Vor den Toren Berlins: Schöneiche, Woltersdorf und Strausberg

In der Reihe der Tagesausflüge im Mai folgte nach Hannover, Bielefeld, Kassel und Potsdam zum Monatsende ein Besuch bei den drei kleinen Straßenbahnbetrieben vor den Toren Berlins: Schöneiche-Rüdersdorf, Woltersdorf und Strausberg.


Sowohl bei der Schöneiche-Rüdersdorfer Straßenbahn (SRS), als auch in Strausberg gab es für mich noch offene Lücken im Fahrzeugpark zu schließen. Gemeinsam mit einem Besuch in Woltersdorf genau das richtige Programm für einen langen Tag im Mai.
Um 4 Uhr klingelte der Wecker und kurz vor fünf war das Fahrrad auf dem Dach und es ging die 2 1/2 Stunden bis an den östlichen Stadtrand Berlins. Völlig störungsfrei erreichte ich gegen halb acht Schöneiche und stellte das Auto unweit der Haltestelle Jägerstraße ab. Den restlichen Tag sollte es mit dem Rad entlang der drei Kleinbetriebe vor den Toren Berlins gehen, genau das richtige Fortbewegungsmittel bei angenehmen 20 Grad und dem gut ausgebauten Radwegenetz in dieser Region.
Geplant war eine große Rundfahrt: Durch Schöneiche hindurch entlang der SRS zum S-Bahnhof Berlin-Friedrichshagen und anschließend an der Bahnstrecke entlang zum nächsten S-Bahnhof Rahnsdorf, wo die Woltersdorfer Straßenbahn beginnt. Zwischen den beiden Kleinbetrieben kann man im Normalfall auch entlang der Berliner Straßenbahnlinie 61 fahren, welche am S-Bahnhof Berlin-Friedrichshagen auf der anderen Seite der Bahntrasse verläuft. Allerdings war das Ost-Köpenicker Netz großflächig eingestellt, sodass dieser Programmpunkt entfiel. Vom S-Bahnhof Rahnsdorf ging es anschließend die gesamte Strecke der Woltersdorfer Straßenbahn bis zur Schleuse entlang. Von dort folgte dann ein großer Sprung gen Norden nach Strausberg. Am späten Nachmittag ging es von Strausberg nach Rüdersdorf und an der SRS entlang bis zurück nach Schöneiche, wo sich der große Kreis schloss. So standen am Ende des Tages mit einigem hin und her schließlich nicht weniger als 100 km auf dem Tacho…


Gleich für die erste Aufnahme am Depot in Schöneiche kam das neueste Fahrzeug der SRS vorbei, der erst 2020 ausgelieferte Artic 53 von Skoda/Transtech. Zu unterscheiden ist das Neufahrzeug von den Wagen 51 und 52, neben der Nummer, nur durch das Skoda-Logo an der Front.

Seit 2019 kommen bei der SRS mit den zwei ForCity Smart Artic 51 und 52 von Transtech erstmals moderne Niederflurwagen zum Einsatz. Die zwei aus Helsinki übernommenen Fahrzeuge wurden 2013 gebaut und waren die Prototypen der anschließend an die finnische Hauptstadt gelieferte Fahrzeugserie. Aufgrund der Unterschiede der Serie konnte Schöneiche die beiden jungen gebrauchten Fahrzeuge aus Helsinki erwerben und seinem Wagenpark damit einen lange überfälligen Modernisierungsschub verpassen. Gemeinsam mit den vier zwischen 2009 und 2014 aus Cottbus übernommenen KTNF6 26-29, von denen letzterer einen Umweg über das ungarische Szeged nahm, kann seither der gesamte Fahrplan mit Niederflurwagen gefahren werden.
Anfang 2020 folgte den beiden Artic Trams schließlich ein drittes Fahrzeug des in der Zwischenzeit von Skoda übernommenen Transtech. Der Wagen mit der Nummer 53 ist damit nach über 90 Jahren das erste Neufahrzeug der SRS und ermöglicht entgültig den vollständigen Verzicht auf die Düwag GT6 im Planbetrieb.


