Die lange Anreise bis in den Süden Japans nach Kagoshima liegt hinter uns. Voll motiviert stürzen wir uns in diesem Teil nun in unseren ersten japanischen Straßenbahnbetrieb und machen direkt Bekanntschaft mit den vielen Eigenheiten der hiesigen Fahrzeuge und Betriebsabläufe.
Da die japanische Straßenbahnwelt, ebenso wie für mich vor dieser Reise, für viele eine sehr unbekannte sein dürfte, stelle ich in diesem Reisebericht, anders als sonst, zu Beginn jedes Teils den Betrieb einmal grob in wenigen Worten vor. Kagoshima ist der südlichste der, nach unserer Zählweise 17 Straßenbahnbetriebe Japans und damit der erste auf unserer Reise. Zur geografischen Einordnung gleich zu Beginn noch einmal die Übersichtskarte aus dem ersten Teil:
Übersichtskarte Japans mit den 17 verbliebenen Straßenbahnbetrieben. Kagoshima findet sich ganz im Süden der südlichen Insel Kyūshū.
Das Streckennetz von Kagoshima ist gute 13 Kilometer lang und beschreibt eine lange Nord-Süd-Achse, die sich im Zentrum für etwa drei Kilometer auf einen westlichen Bogen über den Bahnhof und einen östlichen Bogen entlang der üblichen, innerstädtischen Wohnbebauung aufspaltet. Im Norden endet die Strecke nach dem Passieren der Innenstadt nach wenigen Haltestellen am Bahnhof Kagoshimaekimae. Im Süden verläuft die Strecke nach der Wiedervereinigung an der Haltestelle Korimoto über weite Teile nur einen Häuserblock von der Eisenbahnstrecke entfernt nach Taniyama. Der Stadtrand wird aber auch hier nicht erreicht. Obwohl die Eisenbahn nur einen Häuserblock entfernt verläuft, besteht zur Bahnstation Taniyama in über einem halben Kilometer Entfernung nicht wirklich eine Umsteigebeziehung. Kurze Umsteigebeziehungen gibt es an der Station Minami zwischen Korimoto und Taniyama, sowie an der nördlichen Endstation Kagoshimaekimae und natürlich am zentralen Hauptbahnhof.
Das erste Teilstück der Straßenbahn wurde 1912 eröffnet und trotz der Größe der Stadt erreichte das Straßenbahnnetz auch während seiner größten Ausdehnung nur eine Länge von gut 19 Kilometern.
Betrieben werden heute zwei Linien: Die Linie 1 verkehrt vom nördlichen Endpunkt Kagoshimaekimae über die westliche Innenstadtstrecke zum Bahnhof und weiter bis Korimoto, dem südlichen Treffpunkt der Streckenteilung. Die Linie 2 verkehrt auf der Gesamtlänge vom nördlichen Endpunkt Kagoshimaekimae über die östliche Innenstadtstrecke bis nach Taniyama. Beide Linien werden in einem dichten 6-7min-Intervall bedient, der insbesondere zur morgendlichen HVZ noch einmal deutlich verstärkt wird.
Übersichtskarte der Straßenbahn Kagoshima. Die Linie 1 verkehrt von Kagoshimaekimae über die westliche Innenstadtstrecke zum Bahnhof und weiter bis Korimoto. Die Linie 2 verkehrt von Kagoshimaekimae über die östliche Innenstadtstrecke bis nach Taniyama. Rechts das örtliche Rubbellos aka Tageskarte.
Der Fahrzeugpark für den Liniendienst besteht mit Stand 2025 aus im Groben acht Fahrzeugtypen. Da es sich auch bei den moderneren Großraum-Vierachsern in Japan oft um Neuaufbauten handelt, sind die Trennlinien zwischen einzelnen Baureihen und damit auch die Zählweise allerdings nicht immer ganz eindeutig. Wie bei vielen japanischen Betrieben, besteht der Fahrzeugpark aus vielen kleinen Splittergruppen. Kategorisieren lässt es sich mit gewissem Wiedererkennungswert bei den meisten Betrieben in Fahrzeuge der unmittelbaren Nachkriegszeit, Neuaufbauten aus den 70er- und 80er-Jahren, hochflurigen Neufahrzeugen aus den 80er- und 90er-Jahren und schließlich Niederflurwagen ab den 2000er-Jahren. Ausnahmen bestätigen natürlich überall die Regel.
500er
Als ältestes Linienfahrzeug ist der Wagen 501 aus einer einst 15 Fahrzeuge umfassende Serie im Bestand. 1955 von Tōyo Kōki gebaut, wurde der Wagen zwar mehrmals modernisiert und an die aktuellen Gegebenheiten angepasst, der Wagenkasten ist aber anders als bei vielen japanischen Neuaufbauten der alte geblieben.
Wagen 501 von 1955 ist als letzter einer einst 15 Fahrzeuge umfassenden Serie noch im Bestand und konnte am 3. April 2025 in der HVZ aufgenommen werden.
600er
Optisch sehr ähnlich kommen die nur wenige Jahre jüngeren Fahrzeuge der heutigen 600er-Serie daher. Die Fahrzeuge scheinen ursprünglich drei verschiedenen Losen von den drei Herstellern Hitachi, Teikoku Sharyō und Naniwa Kōki zu entstammen. Die Baujahre liegen zwischen 1959 und 1962. Wo genau die Unterschiede liegen, ließ sich nicht ohne Weiteres erkennen. Wir konnten zumindest aus allen drei Unterserien noch Fahrzeuge im Linienbetrieb antreffen. Der schwerpunktmäßige Einsatz war aber klar in der morgendlichen HVZ zu verorten. Über den restlichen Tag sahen wir nur vereinzelt mal einen Vertreter der ältesten Baureihen.
Von den 1959 bei Hitachi gebauten 600ern sind wohl noch die drei Fahrzeuge 601 bis 603 im Bestand. Während unseres Besuches trafen wir in der morgendlichen HVZ des 3. April 2025 den Wagen 603 an. 602 durfte am Vortag als Nachmittagsverstärker bis in den Abend ein paar Runden drehen.
Von den 1960 bei Naniwa Kōki gebauten Fahrzeugen sind noch die Wagen 605, 611 und 612 im Bestand. 611 mit seiner ein wenig mitgenommenen Lackierung kam am 3. April 2025 auch außerhalb der HVZ auf der Linie 1 zum Einsatz. Der deutlich frischer wirkende 612 war nach der morgendlichen HVZ wieder eingerückt.
