Die erste große Tour im Jahr 2014 stand erst für den Juni auf dem Plan. Dafür sollte dies gleich eine große, elftägige Straßenbahnrunde durch den Osten der EU sein. Von Deutschland ging es über Polen in die Slowakei und von dort über Ungarn nach Rumänien. Auf dem Rückweg ging es erneut durch Ungarn und die Slowakei mit einem Abstecher nach Kroatien, von dort aus dann allerdings durch Tschechien zurück nach Deutschland. So kamen wir in elf Tagen auf sechs Länder und 15 verschiedene Straßenbahnbetriebe.
Prolog
Zu unserer große Osteuropareise 2014 war bislang nie ein ausführlicher Reisebericht entstanden. Lediglich einzelne Tage in Ungarn und Rumänien fanden ihren Weg in eigene Artikel. Um dieses Versäumnis nachzuholen, schreibe ich diesen Reisebericht nun erst im Frühjahr 2020. Einiges hat sich in den mittlerweile über fünf Jahren bei den besuchten Betrieben verändert, ein Grund mehr, nochmal auf diese Reise im Sommer 2014 zurückzublicken:
Die zeitlichen Planungen für den Sommer 2014 konnten erst recht spät fixiert werden. Für die Urlaubsplanung bedeutete dies, dass eine eventuelle Tour am besten mit dem Auto zu bestreiten wäre, da so kurzfristige Buchungen von teuren Flügen entfielen und die Hotelwahl flexibel gestaltet werden konnte.
Schon länger standen die von mir erstmals 2007 besuchten Betriebe im Westen Rumäniens wieder auf dem Wunschzettel, hatte sich doch sowohl in Arad, als auch in Oradea und Timisoara am Fahrzeugeinsatz einiges getan, oder Lücken aus den vorherigen Besuchen wollten geschlossen werden. Als neuer Betrieb sollte in Rumänien zudem noch Cluj-Napoca hinzukommen, wo seit einigen Monaten die ersten Pesa-Niederflurwagen im Einsatz standen.
Auch die benachbarten, drei kleineren Straßenbahnbetriebe von Ungarn in Debrecen, Szeged und Miskolc hatten seit 2007 ihre ersten Niederflurwagen in Einsatz gestellt.
Diese Betriebe sollten also mit Cluj den östlichsten Punkt der Reise markieren. Die rund 1500 Kilometer Anreise bis Cluj, wollten nun noch mit Programm gefüllt werden. Dies war alles andere als schwer, lagen doch unterwegs jede Menge interessanter Zwischenziele. Viel schwieriger war da schon die Wahl der Ziele, wollten wir diese Fahrt in unter zwei Wochen bewältigen…
Für die Hinfahrt wählten wir die nördliche Route durch Polen, mit den Programmpunkten Breslau (Wroclaw), dem schlesischen Straßenbahnnetz und Krakau (Kraków). Weiter sollte es über Prešov und Košice in der Slowakei gehen, bevor mit Miskolc und Debrecen die ersten Betriebe in Ungarn erreicht wurden. Von dort aus wurde die Runde durch Rumänien mit Oradea und dem Abstecher zum östlichsten Punkt nach Cluj-Napoca gestartet. Weiter ging es dann über die südliche Route immer weiter gen Heimat, mit den rumänischen Betrieben Arad und Timișoara, dem ungarischen Szeged, einem Abstecher ins kroatische Osijek und von dort erneut in die Slowakei nach Bratislava. Über Brünn und Prag ging es schließlich durch Tschechien zurück nach Deutschland. In elf Tagen Reise und rund 3400 Kilometern, sollten wir so durch sechs verschiedene Länder fahren und nicht weniger als 15 Trambetriebe besuchen. Hinzu kamen noch zwei weitere Städte mit Trolleybussen. Machen wir uns also auf die Reise durch den Osten der EU!