Einige hartnäckige Siffschicht waberte am Morgen noch über Rüdersdorf und Teilen von Schöneiche, sodass nur im westlichen Teil der Strecke überhaupt Sonnenbilder möglich waren. Erst einen Umlauf später gelang wieder eine vernünftige Aufnahme, erneut mit Artic 53 kurz vor der Haltestelle Rahnsdorfer Straße in Schöneiche.


Es folgte der KTNF6 28 zwischen den Haltestellen Goethepark und Waldstraße. Zum Einsatz kamen an diesem Tag die beiden Artic 51 und 53, sowie die KTNF 6 26 und 28. Als Fahrschulwagen drehte zudem der KTNF6 27 eine Runde vom Depot zum S-Bahnhof.


Aus der Gegenrichtung kommt erneut unweit der Haltestelle Rahnsdorfer Straße nun der aus Helsinki übernommene Artic 51 Richtung Friedrichshagen. Aufgrund der Nähe zu Berlin und der guten S-Bahn-Anbindung, erfreuen sich die östlichen Vororte auf Brandenburger Gebiet in den vergangenen Jahren zunehmender Beliebtheit. Das Leben ist hier beinahe dörflich und die Wohngegenden von viel Grün geprägt, die Bundeshauptstadt aber für Berliner Verhältnisse noch in akzeptabler Zeit erreichbar, sodass viele Neubaugebiete mit jungen Familien rund um die alten Ortslagen entstehen. Davon profitieren auch die drei Brandenburger Kleinbetriebe, die sich als S-Bahn Zubringer in den vergangenen Jahren zunehmend über steigende Fahrgastzahlen freuen dürfen, nachdem die Betriebe nicht erst nach der Wende immer wieder vor dem Aus standen.


Die lange Rennstrecke durch den Forst westlich von Schöneiche neben der Schöneicher Landstraße, ist am Vormittag komplett verschattet, sodass erst an der Endschleife wieder eine Aufnahme entstand. Artic 51 konnte wieder eingeholt werden und wartet nur noch wenige Minuten auf die Abfahrtzeit in der Schleife Friedrichshagen S-Bahnhof.


Schon macht sich der Wagen von Transtech auf zu einer weiteren Runde und kreuzt hinter der Endschleife ampelgesichert die Schöneicher Straße.

Jetzt ging es weiter nach Woltersdorf. Unter der Bahnbrücke hindurch schließt das Köpenicker Straßenbahnnetz der Hauptstadt an, aufgrund der unterschiedlichen Spurbreiten konnte sich das Hauptstadtnetz die Schöneiche-Rüdersdorfer Straßenbahn jedoch nie einverleiben. Zudem liegt die Strecke abgesehen von der Waldstrecke zum S-Bahnhof hinüber komplett im Bundesland Brandenburg. Rund fünf Kilometer nach Osten an der Bahnstrecke entlang, erreichte ich den S-Bahnhof Rahnsdorf, an dem die Woltersdorfer Straßenbahn anschließt. Wie auch die anderen beiden Betriebe, verkehrt die Woltersdorfer Straßenbahn im 20-Minuten-Takt, passend zu den S-Bahn Anschlüssen von und nach Berlin. Wie in Strausberg, reichen für die deutlich kürzere Strecke als in Schöneiche allerdings zwei Fahrzeuge für den Planbetrieb aus, welche den ganzen Tag zwischen dem S-Bahnhof Rahnsdorf und Woltersdorf Schleuse hin und her jagen.


Kaum am S-Bahnhof Rahnsdorf angekommen, rumpelt auch schon der Gotha-Wagen 31 über die Weiche der Endstation. Wie alle Gotha-Wagen ist auch 31 kein original Woltersdorfer: 1959 vom VEB Gotha gebaut, wurde der T57M als 808 an Chemnitz (damals Carl-Marx-Stadt) geliefert und gelangte über Dresden schließlich erst 1986 nach Woltersdorf. Bis 2008 wurde das Fahrzeug bei MGB und in eigener Werkstatt modernisiert und steht so auch noch nach über 60 Jahren im täglichen Einsatz.