Von den 1960 von Teikoku Sharyō gebauten Fahrzeugen sind noch die Wagen 613 bis 615 im Bestand. 613 war während der morgendlichen HVZ des 3. April 2025 im Einsatz
9500er
Die Fahrzeuge der 9500er-Baureihe stammen ursprünglich aus Ōsaka und wurden in den 50er-Jahren gebaut. Bereits damals wurden Teile älterer Fahrzeuge weiterverwendet. Ende der 60er-Jahre wurden die Fahrzeuge neuaufgebaut und als Baureihe 800 in Kagoshima eingereiht. In den 90er-Jahre wurden die Fahrzeuge ein weiteres Mal neuaufgebaut und erhielten den heutigen, eckigen Wagenkasten und ihre aktuellen Nummern 9501 bis 9515 mit denen noch immer alle 15 Fahrzeuge in Kagoshima im Einsatz stehen.
Wagen 9511 am 2. April 2025 in der aktuellen Lackierung, die das kantige Design der Wagenkästen mit dem Zierspitz etwas konterkariert.
Die Spenderfahrzeuge stammten aus der mittlerweile vollständig abgelösten, ursprünglich aus Ōsaka stammenden 800er-Baureihe. 1991 standen diese noch zahlreich im Einsatz. Die ersten 9500er Neuaufbauten wurden erst 1995 fertiggestellt.
9700er
Zwei Fahrzeuge mit den Nummern 9701 und 9702 wurden 1998 mit identischen Wagenkästen wie die 9500er komplett neu gebaut. Äußerlich konnte ich keine Unterscheidungsmerkmale ausmachen. Antriebsseitig dürften sich die Fahrzeuge aber deutlich unterscheiden, zumindest war der vorsintflutliche “Drehorgel”-Stufenfahrschalter in diesen zwei Fahrzeugen nicht mehr verbaut. In den älteren Fahrzeugen waren diese noch durchweg verbaut und dürften teilweise aus erheblich älteren Spenderfahrzeugen übernommen worden sein.
Während unseres Besuches stand an beiden Tagen Wagen 9702 im Einsatz. Äußerlich erscheinen die Neufahrzeuge identisch zu den Neuaufbauten.
2100er
1989 wurden zwei Fahrzeuge mit den Nummern 2101 und 2102 von Kyūshū Ryokaku Tetsudō gefertigt. Von den späteren Fahrzeugen der 21er-Serien unterscheiden sich diese beiden erstgebauten äußerlich deutlich durch eine abweichenden Wagenkasten mit breitere Fronpartien, anderer Fenstereinteilung und Taschenschiebetüren.
Am 3. April 2025 war 2101 auf der Linie 1 im Einsatz.
2110er, 2120er, 2030er & 2040er
Auf die beiden 2100er folgte von 1991 bis 1994 eine Serie von neun weiteren Neufahrzeugen, die sich äußerlich durch die schon beschriebenen Unterschiede des Wagenkastens deutlich von den 2100ern absetzten. Die Nummerierung dieser Fahrzeuge, zwischen denen für den laienhaften Blick keine Unterschiede erkennbar waren, erschließt sich nicht ganz. Auf die Fahrzeuge 2111 bis 2113 folgen 2121 & 2122, 2131 & 2132, sowie 2141 bis 2143. Gebaut wurden die Fahrzeuge ebenfalls von Kyūshū Ryokaku Tetsudō, einem der sieben Nachfolger der 1997 privatisierten japanischen Staatsbahn.
Die in den 80er-Jahren gebauten oder neuaufgebauten Fahrzeuge bilden das Rückgrat der Straßenbahn Kagoshima. So auch die neun Neufahrzeuge der 2110er, 2120er 2030er und 2040er Baulose. Am 2. April 2025 war 2113 auf der Linie 1 unterwegs.
1010er
Auf die 2100er-Bauserien folgten im neuen Jahrtausend drei Generationen Niederflurwagen. Die erste Serie, bestehend aus den Fahrzeugen 1011 bis 1019, wurde in den Jahren 2004 und 2005 von Aruna Sharyō geliefert. Die Fahrzeuge stammen aus der sogenannten “Little-Dancer”-Familie und bestehen aus zwei extrem kurzen Endsegmenten mit starren Fahrwerken, in denen sich lediglich die Fahrerkabinen befinden und einem eingehängten Mittelsegment, in dem lediglich 55 Fahrgäste Platz finden. Die Fahrzeuge bringen es gerade einmal auf eine Länge von 14 Metern.
Die größte Niederflurserie ist bis heute die erste mit den kleinsten Fahrzeugen geblieben. Die neun “Little Dancer” machen ihrem Namen alle Ehre: Sie sind extrem klein und tänzeln durch die starren Fahrwerke in den Endmodulen fröhlich auf den Gleisen hin und her. Die Fahrzeuge tragen eine lichtgrau/gelbe oder lichtgrau/rote Lackierung oder auch Vollwerbungen.
7000er
Mit den Fahrzeugen 7001 bis 7004 folgten in den Jahren 2007 und 2008 vier weitere Niederflurfahrzeuge von Aruna Sharyō. Bei diesen handelt es sich um deutlich fassungsstärkere 18m lange, fünfteilige Multigelenker mit einem mittleren Fahrgestellsegment und entsprechend zwei Sänften. Die Kapazität ist mit 78 Fahrgästen deutlich höher. Die Endmodule sind allerdings weiterhin extrem kurz und bestehen nur aus den Fahrerständen.
Von der fassungsstärkeren fünfteiligen Version der “Little Dancer” wurden 2007 und 2008 lediglich vier Fahrzeuge beschafft. Auch diese tragen heute verschieden Farbkombinationen oder Vollwerbung.
7500er
2017 und 2019 folgten jeweils zwei weitere Niederflurwagen mit den Nummern 7501 bis 7504. Konstruktiv weichen die ebenfalls von Aruna Sharyō gelieferten Fahrzeuge grundlegend von den beiden ersten Niederflurserien ab: Erstmals fand in Kagoshima das GTx-Kurzgelenkprinzip Anwendung, dass es mit den Adtranz-Lizenzbauten für Kumamoto eigentlich schon 1997 nach Japan geschafft hatte. Die 14,4m langen Fahrzeuge bieten 68 Fahrgästen Platz und wissen gegenüber den Multigelenkern mit deutlich besserer Laufruhe in Kurven und Weichen zu überzeugen.
2017 und 2019 folgten vier zweiteilige GTx-Wagen. Während eines der Fahrzeuge in einem Chuggington-Train-Sonderdesign unterwegs ist, tragen zwei eine neue grün/gelbe Neon-Kombination und der vierte Wagen aktuell Vollwerbung.
(101)
Ebenfalls im Linieneinsatz, zumindest während der HVZ, stand der Einzelgänger 101. Dabei handelt es sich um ein Replica-Car, dessen älteste Urahn auf die 600er-Baureihe zurückgeht. Nach diversen Umbauten, mit komplett neuem Aufbau und neuen Fahrgestellen, dürfte vom ursprünglichen Spenderfahrzeug allerdings nicht mehr viel überlebt haben. Das heutige Fahrzeug stammt aus dem Jahr 2012.
Das Replica 101 ist ein Einzelgänger und eigentlich als pseudo-historisches Fahrzeug gedacht. In der morgendlichen HVZ des 3. April kam der Wagen aber ganz normal auf Linie zum Einsatz.
