereinigt wurde, zum anderen auch erst noch ein Stück vom Allegra zurückgedrückt werden musste, damit dieser sich über den Gleiswechsel aus dem Gleis des Kopfbahnhofes befreien konnte. Man fragte sich auch, woher denn diese Panik kam, unbedingt schon in den Zug zu müssen, wo doch anhand der Fahrzeit vollkommen klar war, dass der hier noch eine ganze Weile stehen würde.


In St. Moritz ist mal wieder die Schöma Tm 2/2 112 am hobeln. Gerade hat sie aber eine kleine Pause in schönster Nachmittagssonne.


Die Idee, wenigstens beim Umsetzen noch eine Aufnahme abzustauben, ging dann auch ganz gut auf. Allegra ABe 8/12 3514 ist bis auf die Brücke an der Bahnhofseinfahrt ausgefahren und setzt sich nun ans andere Ende seiner Wagengarnitur.

Es war zwar nun erst 14.30 Uhr und damit in der günstigen Achse des Engadins noch mindestens mit einer Stunde Sonne zu rechnen, allerdings gestaltete sich diese eher weniger ergiebig. Ich wollte eigentlich mal nach Celerina, an die altbekannte Gerade vor dem Bahnhof stehen und einfach bisschen schauen was so durchkommt nach St. Moritz. Allerdings war das Auto hier noch schwieriger loszuwerden, als eben schon. Nach einiger Zeit gab ich es leicht genervt auf und entfloh dem Chaos ein Stück das Engadin hinunter. Die lange Doppelspur zwischen Samedan und Bever lag genau in der Lichtachse, sodass ich letztlich in La Punt landete. Damit war ich zwar nun in der maximalen Capricorn-Langeweile gelandet, andererseits hatte ich aber noch immer kaum mehr als eine Aufnahme von den Kisten – und die nicht mal richtig sonnig. Irgendwie haben diese Fahrzeuge so ziemlich alles nicht, was für mich fahrzeugseitig den Reiz der RhB in den vergangenen 20 Jahren ausgemacht hat. Da bleibt dann “nur noch” die geniale Landschaft und die einzigartigen Strecken. Aus Fahrgastsicht für die große Mehrheit aber wohl ein Segen, dass das teilweise extrem unzeitgemäße Wagengeraffel nun weitgehend vom Stammnetz verschwunden ist.
Nun sollten hier also, im erstaunlicherweise noch immer unverändert hübschen Bahnhof von La Punt, meine Capricorn-Aufnahmen zwei bis vier entstehen.


Ein Engadin-Star mit Capricorn ABe 4/16 3142 am Zugschluss rauscht ohne Halt durch den Bahnhof La Punt.


Eine Viertelstunde später gefolgt von einem – Überraschung – Capricorn auf dem Engadin-Service von Pontresina nach Scuol.


Capricorn ABe 4/16 3127 darf in La Punt allerdings halten, bevor er seine Fahrt in die Schatten hinein fortsetzt.


Die kleine, vom Bahnsteig aus sichtbare Kapelle von La Punt, sonnt sich in den letzten Strahlen des Tages.

Damit war nun auch hier Licht aus und es bestätigte sich wiedermal die Erfahrung der letzten Tage, mit einem Ende an Sonnenstellen um 15.30 herum. Ich schlenderte gemütlich zum Auto zurück, zapfte noch ein paar Flaschen am Brunnen voll und machte es mir für die Rückfahrt gemütlich. Als Ziel buchte ich mir auch gleich noch eine Unterkunft. Mit einem Einzelzimmer für 75 CHF bot sich sogar eine Übernachtung in der Schweiz an, auch wenn ich für ein Abendessen wohl doch lieber noch einmal nach Italien hinüberwechseln würde am Abend.

Die Fahrt zurück über den Bernina in den Sonnenuntergang hinein war dann einfach nur herrlich: Die Gipfel glimmten noch im letzten Abendrot und Fred again.. durfte seine aktuelle Platte aus den Bang & Olufsen klingen lassen – so muss Pässe-Cruisen im Urlaub sein!


An der Passhöhe gab es noch einen kleinen Stopp, um die grandiose Aussicht in Gänze genießen zu können.


Das letzte Abendglimmen wandert langsam die Gipfel hinauf.


Der Blick auf die sich weit herumziehende Bergkette der Livigno-Alpen ist von hieraus immer wieder eindrucksvoll.

