Flucht in die Wintersonne VIII: Zurück in den Schnee im Appenzell

Für heute stehen einige Aufnahmen im verschneiten Appenzell auf dem Plan. Neben dem neu zusammengestellten und lackierten Zahnradpendel an der Stoss, hatte ich auch die Hoffnung auf Verstärkermodule nach Wasserauen.


Sonntag, 29. Dezember 2024

Heute gab es dann zum Start in den Tag nach längerem mal wieder ein Frühstück direkt im Hotel. Und es war ein Gasthof-Frühstück, wie man es sich vorstellt: Bedienung in der holzverkleideten Gaststube des Restaurant am Tisch, frische Sorten Brot, Croissant, Kaffeezubereitung nach Wunsch. Herrlich! So kann man in den Tag starten.

Nachdem das Zimmer bezahlt und alles wieder im Auto war, wollte ich den Tagesstart direkt an meiner einzigen Lücke auf der Liste im Appenzell hinlegen, an der Stoss.
Dort fehlten mir noch die 2023 neu zusammengestellte Zahnradkomposition aus BDeh 4/4 und ABt. Um auch an der Stoss einen Niederflureinstieg anbieten zu können, wurden zwei der auf der Linie St. Gallen-Gais-Appenzell nach der Umstellung auf die neue Durchmesserlinie freigewordenen Niederflursteuerwagen, für die zwei jüngsten BDeh 4/4 16 und 17 aus dem Jahr 1993 hergenommen. Beide Triebwagen und Steuerwagen erhielten die aktuelle Lackierung der Appenzeller Bahnen und jeweils eine Komposition kommt seither auf der im Stundentakt bedienten, letzten Zahnradstrecke des Meterspurnetzes zum Einsatz.

Die beiden BDeh 4/4 16 und 17 wurden als Nachbauten über zehn Jahre nach den bereits 1981 für die Strecke St.Gallen-Gais-Appenzell gelieferten BDeh 4/4 11-15 geliefert. Äußerlich unterscheiden ließen sich die Fahrzeuge vor allem an der abweichenden Tür des Gepäckabteils und den Außenschwenktüren bei den beiden neueren Fahrzeugen, im Gegensatz zu den Falttüren der Ursprungsserie. Entscheidenderer Unterschied war allerdings die Eignung der beiden moderneren Fahrzeuge für die 160 ‰-Rampe der Stoss zwischen Gais und Altstätten. Damit konnten dort die ABDeh 4/4 6 bis 8 aus dem Jahr 1953 abgelöst werden und seither ist die Stoss die Stammstrecke für die beiden BDeh 4/4 16 und 17 geblieben. Da es die letzten Zahnradtriebwagen im Meterspurnetz der Appenzeller Bahnen sind, ist ihr Einsatz hier garantiert und es sind die letzten “Altwagen” im gesamten Netz mit dem typischen 80er-Jahre-Design, wie man es von den drei Serien im Appenzell, von den BDeh 4/4 311-313 von der AL, dem BDeh 4/4 83 der BVB, oder den BDe 4/4 611-614 der CJ kennt oder kannte.

Zum Start steuerte ich die “Flachstrecke” neben der Straße zwischen Gais und Stoss an. Es herrschte bereits wildes Getümmel an den Bahnhofsparkplätzen von Rietli, die im Winter kurzerhand in die Wiese hinein vergrößert wurden. Von hieraus gelangt man direkt an die dank des Wintereinbruchs gespurten Langlaufloipen, sodass sich viele Tagesausflügler spontan aus dem Hochnebel hierher geflüchtet hatten. Nach einigem hin und her mit der Parkplatzeinweiserin war sie dann zufrieden und ich konnte ans Motiv vorlaufen.


Direkt an der Straße ist das Risiko mit den Autos bei so vielen spontanen Ausflüglern natürlich groß. Ungünstig ragte der 1er auch noch bei allen Auslösungen in den Triebwagen oder dessen Schatten, sodass mir das Tricksen hier für einmal zu aufwendig war. Autos sind schließlich auch ein Teil der fotografischen Zeitgeschichte. BDeh 4/4 16 eilt mit ABt 121 zwischen Schachen und Rietli Richtung Altstätten

Es war wieder ein herrlich klarer Morgen und das Appenzell abseits der Südhänge noch schön verschneit. Rote Züge in Winterlandschaft unter blauem Himmel. Mehr geht doch kaum. Die Motivation, diese Tour heute Abend fototechnisch bereits zu beenden, war irgendwie nicht da. Ich schrieb mal Johannes, dass ich heute Abend zwar wie geplant für eine Übernachtung vorbeikommen würde, morgen aber noch einmal Richtung Appenzell aufbrechen wollte – mit freiem Beifahrersitz 😉 Noch die erste Aufnahme des Tages hinterhergeschickt und mehr “Überzeugungsarbeit” brauchte es nicht.