Mittwoch, 4. Juni 2014: Skodas in Breslau und im Wiener durch’s Revier
Lange vor dem Aufstehen ging es heute los, die ersten 550 km bis zum Frühstück in Breslau wollten hinter sich gebracht werden. Die Wahl des Fahrzeuges fiel auf den kleinen VW-Polo, so konnte man wenigstens auch Nachts überall bedenkenlos parken, ohne sich ständig über bewachte Parkplätze Gedanken machen zu müssen.
Die Fahrt über Berlin bis zur polnischen Grenze verlief zunächst recht ereignislos und zügig. Spannend wurde es dann hinter der deutsch-polnischen Grenze, an der die deutsche A15 zur polnischen A18 wird. Mit einer Autobahn im eigentlichen Sinne hatte diese Piste allerdings nicht viel gemein. Die Ursprünge dieser Strecke reichen bis in die 1930er Jahre zurück, als sie als Teil der Reichsautobahn 9 Berlin–Breslau angelegt wurde. Seither schien an der Fahrbahn auch nicht viel gemacht worden zu sein. Die ungewöhnlich kurzen und engen Auffahrten bestanden zum Großteil noch aus Kopfsteinpflaster und immer wieder verengte sich die Fahrbahn auf eine Spur. Wo es zweispurig war, wurde von LKW und PKW grundsätzlich links gefahren, da die rechte Fahrbahn für normale Fahrzeuge kaum mehr befahrbar war. Sobald dann ein Fahrzeug aufzulaufen drohte, wechselte der jeweils Langsamere für kurze Zeit auf die brutale rechte Fahrspur, welche den Stoßdämpfern schon bei 50 km/h alles abverlangte. War der Überholende durch war, wurde schnell wieder nach links gewechselt. Ein recht ungewöhnliches Spiel, das mit mehrheitlich deutschen Verkehrsteilnehmern sicher nicht ansatzweise so reibungslos funktioniert hätte…
Gegen neun erreichten wir den südlichen Breslauer Stadtteil Krzyki. Lange aufhalten wollten wir uns hier in Breslau eigentlich nicht, denn heute sollte es noch zur Schlesischen Straßenbahn weitergehen. Aber irgendwann muss man sich ja mal die Beine vertreten und ein Frühstück besorgen. Nebenbei fehlten uns auch noch die Skoda 19T Zweirichtungswagen, welche bei unserem letzten Besuch im Juni 2010 noch nicht liefen. Nach ein paar wenigen Bildern entlang der neuen Linie 31/32 in Richtung GAJ, welche aufgrund fehlender Endschleifen die Zweirichter erst nötig machte, ging es auch schon weiter. Das Wetter lud ohnehin noch nicht zu großen Aktivitäten ein, eine recht konturenlose Wolkensuppe waberte über Breslau.
Noch nicht sehr einladend zeigt sich das Wetter am Morgen in Breslau – passt aber irgendwie zur Betonwüste rund um die neue Straßenbahnlinien 31/32 im Süden der Stadt. Skoda 19T 3112 hält an der Station Krynicka.
Ohne viel Zeit zu verlieren, ging es anschließend weiter Richtung Südosten. Aus dieser Richtung erreichten wir das schlesische Straßenbahnnetz wie gewohnt in Gliwice. Der eigentlichen Ort Gliwice ist allerdings schon seit Jahren vom Netz abgetrennt, auch wenn im ganzen Ort noch Gleise und teilweise Fahrleitungen herumhingen. So erreichten wir die Ausläufer des großen Überlandnetztes durch das polnische Kohlerevier gegen Mittag im Osten von Gliwice am gleichnamigen Depot. Hier enden die Linien 1 und 4 und wenden durch die große Abstellanlagen. Viel wichtiger war allerdings, dass wir hier den ersten Fahrzeugtyp von der Fehlliste streichen wollten, denn die Linie 1 sollte nach unserer Kenntnis vollständig mit den modernisierten Wiener E1 laufen. Nach kurzer Zeit bog auch schon der erste Wiener um die Ecke ins Depot ein.