2. April 2025 II: Kagoshima
Im letzten Teil hatten wir gerade am Mittag unsere Koffer im Hotel abgegeben und starteten erwartungsfroh Richtung Straßenbahn. Dafür ging es abermals durch den zentralen Bahnhof von Kagoshima, an dem neben dem Kapspurnetz im rechten Winkel der Kyushu Shinkansen endet, mit dem es dann morgen Mittag weiter nach Kumamoto gehen soll. Unseren JR-Pass müssten wir hier im Bahnhof vorher auch noch unter Vorlage des per Post erhaltenen Vouchers einlösen, aber gerade war am Schalter eine ordentliche Schlange, sodass wir das mal verschoben.
Dringender war da schon die Beschaffung einer Tageskarte. Wie bei vielen Betrieben, sollte es die physischen Karten bei der Touristeninformation am Bahnhof geben. Anders als in Europa, sind die persönlichen Touristeninfos in Japan noch eine echte Institution. In nahezu jeder größeren Stadt findet sich mindestens am oder im Bahnhof ein kleines Center, in dem jede Menge Flyer und Merch ausliegen und meist mehrere Schalter mit hilfsbereitem Personal besetzt sind. Oftmals bekommt man genau dort auch die archaischen “Rubbellose”, die hier bei vielen Betrieben als Tageskarten verkauft werden. Hier in Kagoshima wurden wir vor dem Bahnhof zwischen Taxi-, Bus- und Tramhaltestelle an einem kleinen Häuschen fündig. Unser Problem war schnell in irgendetwas dem Englischen ähnlichen geklärt und wir besorgten uns gleich vier Rubbellose, um auch morgen bis zum Mittag versorgt zu sein. 24h-Karten gibt es, wenn überhaupt, in der Provinz meist nur auf irgendwelchen, ausschließlich japanischen, digitalen Vertriebskanälen. Aber da es in diesem Land auch keinerlei Verkehrsverbünde gibt, sind die Tageskarten eh meist recht günstig, gelten sie doch auch ausschließlich für die Straßenbahn und selbst wenn der Betreiber noch einige Buslinien fährt, bedeutet das nicht immer, dass diese Karte auch dort gilt. Hier in Kagoshima durfte man aber sogar ein paar Busse nutzen, wie uns am Schalter erklärt wurde und es auch auf einer Seite des Rubbelloses abgedruckt war.
Problem 1 war damit erledigt. Problem 2: Irgendwie hatte es lang nichts mehr zu essen gegeben. Nach einigen Aufnahmen am Bahnhofsvorplatz, ging es daher erstmal zurück in den Bahnhof, wo das geübte Nahrungssuchauge eben im Vorbeigehen etwas bäckerei-ähnliches ausgemacht hatte.
Durch die lange Standzeit in der Haltestelle, ist am Bahnhofsvorplatz eigentlich immer eine Bahn zu sehen, auch wenn hier nur die Linie 2 verkehrt. Wagen 9509 hat die Haltestelle auf dem Weg nach Kagoshimaekimae im Norden verlassen.
Im vorherigen Bild am rechten Rand zu sehen, steht auf dem Bahnhofsvorplatz ein großes Monument, die auf Englisch übersetzt “Statues of Satsuma Domain Samurais”. Auf der anderen Seite dominiert die gigantische AEON-Mall das Bild, dazwischen der verschwindend kleine Little Dancer 1012 vor der Einfahrt in die Station am Bahnhof Richtung Süden.
Die Erinnerung an den Bäcker in der Bahnhofspassage hatte nicht getäuscht. Nach kurzem Geirre durch das Gewirr des mit einer Mall verschmolzenen Bahnhofes – wir hatten einen anderen Eingang genommen als zuvor – fanden wir den auch wieder. Diese kleinen Selbstbedienungsbäckereien scheinen sich in Japan etabliert zu haben und sind gerade an stark frequentierten Orten wie Bahnhöfen häufig zu finden. Es wird quasi ständig, je nach Tageszeit Verschiedenes frisch gebacken und im Verkaufsraum auf Tischen und in Verkaufsvitrinen platziert. Man streift dann mit einem Tablett durch die engen Gänge und lädt sich das Tablett mit der Tageszeit angemessenen Leckereien voll. Mehr als einmal sollten diese Bäcker unsere Ernährungsversicherung am Morgen oder vor Bahnfahrten sein. Der hier zu Beginn in Kagoshima war auch gleich einer der besten, denn er schien zu keiner der größeren Ketten zu gehören und hatte entsprechend eine etwas interessantere und qualitativ hochwertige Auswahl. Allerdings keine Sitzplätze, was in Japan abermals ein kleines Problem bedeutet, denn im Gehen oder Stehen auf der Straße zu essen, ist hier absolut nicht angesagt. Dafür gab es aber an der Treppe hinab aus dem Bahnhof Sitzbänke, auf denen gerade einige Schüler herumlümmelten. Es gab aber noch ein freies Plätzchen für uns und so kamen wir dann endlich zur längst überfälligen Stärkung.
Bevor es nach dem Mittag weiterging, wurden noch die gerade erworbenen Tageskarten “entwertet”. Es dürfte damit auch klar sein, warum wir sie “Rubbellose” getauft haben. Meist sind die Karten für zwei bis drei Jahre vorgedruckt. Das entsprechende Datum wird dann einfach freigerubbelt. Da die Teile hauptsächlich für Besucher der Stadt den Weg über den Tresen finden, sind auf den Faltkärtchen meist auch noch diverse touristische Informationen mit abgedruckt.
Langsam kämpfte sich auch die Sonne hervor, die uns für den Nachmittag versprochen wurde und so ging es frisch gestärkt und mit den Rubbellosen bewaffnet in die nächste Tram Richtung Zentrum. Wir fuhren erstmal bis zum nördlichen Streckenende und rollten den Ast dann von hinten auf.
Nach dem Essen zurück an der Bahnhofshaltestelle, verlässt GTx 7504 die Haltestelle Richtung Korimoto.