Für die Rückleistung eine halbe Stunde später lief ich noch deutlich weiter auf die verschneite Wiese und stellte mich etwas seitlicher. Die Schneehöhe war gerade noch so niedrig, dass ich ohne Schneeschuhe nur mit Stiefeln gut durchkam.


Der Schnee zu Weihnachten oberhalb von ca 500 Metern hat den Wintersport im Appenzell auch in tieferen Lagen aus dem Sommerschlaf geholt. Rund um Gais wurden einige Langlaufloipen gezogen und lockten zwischen den Jahren zahlreiche spontane Ausflügler aus dem hochnebelgeplagten Rheintal.


Nach etwa einer halben Stunde kommt die Zahnradkomposition aus Altstätten zurück und eilt Richtung Gais. Die in der Vergangenheit immer wieder auf der Kippe gestandene Strecke hat an solchen Tagen Hochkonjunktur. Problem ist aus Richtung Altstätten die seit der Einstellung der Innenstadtstrecke fehlende Anbindung an das Regelspurnetz.


Gestellt hatte ich mich eigentlich für diesen Nachschuss auf BDeh 4/4 16 und ABt 121 auf dem Weg Richtung Gais kurz vor dem Haltepunkt Schachen.

Ich wollte nun an die Strecke nach Wasserauen hinüberfahren, um zu schauen, ob dort beim heutigen Andrang die aus altem Wagenmaterial zusammengestellten Verstärkermodule zum Einsatz kamen. Für die Rückleistung aus Gais wollte ich mich noch einmal am Ortsrand stellen, war aber nach dem kurzen Fußweg zurück zum Auto zu spät dran. Ich kundschaftete trotzdem gleich noch an der geplanten Stelle und setzte sie als “must have” für morgen auf die Liste. In Gais gab es dann das obligatorische Bahnhofsbild mit dem Halbstundentakt der Durchmesserlinie, der keinen Anschluss nach Altstätten hat. Dort kommen inzwischen bekanntlich ausschließlich die Stadler Be 4/6 + ABe 4/6 “Tango” zum Einsatz und so bestand keine große Spannung, was sich gleich aus dem Bahnhof in die enge Ausfahrt mit der Kehre Richtung Appenzell schieben würde.


Ein Stadler Tango mit Be 4/6 4004 an der Spitze schiebt sich mit dem Ziel Appenzell in die enge Ausfahrtskurve von Gais.

Der Fahrzeugeinsatz auf der Strecke Gossau-Appenzell-Wasserauen war dann leider etwas ernüchternd. Weder kamen Doppeltraktionen der ABe 4/12 zum Einsatz, noch die Verstärkermodule. Es fuhren einfach ganz normal einzelne ABe 4/12. Aufnahmen von Einsätze Anfang des Jahres waren mir bekannt. Andererseits war auch immer wieder zu lesen, dass man die Verstärkermodule doch eher ungern einsetzt und das Ganze nicht wirklich planbar sei. Auch Aufnahmen von Doppeltraktionen kannte ich von Anfang des Jahres, allerdings werden für den normalen Halbstundentakt Gossau-Appenzell mit stündlichen Langläufern und einigen Halbstundenverstärkern nach Wasserauen schon vier der fünf modernen Stadler-Triebwagen benötigt. Viel Reserve für Doppeltraktionen bleibt da also nicht, sodass auch diese wohl eher kurzfristig bei ausreichend Verfügbarkeit ins Rennen geschickt werden. Heute kam aber eben nichts davon zum Einsatz. So war ich zumindest in der Motivwahl vollkommen frei und stellte mich hinter Steinegg, wo es im gerade anlaufenden Halbstundentakt bis Wasserauen einige Versuche gab, bis es auch mit Passanten und Autos halbwegs passte.