Wir folgten anschließend mal diesem Linienbündel nach Zabrze, um bei der zwischenzeitlich durchscheinenden Sonne noch eine Aufnahme des Wieners zu machen.
30 von SGP und Lohner gebaute E1 erhielt die Schlesische Straßenbahn zwischen 2010 und 2012 aus Wien. Bevor sie zum Einsatz kamen, wurden sie polentypisch leicht modernisiert und mit einigen neuen Plastikschürzen versehen. Am Ende der Linie 1 am Depot vor Gliwice konnte der modernisierte E1 925 beim Abbiegen Richtung Depot aufgenommen werden.
In Zabrze konnte der E1 925 wenig später erneut aufgenommen werden. Die im 20 Minuten-Takt fahrende Linie 1, verläuft hier neben einer prächtigen Baumreihe zwischen Haupt- und Nebenstraße und mehr oder weniger brüchiger Bebauung.
Die Sonne hatte sich jetzt schon wieder verzogen und es war Zeit für ein Mittagessen. An der vierspurigen Straße durch Zabrze fanden wir eine kleine Pizzeria. Sollte ja kein Problem werden, sich hier mal eben kurz eine Pizza zu ziehen – oder etwa doch? Nichtsahnend betraten wir die Räumlichkeit und deuteten mangels irgendwelcher Polnischkenntisse nach kurzer Zeit auf eines der Bilder auf der Speisekarte an der Wand: Die würden wir gern bestellen! Was folgte, war ein in irrwitziger Geschwindigkeit vorgetragener polnischer Roman zu besagter Pizza. Ok, alles klar, nehmen wir! Aber irgendwie war die junge Frau mit unserer nonverbalen Antwort nicht zufrieden und englisch schien sie auch kein Wort zu sprechen – auch eher ungewöhnlich heutzutage bei der jüngeren Bevölkerung. Leider schien sie auch der nonverbalen Kommunikation mittels gestenreicher Umschreibungen nicht zugetan, sodass eine funktionierende Kommunikation zunehmend aussichtslos erschien. Nach einem ewigen hin und her und noch mindestens drei weiteren Polnischbeiträgen, schien sie endlich mit unserem immer verzweifelteren Versuchen, einfach etwas zu Essen zu bekommen, zufrieden zu sein. Oder sie hatte doch irgendwann bemerkt, dass es keinen Sinn macht, uns minutenlang auf Polnisch zuzutexten, wenn wir doch eh kein Wort verstehen…
Jedenfalls kamen wir am Ende des Liedes doch noch zu unseren Pizzen, setzten uns an einen der kleinen Tische und hielten eine kleine Siesta. Die Pizza war jedenfalls deutlich besser als das trübe Wetter vor der Scheibe, wo in regelmäßigen Abständen abwechselnd Wiener E1 und 105Na vorbeirumpelten.
Anschließend ging es weiter durch Zabrze mit dem Ziel Biskupice. An der Zwischenschleife Biskupice Pętla sollte die vorrübergehend stumpf in Bytom Zamłynie endende Line 5 fahren. Durch die Stumpfendstelle war dies ein sicherer Anlaufpunkt für den zweiten Wagentyp auf unserer Fehlliste, den ab 2010 aus Frankfurt übernommenen Pt-Wagen von Duewag. Auch die nur für das schlesische Netz gebauten Konstal 111N mit beidseitgen Türen sollten hier anzutreffen sein. Wir fuhren anschließend entlang der Linie 5 bis zur Endstation in Bytom.
Auf dem Weg zu den Zweirichtern entstand in Zabrze noch eine Aufnahme des 105Na-Doppels mit 564 an der Spitze vor einer typischen Häuserkulisse des schlesischen Kohlerevier.
In der Zwischenschleife Pętla am Ortsrand von Biskupice, wartete bereits das 111N-Doppel aus 360 und 406 auf die Abfahrt Richtung Bytom.