Der Niederflurwagen 1014 brachte uns bis zur nördlichen Endstation. Dabei brachen gleich einige Eigenheiten der japanischen Straßenbahnen über uns herein. Da wäre zum Beispiel die Kontroll-/Bezahlprozedur: Der Einstieg ist bei den meisten Betrieben hinten, Ausstieg vorn beim Fahrer, der zugleich dann auch Schaffner spielt. Mehr als diese zwei Türen haben die Fahrzeuge in Kagoshima und den meisten anderen Betrieben auch nicht. Mit den Chipkarten checkt man beim Einsteigen ein, beim Aussteigen vorn wieder aus. Unsere analogen Tageskarten mussten natürlich nur beim Aussteigen vorgezeigt werden. Eine weitere Möglichkeit ist das Einwerfen von Bargeld direkt beim Aussteigen. Alle drei Varianten werden vom Fahrer kontrolliert und bei jedem einzelnen Fahrgast bestätigt. Es geht also alles geregelt und in aller Ruhe von Statten. Wie lang es teilweise dauert, bis an hochfrequentierten Haltestellen jeder Fahrgast einzeln vorn beim Fahrer ausgecheckt, bezahlt und im schlimmsten Fall in dem Bezahlautomaten auch noch Geld gewechselt hat, kann man sich wohl vorstellen – wir sind damit mal wieder beim Titel dieser Berichtreihe. Mehrmals kam uns der Gedanke, wie lang es wohl dauern würde eine bei uns nicht unübliche 40m-Bahn auf diese Weise abzufertigen. Bei den Multigelenkern muss der Fahrer dafür übrigens an jeder Haltestelle aufstehen und zu seinem Kontrollposten am ersten Gelenk schreiten. Von seinem Fahrerplatz kann er schließlich nichts sehen. Die Großraumwagen haben schwenkbare Fahrersitze, sodass sich der Fahrer einfach zum Fahrgastraum herumdrehen kann. Soviel zunächst an dieser Stelle, wir kommen sicher noch das ein oder andere Mal auf diese Eigenheiten zurück. Zunächst einmal entließ uns der winzige Gelenkwagen an der Endstation Kagoshimaekimae in die Freiheit. Hier endet die Strecke neben einem Bahnhof in einem kleinen überdachten Häuschen mit drei Bahnsteiggleisen.
Triebwagen 9506 erreicht die nördliche Endstation Kagoshimaekimae, die nicht untypisch für Japan, in einem kleinen Häuschen untergebracht ist.
Wenig später geht es für 9506 schon wieder los zur nächsten Runde.
Auch wenn man auf der Hinfahrt doch immer wieder mal kurz weggenickt war, hatten wir ein paar Stellen bemerkt, die man sich genauer anschauen könnte. Nachdem wir hier an der Endstation einige Perspektiven umgesetzt hatten und ein paar Locals nebenan über den Bahnübergang gerumpelt waren, bewegten wir uns wieder Richtung Zentrum. Nächster Anlaufpunkt war der Platz vor dem Rathaus und die anschließenden Arkaden der Shoppingmeilen bis ins Zentrum bei der Haltestelle Izurodori.
Das Rathaus befindet sich unweit der Haltestelle Shiyakusho Mae, die hier gerade vom GTx 7504 Richtung Norden verlassen wird. Die Infrastruktur wurde in Kagoshima in der Vergangenheit umfassend saniert, sodass große Teile der mittig trassierten Strecke auf sonst für Japan eher untypischem Grüngleis verlaufen.
Die City Hall selbst ist am Nachmittag nicht im Licht, das wäre ein Programmpunkt für morgen früh. Dafür aber der Blick in die entgegengesetzte Richtung mit dem angeschnittenen Vulkan Sakurajima im Hintergrund. Der rund 1100 Meter hohe Vulkan ist einer der aktivsten Japans und liegt auf einer selbstgeschaffenen Insel mitten in der Bucht bei Kagoshima. Der als Chuggington-Train folierte GTx 7502 passiert das Rathaus Richtung Stadtzentrum. Hier verkehrt der Chuggington-Train ganz normal als Linienwagen. In Okayama werden wir später noch auf den komplett im Stil der beliebten Kinderserie gebauten Wagen treffen, der dort ausschließlich zur Kinderbelustigung als Sonderfahrt eingesetzt wird.
Erstmals machten wir hier auch Bekanntschaft mit den typischen japanischen Einkaufspassagen, den Shōtengai: Da das Wetter hier zur Regenzeit doch einigermaßen unangenehm daherkommt, sind die MIV-freien Einkaufspassagen meist überdacht und zweigen von den großen Hauptverkehrsstraßen in kleine Seitenstraßen ab. So bildet sich in den zentralen Quadranten der Städte meist ein dichtes Netz aus überdachten Einkaufsstraßen zwischen den großen Verkehrsachsen, an deren Seiten sich ebenfalls überdachte Arkaden befinden, sodass man die Innenstädte fast unbehelligt von Sonne, Monsun-Regen oder Schnee durchschreiten kann. In Kagoshima befindet sich dieses Einkaufs- und Ausgehviertel rund um die Haltestellen Izurodori und Temmonkandori. Von letzterer kommend, erreicht 9509 die Haltestelle Izurodori Richtung Kagoshimaekimae.
Überdachter Fußweg entlang der Straßenbahnachse auf der Izuro Street, der die Passanten beim Wechsel zwischen den kleinen überdachten Einkaufsstraßen vor den oftmals unangenehmen Wetterbedingungen schützt. Einer der oft mit Portalen geschmückten Eingänge deutet sich auf der rechten Seite des Bildes an.
Blick von der anderen Straßenseite in Richtung der Haltestelle Izurodori mit Wagen 9511 auf der Linie 1 nach Taniyama. Im Hintergrund folgt bereits Wagen 7003 als nächster Kurs der Linie 2. Durch den zähen Fahrgastwechsel laufen selbst Fahrzeuge der gleichen Linie an den zentralen Haltestellen gern einmal aufeinander auf.
Mit dem Ziel, kurz unser Zimmer zu beziehen und die kleidungstechnische Ausrüstung an das nun sonnige Wetter anzupassen, wollten wir nun kurz zum Hotel zurückfahren. Der nächste Kurs war allerdings eine nicht über den Bahnhof fahrende Linie 1, sodass wir schon nach dem kurzen Genuss heulender Gleichstrommotoren am Abzweig Takamibaba wieder ausstiegen. Bei der Mitfahrt wurde uns gleich klar, was oben schon in der kurzen Fahrzeugvorstellung zu lesen war: Auch die zumindest äußerlich in die 80er- und vielleicht noch 90er-Jahre passenden Hochflurwagen, verfügen noch über deutlich ältere innere Werte. Sind eben, wie oben zu lesen, zum großen Teil Neuaufbauten. Ein archaisch anmutender Fahrschalter mit goldener Kurbel und satt klackender und ratternder Fahrstufenwahl, das Zischen und Fauchen der Druckluftbremse und der pneumatischen Türen, das Bollern des Kompressors und das grelle, mechanische “Bing” der Haltewunschtaster, alles schien hier eher an der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu kratzen, denn an der Jahrtausendwende. Das erinnerte doch arg an die Italienreise 2023, eines der wenigen Länder in Europa, wo man dies noch so alltäglich erleben kann, wie hier in Japan.
Wir enterten mal den nächsten Wagen, der uns zwei Haltestellen bis zum Abzweig zwischen den Linien 1 und 2 weiterbrachte und gewannen dabei die ersten Eindrücke der japanischen Standard-Fahrzeugausrüstung eines Großteils der Fahrzeuge von vor dem Niederflurzeitalter.
GTx 7501 biegt am Abzweig Takamibaba auf die Strecke der Linie 1 ab.