ABe 4/12 1002 zwischen Weissbad und Steinegg Richtung Gossau.

Von der anderen Straßenseite wurde das schöne Schild am Haus Sonne mit ABe 4/12 1004 in Szene gesetzt.


Im Halbstundentakt kann man selbst an kurzen Wintertagen mal einen zweiten Kurs abwarten und etwas variieren. So gab es auch ABe 4/12 1005 noch an derselben Stelle. Weiter das Tal nach Wasserauen hinauf lag ab Weissbad ohnehin alles im ewigen Dezemberschatten.

Auch hier notierte ich mir für eine Stunde früher noch ein Motiv vom Hang von der anderen Streckenseite für morgen. Da ich nun morgen noch einmal zurückkehren würde, beschloss ich, die ABe 4/12 auf dieser Strecke wieder zu verlassen. Hinter Steinegg nach Appenzell hinein bot sich noch ein sonniges Doppelmotiv, anschließend wollte ich an die Durchmesserlinie mit den Tangos rüber wechseln. Diese Linie ist seit jeher eher “straßenbahnartig”, sodass ich die Johannes morgen nicht antun wollte. Stattdessen könnten wir uns morgen nach der Stoss ein wenig an der Strecke nach Gossau hinunter treiben lassen.


Beim Verlassen des nach Wasserauen führenden Tals fiel mir gleich hinter Steinegg bereits das nächste Doppelmotiv ins Auge. Auto wieder abgestellt und nach kurzer Zeit kam von hinten ABe 4/12 1005 über die verschneite Wiese vor Appenzell gerauscht.


Für den Gegenzug nur wenige Minuten später lief ich bis zum Bahnübergang direkt am Ortsrand von Appenzell vor. ABe 4/12 1003 eilt über die verschneite Wiese nach Steinegg hinüber und weiter nach Wasserauen.

Die Strecke von Gais bis hinab nach St.Gallen ist noch eine dieser unzähligen ehemaligen Lokalbahnen, die in ihren ersten Jahrzehnten mehr oder weniger einfach an den Straßenrand geworfen wurden und dabei nicht selten eine Hälfte der Fahrbahn beanspruchten. Heute sind diese Bahnen entweder längst verschwunden, oder aber neutrassiert und modern ausgebaut. In der Schweiz überlebten bekanntlich vergleichsweise viele dieser Strecken und sind heute meist mit hoher Taktfrequenz in den S-Bahn-Verkehr der Agglomerationen integriert. So ist die seit Ende 2018 bestehende Durchmesserlinie von Trogen über St. Gallen und Gais nach Appenzell als Linie S21 im durchgehenden Halbstundentakt unterwegs. Die Trassierung direkt neben der Straße macht es nicht immer ganz einfach, die Garnituren ohne störenden MIV abzulichten, der dichte Takt verhilft einem allerdings selbst im Winter zu vielen Versuchen. Die Ausrichtung der Strecke am Nordosthang sorgte zudem für langanhaltende Sonnenspots am Nachmittag, sodass hier noch bis 15 Uhr Motive blieben. Ich fuhr erstmal bis Stofel hinab und arbeitete mich dann zurück Richtung Gais.


Der Stadler Tango mit dem Halbzug ABe 4/6 4105 am Zugschluss erreicht die Haltestelle Stofel Richtung Appenzell.


In Gegenrichtung wenige Minuten später der Tango mit Halbzug ABe 4/6 4111 an der Spitze Richtung Trogen ebenfalls in Stofel.

Am Mercato im Bahnhof Teufen zog ich mir erstmal einen Kaffee und fuhr dann weiter bis zur Kreuzungsstation Steigbach. Hier boten sich einige Ansichten, allerdings war es mit dem Autoverkehr schon nicht ganz einfach. Insgesamt zwei Bahnen je Richtung wartete ich rund um die Kreuzungsstation an verschiedenen Motiven ab und nutzte die kurzen Pausen jeweils für einen Snack aus dem Kofferraum. Trotz der auf einem großen Schild angedrohten “Verzeigung” – tolles Juristen-Schweizerdeutsch – kam ich bis heute unbescholten von meinem Kurzzeitstellplatz auf dem völlig leeren Restaurantparkplatz wieder weg.


Knapp vor einem Pulk Autos verlässt der Tango mit Halbzug ABe 4/6 4101 an der Spitze die Kreuzungsstation Steigbach Richtung St. Gallen und Trogen.