Schon ist der zweite Punkt auf der Fehlliste abgehakt: Die Pt-Wagen 905 und 911 haben soeben an der Haltestelle Elektrownia in Szombierki gekreuzt.
Der Grund für den Einsatz der Zweirichter zeigt sich in Bytom: An der Haltestelle Zamłynie ist vorrübergehend Endstation. Auf einen Ersatzverkehr mit Zweirichtern anstatt SEV zu setzten, war angesichts der Menschenmassen wohl nicht die schlechteste Idee…
Nachdem nun auch der zweite Punkt auf der Fehlliste abgehakt war, blieben uns nurmehr zwei weitere übrig: Die erst in diesem Jahr gelieferten Pesa Twist Niederflurwagen und die älteren Niederflurwagen 116Nd von Konstal/Alstom. Letztere fehlten uns noch in der neuen roten Lackierung, hatten die Fahrzeuge doch zuvor nur eine graue Grundierung, auf der meist recht schreckliche Vollwerbungen aufgebracht waren. Seit einiger Zeit werden diese Wagen nun auch in das rote Gewand der Tramwaje Slaskie versetzt und sehen gleich um ein Vielfaches besser aus.
Ziel war also der Betriebsteil Katowice, wo beide Fahrzeugtypen anzutreffen wären. Auf dem Weg dorthin wurde noch in der großen Schleifenanlage von Stanowisko in Chebzie vorbeigeschaut. Hier bieten sich immer nette Fahrzeuggegenüberstellungen der verschiedenen hier endenden und startenden Linien.
In Chebzie warten der E1 945 als Linie 1 und der modernisierte Konstal 105Na 733 als Linie 17 Seit an Seit auf die Abfahrtszeit.
Das Wetter hatte auch in Katowice vorrübergehend dicht gemacht. Am großen Rondo warteten wir auf einen der neulackierten 116Nd auf der Linie 16. Nach einigem Warten kam mit 816 ein Fahrzeug ganz ohne Werbung.
Die neuen Pesa Twist wurden auf der Linie 35 eingesetzt, welche im großen Depot der Betriebsstelle Katowice wendet. Dort kam gegen Abend auch die Sonne wieder heraus und so gelang an der Depotausfahrt mit 826 die erste Aufnahme eines Pesa Twist – Fehlliste abgearbeitet!
Kurz hinter dem Depot wechselt die Strecke stadteinwärts von Seiten- in Mittellage. Dort konnte wenig später Pesa Twist 834 aufgenommen werden.
Pünktlich zum Abend waren damit alle Punkte auf der Fehlliste abgearbeitet. Da nun aber gerade die Sonne wieder so schön zum Vorschein kam, wurden die Fotoaktivitäten noch etwas verlängert. Auf unserem Weg Richtung Osten nach Krakau, machten wir daher noch einen Schlenker über Będzin. Mit der alten Burganlage bieten sich hier am großen Straßenbahnkreisverkehr “Będzin Rondo” auch am Abend noch zahlreiche Motive. Zuvor wurde in Sosnowiec noch das Motiv mit dem örtlichen Gerichtsgebäude aufgenommen.
In Sosnowiec hat der E1 941 soeben das Gerichtsgebäude passiert.
Der bei Modertrans zum 105N-AC modernisierte 664 erreicht die Haltestelle Zamek in Będzin.
Am großen Rondo von Będzin konnte zum Abschluss des Fototages noch der E1 940 auf der Linie 26 festgehalten werden.
Mit der abendlichen Fotosession in Będzin hatte der Tag nochmal sehr versöhnlich geendet: Alle fehlenden Fahrzeugtypen konnten angetroffen werden und auch die Sonnenausbeute war noch ganz gut geworden. So ging es im abendlichen Sonnenschein noch rund eine Stunde nach Krakau weiter, wo bereits ein Hotel reserviert war.
Morgen widmen wir uns dann dem großen und abwechslungsreichen Straßenbahnnetz von Krakau. Auch dort gibt es seit meinem letzten Besuch im Jahr 2010 schon wieder jede Menge Neues…