Ein halber Meter muss in Japan oftmals als Haltestelleninsel ausreichen. Da der Zugang meist nur an einer Seite der Inseln möglich ist, führt dies an hochfrequentierten Haltestellen nicht selten dazu, dass die natürlich fein säuberlich eingereihte Schlange der Einsteiger, die hintere Fahrzeugtür der Aussteiger blockiert. Klassischer Deadlock, der aber noch immer irgendwie mit etwas – natürlich äußert höflichem und ruhigem – Gedränge gelöst werden konnte.
Platz für vier bis sechs Autospuren bleibt natürlich trotzdem immer. In dieser Hinsicht ist Japan noch einmal um einiges krasser als Deutschland oder andere autozentrierte Länder Europas. So ist dann DAS typische Japanbild auch der Teleblick von einem der schmalen Bahnsteige auf die nächsten herannahenden Kurse. Den Kreuzungsbereich am Abzweig Takamibaba hat man bei den Streckensanierungen anscheinend großzügig vergessen. So darf Wagen 2111 gleich mit lautem Gerumpel den Abzweig auf die Strecke der Linie 1 nehmen.
Mit der nächsten 2 ging es dann das kurze Stück weiter zum Bahnhof. Ist im Grunde alles nicht weit, aber wir haben ja unser Rubbellos eh bezahlt und bisschen kam die Erschöpfung dann doch durch nach der langen Anreise. So gönnten wir uns im Hotel den kurzen Moment Füße hochlegen. Aber wirklich nur einen kurzen Moment. Ich gab uns fünf Minuten und mit eiserner Disziplin rafften wir uns dann wieder auf, denn irgendwie war man ja nun doch angefixt von all den neuen Eindrücken und wollte das schöne Nachmittagslicht optimal ausnutzen. In der Lobby gönnten wir uns noch ein Koffeinsüppchen, das gar nicht so arg war, wie man es bei der Sorte Automat vermutet hätte. Zumindest konnte er ausschließlich schwarzen Kaffee. So richtig läuten die Alarmglocken bei der aktuell zu beherrschenden Müdigkeit erst, wenn aus ein und demselben Automaten auch noch Hühnerbrühe und Tomatensuppe kommen. Die Müdigkeit war aber insgesamt jetzt auch nicht schlimmer, als wenn ich wiedermal eine Nacht durchfahre, um ohne Verkehr in die Alpen runterzukommen. Einzig wenn man in einem der schaukelnden Wägelchen saß, nickte man doch jedes Nal weg.
Zurück vom Hotel, liegt der Bahnhofsvorplatz nun im schönsten Nachmittagslicht. Wobei die Schönheit mit der gigantischen, fast schon brutalistisch anmutenden AEON-Mall hinter dem Samurai-Monument auch eher im Auge des Betrachters liegt. Das kleine Wägelchen 9510 macht zum Glück durch seine auffällige Lackierung ausreichend auf sich aufmerksam.
Die Bahnhofshaltestelle wurde wahrscheinlich im Rahmen der umfangreichen Streckensanierungen umgestaltet. Zumindest gibt es hier mal ausreichend Platz für wartenden und aussteigende Fahrgäste. Die Nichtordnung der Wartenden könnte für japanische Verhältnisse schon fast als chaotisch durchgehen.
Nochmal ohne die Samurai der Fünfteiler 7004 bei der Einfahrt in die Bahnhofshaltestelle vor der AEON-Mall.
Den einen Standard-Standort für Straßenbahnbilder in Japan hatten wir eben schon am Ende einer der schmalen Haltestelleninseln inmitten überbreiter Straßen. Ein zweiter Standard sollte sich bei mir allerdings im Laufe dieser Reise deutlich größerer Beliebtheit erfreuen und regelrechtes Ziel bei Suchen am Satellitenbild werden: Fußgängerbrücken. Bei uns sind die ja vollkommen aus der Mode, wenn sie es überhaupt jemals waren. Aus Sicht der Barrierefreiheit sind sie auch mehr als problematisch und auch für den Radverkehr denkbar ungeeignet, sodass es meist eh immer noch eine niveaugleiche Kreuzung mit Ampelregelung braucht. Aber als Zusatz sind die Brücken einfach genial. Einerseits für uns natürlich als Fotostandort, andererseits aber auch um einfach wesentlich schneller über Kreuzungen und Straßen hinweg zu kommen, wenn man einmal Bekanntschaft mit der Länge japanischer Ampelumläufe gemacht hat. Besonders schön sind natürlich die alten und rostigen Gammelbrücken, zu denen wir im Laufe dieser Reise noch kommen werden. Zum Einstieg gab es hier am Bahnhof nur eine recht moderne Brücke, sogar mit Rolltreppe, die halb an eines der modernen Häuser integriert war und zum Bahnhof hinüberführt – wir haben sie vorhin und im vorletzten Bild schon gesehen.
Beim Blick von der Brücke am Bahnhof Richtung Süden wird schnell klar, dass dieser Abschnitt der Linie 2 fotografisch eher weniger interessant ist. Wagen 2131 rollt hier Richtung Korimoto.
Der Blick in Gegenrichtung geht über den Straßenteil des Bahnhofsvorplatzes mit der Haltestelle der Straßenbahn und dem Fünfteiler 7002.
Wir fuhren anschließend mit dem Kennenlernen des Netzes fort und nahmen die nächste 2 Richtung Korimoto bis zum Depot, das sich an der Haltestelle Shinden zwischen dem Bahnhof und Korimoto am nur von der Linie 2 befahrenen Streckenabschnitt befindet. Die Betriebshöfe sind hier in Japan meist recht gut einsehbar, mit Vandalismus hat man schließlich quasi keine Probleme in diesem Land. So schlenderten wir mal am Zaun entlang und sahen dabei eine ganze Reihe der alten Vierachser aus den 50er-Jahren, die wir heute noch nicht im Einsatz gesehen hatten. Die Quellen, wonach diese Wagen hauptsächlich noch in der morgendlichen HVZ zum Einsatz kommen, schienen also Recht zu behalten. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel und so setzte sich, kaum dass wir wieder zur Haltestelle liefen, einer der urigen Altwagen in Bewegung Richtung Depotausfahrt. Bloß ein Rangiermanöver? Schien nicht so, denn man fuhr ganz hinaus, stellte hinter dem Wagen die Weiche, änderte die Fahrtrichtung und rückte in die Haltestelle vor. Ein vorzeigbares Bild war hier nicht zu machen, aber es wurden auf der Ausrückfahrt Richtung Korimoto schon Fahrgäste mitgenommen, sodass wir schnell in den Wagen sprangen und in den Genuss einer ersten Fahrt in einem der richtigen japanischen Straßenbahn-Urviechern kamen. Das Gesamterlebnis lässt sich weder in Worten, noch in Standbildern richtig beschreiben, sodass ich in dieser Reihe als Novum immer mal wieder kurze Videoschnipsel einstreuen möchte. Einen ersten gibt es jetzt von der Mitfahrt im Wagen 602 zwischen Shinden und Korimoto. Leider haben sich die Videoeinstellungen der Kamera aus mir unerfindlichen Gründen auf 1920P 25b/s gestellt, was ich erst nach einigen Tagen bemerkte. In höchster Qualität gibt es vorerst also nur die Videos vom iPhone, der Rest hat eben etwas 2010er-Vibes. Aber es ist eh mehr das Erlebnis der Kombination aus Sound und Bild, denn die Qualität des Bildes selbst, die hier zur Geltung kommen soll.