In beachtlichem Tempo jagen die kleinen Wägelchen vom S-Bahnhof rund zwei Kilometer schnurgeradeaus durch den Forst nach Woltersdorf. Das Ganze wirkt doch irgendwie immer etwas skurril und ein Grinsen lässt sich kaum unterdrücken, wenn man den Wagen schon von Fern bei nicht unbeträchtlichem heulen durch den Wald schaukeln sieht…


Der zweite Kurs des Tages wurde von Wagen 32 bedient. Dieser T59M wurde 1960 von der VEB Gotha für Dessau gebaut und gelangte 1987 nach Woltersdorf. Wie vier weitere Wagen für den Planbetrieb wurde auch 32 in den 90er-Jahren bei MGB modernisiert. Hier erreicht der Wagen das Ende der Waldstrecke am Ortsrand von Woltersdorf und befindet sich damit unmittelbar auf der Grenze zwischen Berlin und Brandenburg.


Kurz zuvor war der Wagen Richtung S-Bahnhof hinter der Haltestelle Goethestraße durchgekommen.


Weiterhin auf besonderem Bahnkörper verläuft die Strecke neben der Straße über die Haltestelle Goethestraße zur Haltestelle Eichendamm, wo ich wenig später wieder auf Wagen 31 traf.


Die unfotogene Kreuzungsstation am Berliner Platz neben einem Supermarkt ließ ich links liegen und wartete an der Haltestelle Fasanenstraße auf Wagen 31. Bereits hinter der Kreuzungstation endet der besondere Bahnkörper und es geht die restliche Strecke eingleisig auf der Fahrbahn weiter.


Der Klassiker von Woltersdorf ist die enge Kurve auf der Gegenfahrbahn hinab von der Rudolf-Breitscheid-Straße in die Schleusenstraße. Dort konnte nach mehreren gescheiterten Versuchen Wagen 31 aufgenommen werden.


An der Endhaltestelle Woltersdorf Schleuse sind in den vergangenen Jahren zwei klobige Neubauten entstanden, die den vorherigen Blick über eine grüne Wiese auf eine kleine Villa am Hang nun vollständig verdecken. Die Idylle hat damit ein wenig verloren, das kleine Café direkt gegenüber der Haltestelle lädt allerdings noch immer zum Verweilen ein und so konnte bei Kaffee und Kuchen gemütlich an der Straße sitzend das Kommen und Gehen der kleinen Wägelchen beobachtet werden, bis nach einem kompletten Umlauf die Sonne weit genug herum war für die Aufnahme von Wagen 31 beim Erreichen der Endstation.

Mit Kaffee und Kuchen und dem Warten auf den richtigen Sonnenstand hatte ich hier an der Endstation nun schon fast eine Stunde des nun vollen Hochlichtes vertrödelt. Es zogen aber auch einige fotogene Wolken auf, die zwar die ein oder andere Aufnahme verhagelten, dafür aber für etwas Stimmung in den Bildern sorgten, wo nun die Sonne im Mai um die Mittagszeit doch schon sehr hoch steht. Die restliche Hochlichtphase konnte nun aber wunderbar mit dem Standortwechsel nach Strausberg überbrückt werden. Wie man allerdings auf die Idee kommt, einen Radfahrer zu überholen, wenn ein Linienbus entgegen kommt war mir und dem Busfahrer gleichermaßen schleierhaft und ein kurzer Blickkontakt und synchrones Kopfschütteln reichten aus, um uns darüber einig zu werden, was wir von diesem Fahrmanöver hielten. Zum Glück hatten wir es beide kommen sehen (bzw. kommen hören) und bereits vorsorglich verzögert, sodass außer der nonverbalen Kommunikation nicht hängen geblieben ist…

Rund 13 Kilometer und eine halbe Stunde später erreichte ich über Rüdersdorf den dritten der Kleinstbetriebe in Strausberg. Hier fehlte mir noch immer der bis 2014 in Prag mit Niederflurmittelteil modernisierte KT8D5.RN2S 22. Wieder war ich ohne weiteres Wissen auf gut Glück nach Strausberg gefahren. Nachdem es beim letzten Besuch 2018 allerdings nicht geklappt hatte, kam heute an der Haltestelle Landhausstraße der KT8 herangesurrt. Ursprünglich wurde das Fahrzeug als KT8D5 für Košice gebaut und 1995 gemeinsam mit zwei weiteren Wagen übernommen. Während die Fahrzeuge 21 und 23 nach dem Eintreffen der beiden Flexity’s 2014 nach Prag abgegeben wurden und dort nach ihrer Modernisierung ebenfalls noch heute im Einsatz stehen, kam 22 nach seiner Modernisierung aus Prag zurück nach Strausberg und kommt seither zum Einsatz, wenn sich einer der Flexity’s in der Werkstatt befindet. Ein detailliertes Portrait der KT8D5 aus Košice findet sich hier: Straßenbahnen im Exil: Die Wege des KT8 aus Košice.
Da der gesuchte Wagen lief, war das restliche Tagesprogramm auch klar: Hier in Strausberg sollten einige Aufnahmen des Einzelgängers entlang der Strecke entstehen, was angesichts der Wolken etwas dauern könnte. Wenn dieser Pflichtpunkt abgehakt wäre, könnte das restliche Sonnenlicht noch am nördlichen Abschnitt der SRS genutzt werden.