Die noch immer nicht ganz ausgestorbenen “echten” Einzelzimmer in der Schweiz, die entsprechend auch nur die Hälfte bis zwei Drittel eines Doppelzimmers kosten, ermöglichen in diesem Land alleinreisend, zumindest in Anbetracht des restlichen Preisniveaus, immer wieder mal erstaunlich günstige Übernachtungen, die durchaus Konkurrenz zu den Preisen im benachbarten Ausland bieten. Dort ist dann schließlich auch als Einzelperson meist mehr oder weniger der gleiche Preis wie zu zweit fällig. So hatte ich mir vorhin die Übernachtung in Poschiavo für 75 CHF gesichert, was selbst beim derzeit bescheidenen Franken/Euro-Kurs, noch günstiger war, als das wirklich nicht empfehlenswerte Hotel gestern bei Tirano. Das Hotel Suisse liegt mitten im alten Ortskern, den man auf der Durchfahrtsstraße oder auf dem Weg zum Bahnhof nie passiert. Mit etwas Glück ergatterte ich noch einen Stellplatz und warf für die letzte Stunde bis sieben noch eine digitale Münze via EasyPark in die Parkuhr. Das war hier jetzt ein Schweizer Gasthof wie er sein muss. Kein unnötiger Schnickschnack auf dem Zimmer, aber alles super in Schuss, sauber und funktional. Und Zimmer und eigenes Bad waren sogar regelrecht geräumig. Für das Abendessen brach ich dann eine Stunde später aber doch lieber noch einmal nach Italien auf, das hier Feilgebotene entsprach nun wirklich nicht meinen Preisvorstellungen und Läden hatten dank Weihnachtsfeiertag auch noch keine geöffnet. Außerdem wollte ich mir in Tirano noch das Lichtspiel an der bekannten Basilika ansehen, auf deren Rückseite die RhB quer über den Platz fährt. Die Installation war mit gestern schon aufgefallen, da hatte ich aber keinen Nerv mehr gehabt und es mir für heute vorgenommen.

Richtung Italien hing mir sogleich ein Allegra im Nacken, was mich auf die Idee brachte, spontan am illuminierten Brusio noch was zu versuchen. Meine Perspektive war dann nicht ganz optimal, aber es war eh nur eine Spielerei.


Ein unerkannter Allegra rollt um kurz vor 19 Uhr das Busio-Viadukt hinunter. Ich habe mir jetzt nicht die Mühe gemacht, die Nummer aus den Lokdiensten herauszusuchen, man erkennt ja doch nicht viel vom Triebwagen 😀

Ich parkte also erstmal auf dem großen Parkplatz unweit der Basilika und sah mir das Schauspiel zweimal an, bis ich es sowohl auf Foto, als auch Video festgehalten hatte. Die Hauptfront der Basilika Madonna di Tirano wurde dabei von einem Projektorturm auf der anderen Seite des Platzes angestrahlt und eine künstlerische, farbenfrohe Lichtershow mit Musikuntermalung projiziert. War wirklich schön anzusehen und hatte mit über fünf Minuten auch eine ganz ordentliche Laufzeit. Anschließend zählte ein Countdown die nächsten zehn Minuten herunter, bis die Show von neuem startete. Ein paar statische Kostproben habe ich herausgesucht:


Weihnachtliche Lichtershow an der Basilika Madonna di Tirano. Die durchgehende Animation mit künstlerischen Übergängen dauerte über fünf Minuten und wurde von passend abgestimmter Musik untermalt.


Standbilder können das natürlich nicht ansatzweise rüberbringen, aber es war wirklich sehens- und hörenswert.

Anschließend lief ich die Hauptstraße in Richtung Stadtzentrum hinunter, um nach etwas Essbarem Ausschau zu halten. Die Restaurants um den Bahnhof herum hatten alle geöffnet und sahen auch nicht überfüllt aus. Die Qual der Wahl also und ich nahm dann halt irgendeins. Nachdem die Bedienung einen ganzen Katalog durchgegangen war, wie denn das Tonic-Water serviert werden sollte – groß oder klein, mit Zitrone oder ohne, mit Eis oder ohne – kam das bittersüße Getränkt dafür am Ende gar nicht. Da hatte sich die Fragerei ja gelohnt. Nachdem ich Lasagne und Salat aufgegessen hatte und die Dame noch immer nicht wieder aufgetaucht war, verzichtete ich gleich ganz auf das Getränk und nahm stattdessen noch einen Cappuccino als Nachtisch. Naja, die haben auch sicher viel um die Ohren vor und an Weihnachten und sind froh, wenn der ganze Wahnsinn vorbei ist. Da passieren halt mal solche Sachen.


Auch der Bahnhof des trenitalia-Bahnhofes in Tirano war bunt beleuchtet.

Zurück in Poschiavo hatte ich dann erneut das Glück, auf dem kleinen Platz im alten Ortskern noch einen Parkplatz zu bekommen. Ich drehte schonmal die Parkuhr bei EasyPark auf kurz nach 8 Uhr morgen früh für den pünktlichen Start zum Coop. Ja, morgen ist endlich wieder Werktag und der Ahnenzug hatte auch einen guten Umlauf erwischt, wie ich beim Blick in den inzwischen veröffentlichten Lokdienst für morgen sehen konnte: Morgens einmal im Dunkeln über den Bernina und dann zur besten Zeit um 9.41 ab Tirano und am frühen Nachmittag ab St. Moritz wieder zurück. Da sollte was gehen!

Weniger ging leider in dieser Nacht. Irgendwie hatte ich mir jetzt was eingefangen und Schnupfen und leichtes Halskratzen hielten mich erfolgreich bis etwa 2 Uhr wach. Egal, sportliche Ambitionen hat diese Reise ja nicht, das wird also schon gehen.

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