Fahrt im Wagen 602 zwischen den Haltestellen Shinden und Korimoto auf der Linie 2.
Dieser kurze Schnipsel soll voerst reichen. Mehr kommt dann natürlich in den nächsten Tagen noch. Ein Paradoxon japanischer Straßenbahnen sticht dabei direkt hervor: Es ist bekanntlich üblich, sich generell in öffentlichen Verkehrsmittel absolut still zu verhalten und keine Unterhaltungen zu führen, geschweige denn zu telefonieren oder gar TikTok-Videos auf Lautsprecher(!) laufen zu lassen, wie es bei uns eine Plage ist. Dafür wird man dann aber pausenlos von irgendwelchen teils automatischen, teils vom Fahrer in sein stets sprechbereites Mirko gehauchten Durchsagen beschallt, die durch die krächzenden Lautsprecher irgendwie versuchen, die infernale Geräuschkulisse der vorsintflutlichen Fahrzeuge zu übertönen. Das ganze Lärmensemble kann zwar fast schon etwas Meditatives haben, ziemlich laut und penetrant ist es aber dennoch, wenn man mal länger als zehn Minuten in einem der Wägelchen verbringt. Anders als in den dahingleitenden Shinkansen, würden hier quatschende Fahrgäste das eh schon sprudelnde Fass auch nicht mehr zum Überlaufen bringen.
Eben im bewegten Bild, nun noch einmal zwei Innenraumaufnahme aus dem Wagen 602, die Zeit lassen, die Details etwas genauer zu entdecken.
Etwas abgegriffen kommt auch der Fahrerplatz des über 65 Jahre alten Wagens daher. Links der Kaffeemühlen-Fahrschalter, der auch in den zahlreichen Neuaufbauten weiterverwendet wurde. Mittig der Kopf für den Bremshebel, der sozusagen der Schlüssel zum Fahrzeug ist und immer nur auf dem in Fahrtrichtung vorderen Fahrerstand montiert ist. Einen Tacho sucht man wie bei vielen Fahrzeugen vergebens, das einzige Rundinstrument zeigt den Bremsdruck an. Auch die Anzahl der weiteren Bedieneinrichtungen ist der Einfachheit der Wagen entsprechend gering.
In Korimoto setzte unser Oldie dann als Linie 2 Richtung Norden ein, sodass wir noch schnell von der Haltestelle zurück hinter den Abzweig liefen, wo sich eine der wenigen noch sonnigen Stellen bot. Kein tolles Motiv, aber zumindest schonmal eine bessere Aufnahme, als eben beim Ausrücken. Wir hatten dann den etwas verwegenen Plan, den Wagen auf der kürzeren und vermutlich schnelleren Strecke der Linie 1 quasi im Fernduell zu überholen. Das ging sich sogar knapp aus, sodass der 602 hinter der Zusammenführung der Strecke bei Takamibaba wieder hinter uns war. Allerdings bot sich auch hier bis zur Endstation nirgends mehr ein Sonnenspot. Wir machten Bekanntschaft mit dem ungewohnt früh schwindenden Tageslicht hier in Japan. Wobei man sagen muss, dass der Fehler eigentlich bei unserer komischen, gerade erst wieder umgestellten Sommerzeit liegt, die die Uhrzeit um eine Stunde zum Tageslicht verschiebt. Hier war es quasi “normal”, also kurz vor sechs am Morgen Sonnenaufgang, kurz nach 18 Uhr am Abend Untergang. Ein allerletzter Spot ging sich bei der Ausfahrt aus dem Endstationshäuschen aber noch aus.
In Korimoto ist Wagen 602 als reguläre Fahrt der Linie 2 eingesetzt und macht sich nun auf die Fahrt über den Bahnhof in den Norden der Stadt.
Eine Dreiviertelstunde und einige Male Sekundenschlaf später, fährt 602 aus der nördlichen Endstation Kagoshimaekimae aus und hat auf die Linie 1 gewechselt. Rechts schiebt sich sogar der Sakurajima noch einmal knapp ins Bild.
Sonne weg, blaue Stunde noch nicht da -> Zeit für’s Abendessen. Da wir noch so gar keine richtige Ahnung hatten, was uns hier essensseitig so erwartet und wie das überhaupt alles funktioniert, gingen wir es mal ohne großen Plan an. Bisschen durch die überdachten Straßen in der Innenstadt schlendern und schauen was es gibt. Angesichts der erheblich schwindenden Energie nach dem überlangen Tag, suchten wir eher etwas imbissartiges und wurden schließlich in der ersten Etage einer kleinen Passage in einer der Einkaufsstraßen fündig, wo es gleich mehrere Läden gab. Bei einem dampfte und brutzelte es vielversprechend und alles Mögliche schien in einem Wok zusammengeschmissen zu werden. Kann man nichts verkehrt machen. Bestellung und Bedienung erfolgte trotz des Schnell-Restaurant-Charakter am Tisch. Wir bestellten jeder eines der offerierten Menüs und es dauerte nicht lang, bis der Koch hinter der offenen Küche irgendwelche Sachen zusammenbrutzelte. Der Wok mit Reis, den ich bekam, war zumindest sehr schmackhaft und es gab keine böse Überraschung mit irgendwelchem Meeresgetier mit Beinen. Dazu gabs noch eine omami-starke Nudelsuppe mit diesen dicken, aber softigen Teignudeln. Nur die zusätzliche, aber oft obligatorische Fischbrühe hätte nicht sein müssen – damit konnte ich mich auch in den kommenden drei Wochen nicht anfreunden. Schmeckt für mich, wie es auf einem Fischmarkt in zu warmen Ländern riecht…
Draußen waren wir dann wieder zum Ende der blauen Stunde, aber ein paar Aufnahmen hart an der verkraftbaren ISO-Grenze gingen noch. Wir sahen sogar nochmal zwei der alten Gurken, den 602 von vorhin und auch der 611 hatte sich noch aus dem Depot getraut. Das machte doch große Hoffnung, dass die morgen früh zum noch einmal deutlich dichteren HVZ-Fahrplan verstärkt zum Einsatz kommen würden, wenn schon jetzt in der Nachmittags-/Abendspitze zwei Wagen unterwegs waren.
Die Haltestelle Temmonkandori befindet sich direkt an den die Izuro Street kreuzenden, überdachten Einkaufsstraßen. Irgendwo dort oben rechts haben wir eben gegessen, aber auch für alle anderen Erledigungen findet man hier meist den richtigen Laden.