Einmal umgedreht fällt der Blick wenig später auf den Tango mit Be 4/6 4009 an der Spitze Richtung Appenzell.


Auf der anderen Seite der Station bot sich die Ansicht mit einem der eindrucksvollen Appenzeller Höfe. Mein Glück war hier der über den Bahnübergang abbiegende Transporter, der den Parallelverkehr blockierte. Gerade aus Italien kommend, war es ein völlig ungewohnter Anblick, dass der nachfolgende Verkehr brav hinter dem Transporter wartete und nicht zum Überholen ansetzte, auch als nichts entgegenkam. So klappte ein freier Blick auf den Tango mit Halbzug Be 4/6 4010 Richtung Appenzell, nachdem der vorherige Nachschussversuch auf den Gegenzug nicht geklappt hatte.

Einen letzten Versuch an der Durchmesserlinie gab es anschließend noch vor Bühler. Allerdings ließ mir die Sonne nur noch genau einen Halbstundentakt Zeit und nachdem dieser einen massiven und auch in Photoshop irreparablen Autoschaden erlitt, machte ich mich auf zum letzten Tagesordnungspunkt: Zug über Nebelmeer an der Stoss.

Dort war ich dann allerdings einen halben Umlauf zu spät, denn der nach Altstätten hinabbremsende Zug tauchte dank weniger Minuten Verspätung doch schon massiv in die Schatten ab. Das eigentlich bessere Motiv an der Kreuzstrasse wäre auch bereits im Schatten gewesen. Das blieb also ein weiterer Pflichtpunkt für Morgen, für den ich nun schon einmal den genauen Zeitpunkt wusste.


Am Haltepunkt Stoss angekommen, drohten doch schon sehr die Schatten. Allein schon für den Blick hinab auf das Nebelmeer lohnte sich allerdings der Stopp.


Irgendwie surreal, dass es da unten den ganzen Tag grau und nasskalt war, während man nur wenige hundert Meter entfernt den herrlichsten Wintertag erlebte.


Die kleine Verspätung war für die eh schon nicht sehr tolle Stelle dann endgültig zu viel. Das bessere Motiv bietet sich ganz klar hinab Richtung oder unterhalb der Kreuzstrasse. Jetzt aber auch schon im Schatten… BDeh 4/4 16 bremst mit ABt 121 hinab in den Nebel.


Ich lief anschließend noch ein wenig umher und genoss die einmalige Stimmung.


So lässt es sich leben am Sonntag…


Blick über das Denkmal für die Schlacht an der Stoss.

Ich meldete anschließend meine Ankunft in gut einer Stunde vor und rollte aus den letzten Sonnenstrahlen des Tages hinab in die Nebelsuppe. Ein fast unbeschreiblicher Stimmungswechsel: Oben schönstes Winterwetter mit Schnee und Sonne bis zum Ende des Tages, unten war der Übergang von Hell zu Dunkel ein schleichender Prozess im allgegenwärtigen Grau in Grau. Mit Raureif beladene Bäume und Büsche hingen traurig unter der Last ächzend über die Straße, die Luft nass und schwer. Nach einer Woche Sonne pur, war die Erinnerung an diese düstere Stimmung, die mich auch aus Norddeutschland hatte flüchten lassen, fast verblasst gewesen.

Hinter Bregenz wurde es in Deutschland am See wiedermal etwas mühsam, sodass ich meine Ankunftsprognose noch einmal um eine halbe Stunde korrigieren musste. Statt spätem Kaffee, starteten wir also gleich mit dem Abendessen und bei dem ein oder anderen Bierchen und Schlimmerem wurde sich in gemütlicher Runde über Neuigkeiten und Erlebtes ausgetauscht, was sich seit dem letzten Treffen im Mai so angesammelt.

Da Johannes für nicht unbedingt notwendige Gewaltstarts am Morgen nicht so zu haben ist – zumindest nicht ohne wenigstens ein Frühstück vorher einzuschieben – stellten wir die Wecker ungefähr auf sieben, um noch frühstücken zu können, bevor wir mit der ersten Sonne um 9 Uhr herum im Appenzell starten wollten. Dort gibt es dann den wirklich letzten Fototag dieser Reise, bevor in die Nacht hinein die Rückreise anstand.

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