Diesmal hatte ich in Strausberg Glück und neben Flexity 0042 lief der 2014 modernisierte KT8D5.RN2S 22. Hier an der Haltestelle Landhausstraße Richtung S-Bahnhof


Wenig später wartet der KT8D5.RN2S 22 an der Endstation Strausberg S-Bahnhof.


Ein einst und jetzt Vergleich hinter der Haltestelle Schlagmühle in Richtung Lustgarten.


An der Endhaltestelle Lustgarten wartet der Wagen am Nachmittag wunderbar im Licht, sodass in Ruhe abgewartet werden kann, bis die Massen an Pendlern sich mit ihren Karossen durch Strausberg geschoben haben und die Ampelschaltung einen ungestörten Blick auf den Wagen zulässt.


Beim Verlassen der Endhaltestelle brauchte es dann schon deutlich mehr Glück mit den Autos, in diesem Fall klappte es aber wunderbar.


Noch einmal hatte ich unweit der Haltestelle Käthe-Kollwitz-Straße Glück, nachdem zuvor auch immer wieder die Wolken einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten.


Im südlichen Abschnitt ist die Strecke geprägt von den für das Umland und den Großraum Berlin typischen Schotter- und Dreckpisten durch grüne Wohngebiete. Zwischen Landhausstraße und S-Bahnhof fand die Piste, allerdings baustellenbedingt, ihren sandigen Höhenpunkt. Ob hier so etwas wie eine richtige Straße entstehen soll?

Nun hatte ich genug von dem interessanten Fahrzeug und machte mich auf den Rückweg Richtung Schöneiche. In Rüdersdorf erreichte ich die SRS und wollte den Klassiker mit der Kalkberger Kirche umsetzen – eine halbe Stunde zu spät wie ich feststellen musste…


Das Licht war dann an der Kalkberger Kirche doch schon arg spitz. Bei der Seitenwerbung des KTNF6 26 aber irgendwie auch nur halb so schlimm.


Besonders von den Neufahrzeugen sollten noch einige Bilder im schönen Abendlicht aufgenommen werden. Ein Erstes gelang hinter der Haltestelle Heinitzstraße mit Wagen 51.


Ende Mai sind dann doch einige Stellen möglich, die nur an wenigen Wochen im Jahr funktionieren. So auch die Lichtung am Kreisverkehr zwischen den Haltestellen Berghof-Weiche und Kalkberger Straße mit KTNF6 28.


An der Haltestelle Schillerstraße konnte KTNF6 26 aufgenommen werden.


Nur zehn Minuten später folgt auf diesen ein Kurs als 88E, welcher nur bis Schöneiche Dorfstraße verkehrt. So ganz kam ich allerdings nicht dahinter, was es damit auf sich hatte, denn anschließend wird den ganzen Abend weiterhin ein 20-Minuten-Takt gefahren. Artic 51 kam hinter der Haltestelle Grätzwalde jedenfalls bei schönstem Abendlicht durch.


Zum Abschluss gab es dann noch einmal den neuen Wagen 53 hinter der Haltestelle Jägerstraße Richtung Friedrichshagen.

Jetzt begann nicht nur der Kamera-Akku nach drei Tagen ohne Ladung zu blinken, auch die Beine wurden nach über 100 Kilometern langsam schwer. Besser hätte der Fototag ohnehin kaum laufen können und so ging es hochzufrieden die wenigen Meter zum Auto und anschließend über – für A10 und A2-Verhältnisse – weitgehend leere Autobahnen, die 2 1/2 Stunden Fahrt zurück in die Löwenstadt.