Die Eingänge in die Shōtengai sind meist an auffälligen Portalen zu erkennen. An der Haltestelle Temmonkandori liegen sich zwei der Portale direkt gegenüber. Nur die All-Way-Fußgängerkreuzung muss ohne Überdachung überquert werden. Hier der Blick auf das nördliche Portal mit Wagen 2121.
Direkt gegenüber das südliche Portal, das im nächsten Quadranten in das Einkaufsstraßengewirr führt.
Wagen 9510 liefert sich auf dem All-Way-Überweg ein Beschleunigungsduell mit einem Toyota Comfort Taxi.
Letztes Ziel für heute war das beleuchtete Riesenrad auf dem Bahnhof, das auf der Strecke dorthin ungefähr in der Straßenachse liegen müsste. Das “ungefähr” war dann aber das Problem, denn hier war der Streckenverlauf mal nicht ganz rechtwinklig, sodass es nicht wie gewünscht fluchtete mit dem Riesenrad. Erst auf der Takami Bridge bekam man das Riesenrad ganz mit drauf, dort allerdings brauchte es mit den parallel fahrenden Autos und dem langsam abflauenden Verkehr auf der Linie 2 eine Menge Geduld. So stand ich dann für die letzten Versuche bald allein dort, die Müdigkeit hatte schon über die Hälfte von uns gesiegt.
Der Neubauwagen 9702 rollt die lange Gerade vom Bahnhof herunter. Das Riesenrad ist von der Haltestelle Temmonkandori aus gesehen allerdings noch sehr angeschnitten.
Besser geht es in der Theorie auf der Takami-Bridge, die nur noch eine Haltestelle vom Bahnhof entfernt liegt. Allerdings war immer genau ein Auto unpassend zur Stelle, sobald das nächste Wägelchen aus der Haltestelle Takamibashi beschleunigte. Aber ein Toyota Comfort gehört irgendwie auch einfach dazu, nur diese seltsamen nachgerüsteten Blendscheinwerfer hätten nicht sein müssen und stellen Wagen 9510 doch etwas in den Schatten.
Dann eben noch einmal ganz ohne Straßenbahn. Auf dem großen Mall-Komplex des Hauptbahnhofes steht das Riesenrad quasi obenauf und gewinnt damit gleich noch mehr an Höhe. Der Blick müsste morgen früh eigentlich auch bei Sonne funktionieren.
Für heute war es dann doch langsam genug. Die Müdigkeit kickte nun doch ein wenig und es fühlte sich schon bisschen an, als hätte man leicht einen sitzen. Ich schlenderte nun also auch zum Hotel auf der anderen Seite des Bahnhofes hinüber und es wurde nicht mehr spät an diesem ersten Abend.
Das war doch schonmal ein recht erfolgreicher Einstieg hier in Kagoshima gewesen. Morgen wollten wir uns noch etwa einen halben Tag Zeit nehmen, die Frühspitze ausnutzen und anschließend noch den Süd-Ast Richtung Taniyama anschauen. Gegen Mittag würden wir dann nach Kumamoto rüberwechseln.
Donnerstag, 3. April 2025 I: Kagoshima
Die Nacht wurde unerwartet früh unterbrochen, wenn der schlaftrunkene Blick auf’s iPhone nicht täuschte, war es sogar noch kurz vor Mitternacht. Aus irgendeinem Grund war ich aus dem Schlaf erwacht und irgendwas kam mir sogleich sehr seltsam vor. Es brauchte vermutlich nur wenige Sekunden, bis der Grund klar wurde, aber in der Erinnerung ziehen sich die Gedanken in solchen Momenten in die Länge wie japanische Haltestellenaufenthalte. Es fühlte sich plötzlich an, wie auf einer Fähre zu schlafen. Das Gebäude schien Seegang zu haben und schon bemerkte ich auch die sich bewegenden Gardinen.
Die Wahrscheinlichkeit, bei drei Wochen in Japan ein Erdbeben mitzuerleben, ist ziemlich hoch und wir waren nun schon in der ersten Nacht in den “Genuss” gekommen. Es handelt sich schließlich um eine der erdbebenreichsten Regionen der Erde. Wie ich später herausfand, war es nur ein Nachbeben eines stärkeren Bebens von kurz vor unserer Ankunft.
Es war nirgends ein Alarm zu hören, auch kein Cell Broadcast oder ähnliches. So setzten wir die Nachtruhe bald fort, ein seltsames Gefühl war es aber dennoch, kennt man so etwas doch einfach nicht und im 14. Stock schwankt es dann doch ganz ordentlich, selbst wenn es nur ein sehr schwaches Beben ist. Schon eindrucksvoll, was die erdbebensichere Bauweise in Japan so einfach wegschluckt, bedenkt man, dass die Gebäude auch noch wesentlich stärkeren Beben standhalten und über sowas wie in dieser Nacht eher müde lächeln.
Dank Buisness-Hotel am Bahnhof gab es bereits ab 6 Uhr Frühstück. Perfekt, um anschließend die Frühspitze noch mitnehmen zu können. Vor dem japanischen Frühstück hatte ich im Vorhinein etwas Respekt gehabt, denn das ist deutlich anders als bei uns: Man ist auch morgens schon überwiegend herzhaft und vieles hat irgendwie einen marinen Migrationshintergrund. Aber auch Nudeln mit Tomatensauce und allerlei frittiertes Zeug fand sich an einem großen Buffet, fein säuberlich in ganz vielen kleinen Schälchen angerichtet. Wir nahmen uns also Tabletts und luden einige der Schälchen auf, die immer wieder wortreich von Angestellten nachgefüllt wurden, teilweise auch wieder mit anderen Kreationen. Zum Glück gab es auch Joghurt und paar Cerealien, obwohl auch vieles andere nicht schlecht war, aber für uns irgendwie schon seltsam morgens um halb sieben eine Fischsuppe und frittiertes Meeresgetier zu essen.
Noch schnell das Zimmer geräumt und die Koffer unten abgegeben, dann konnte es wieder an die Arbeit gehen. Der Bahnhofsvorplatz lag nun richtig herum im Licht und die Wagen mussten recht passend im Licht immer einen Moment auf die Ampel warten, sodass sich über die Straße gesehen meist Lücken zwischen den Autos ergaben. Nach den ersten Aufnahmen trennten wir uns bald und ließen uns bis zum Mittag getrennt durch die Stadt treiben – man muss sich ja nicht ständig auf den Füßen stehen 😉
Es ist kurz vor acht am Morgen und die Frühspitze voll am Rollen. So kommen fast im Sichtabstand am Bahnhof die kleinen Wägelchen der Linie 2 durch. Obwohl hier alles mit Ampeln geregelt ist, wedelt noch ein Einweiser gewichtig mit einem roten Leuchtstab herum und weißt Passanten den Weg über die Straße. Der war hier auch gestern schon am Machen, wer immer beschlossen hatte, dass es hier einen solchen Einweiser braucht.
Auch der Blick auf das auf der Bahnhofsmall stehende Riesenrad ist jetzt am Morgen im Licht. Überraschend auf Linie auch eines von uns eigentlich als Sonderfahrzeug kategorisiertes Gefährt, der Replica-Wagen 101.
Ich folgte der Linie 2 Richtung Innenstadt und stoppte an der Takamibashi-Bridge. Brücken sind immer willkommene Unterbrechungen in der Häuserwüste und auch hier bot sich ein nettes Motiv. Nach mehreren Versuchen klappte es zu meiner großen Freude ausgerechnet mit dem 603, dem ersten Altwagen, den ich heute sah.
Ich gab meine Altwagensichtung sogleich durch und bekam die Antwort, dass noch einige weitere auf beiden Linien unterwegs seien. Daraufhin verschob ich mich dann auch in den Bereich nördlich von Takamibaba, um mit beiden Linien die größtmögliche Altwagendichte mitzunehmen. Im Einsatz standen heute die Wagen 501, 602, 603, 611, 612 und 613, wobei der überwiegende Teil dann nach der HVZ um neun herum wieder in Richtung Depot entschwand. Es reichte aber für einige schöne Aufnahmen der Wagen auf dem Innenstadtabschnitt rund um Izurodori und die City Hall.
Am Abzweig Takamibaba steht noch ein alter Verkehrsturm an der Kreuzung. Die alten Türme entdeckten wir immer mal wieder, besetzt waren sie zwar durchweg nicht mehr, gewundert hätte es mich aber nicht bei all den Anachronismen, die hier parallel zur modernen Welt überdauert haben. Wagen 9504 überquert als Linie 2 Richtung Betriebshof die Kreuzung.
An der Ecke bei der Haltestelle Izurodori passte es mit Wagen 613 im dichten morgendlichen Straßenverkehr.
Aus der Gegenrichtung erreicht Wagen 612 die Ecke an der Haltestelle Izurodori. Liebevoll gepflegte Blumenrabatten konterkarieren oftmal die tristen Betonlandschaften der japanischen Großstädte, wobei es hier im Zentrum Kagoshimas auch so recht abwechslungsreich und bunt zugeht.
Ich habe mich bis zur City-Hall vorangearbeitet, wo der Blick über den großen Platz auf der anderen Straßenseite Richtung Sakurajima fällt, der sich bereits in die drohende Wolkensuppe hüllt.
Blick in die andere Richtung: An der City Hall wollte ich unbedingt noch eine schöne Aufnahme mit einem Altwagen machen, schließlich sind wirklich hervorstechende Gebäude entlang der Strecken eher selten. An der Aufnahme mit Wagen 612 musste dann auch mittels Mehrfachauslösung etwas “gearbeitet” werden, um noch zwei unpassend platzierte Autos aus dem Bild zu befördern.
Die Fahrzeuge der Frühspitze begannen nun wieder einzurücken, mindestens zwei Altwagen müssten aber noch “hinten” sein, sodass ich mich wieder ein Stück zurück Richtung Izurodori verschob. Dabei kommt mir noch immer unweit der City Hall der Wagen 2113 Richtung Norden entgegen.
An der Ausfahrt der Haltestelle Izurodori war es über die Kreuzung gesehen wirklich ein Glücksspiel, ob es sich mit den Autos ausging oder nicht. Mit etwas Glück rückte der jeweilige Wagen schon ein Stück vor und wartete dann hinter der Haltestelle auf die Ampel. So auch der letzte verbliebene Wagen der 500er Serie, von dem mir damit auch noch eine schöne Streckenaufnahme gelang. Als die Ampel dann grün wurde und der Wagen endgültig aus dem Schatten hervorfuhr, waren die Autos schon längst daneben.
Keine Seltenheit sind in Japan andere Fotografen an der Straßenbahn. Obwohl schon bei uns vergleichsweise verbreitet, scheint die Szene in Japan noch einmal deutlich ausgeprägter. Eigentlich sah man bei jedem Betrieb irgendwo andere Fuzzis herumschleichen. Lustigerweise sind die hier eher wie bei der Wildtierfotografie mit den ganz langen Brennweiten unterwegs. Vielleicht einer der Gründe, warum man trotz der großen Szene von den japanischen Straßenbahnbetrieben so selten wirklich schön mit dem Umfeld in Einklang komponierte Aufnahme sieht. Übrigens auch von der “normalen” Bevölkerung werden häufig Bilder der Straßenbahnen, insbesondere der alten Wagen gemacht. Andererseits fotografieren die Japaner mit ihren Smartphones ja eh gern alles, was nicht umgehend die Flucht ergreifen kann 😀
Dieses Bild hatte es eigentlich eben schon mit dem 501 sein sollen, der aber hoffnungslos zugefahren wurde, was auch bei den drei Teleschützen für lange Gesichter sorgte. Dann eben mit dem fünfteiligen Niederflurer 7002.
Weiter die Izuro-Street hinunter eine Aufnahme aus den straßenbegleitenden Arkaden unweit der Haltestelle Temmonkandori mit dem Little Dancer 1018.
Ein letzter Altwagen war noch Richtung nördlicher Endstation gefahren, sodass ich nun erstmals am heutigen Tag von meinem zweiten Rubbellos Gebrauch machen wollte. Da ich annahm, dass der Wagen nun auch einrücken würde, fuhr ich mit einem anderen 2er voraus Richtung Depot, auf der Suche nach einer passenden Sonnenstelle. Hier das Haltestellenschild der Linie 1 an der Haltestelle Temmonkandori. Hinten in rot zeichnet sich das Schild der Linie 2 ab, sodass für beide Linien separate Warteschlangen gebildet werden können.
Die letzte Chance vor dem Betriebshof bot sich an der Haltestelle Nakasudori. Auch hier musste für Wagen 602 noch ein fetter Lexus entfernt werden, der sich allzu weit in den Bildvordergrund gedrängt hatte. Bizarr zuvor die erste Begegnung mit einem Einsatzfahrzeug der Rettungskräfte. Die sind hier genauso pomadig unterwegs, wie der Rest des Verkehrs und so richtig gewährt denen auch keiner Vorrang. So schleichen die Fahrzeuge trotz eingeschalteter Sirene oft im Schneckentempo über Kreuzungen – später gibts dazu nochmal ein Video. Für unsere Augen sind das oftmals absurde Szenen, ist man doch hierzulande teils halsbrecherische Fahrweisen von Einsatzfahrzeugen gewöhnt und alle anderen fliehen schnellstmöglich mit Warnblinker aus dem Fahrweg. Eine andere Philosophie hier, die allerdings genauso Sinn macht: Es gilt eben zuerst durch den Rettungseinsatz nicht auch noch Unbeteiligte zu gefährden, während bei uns etwas mehr Risiko zugunsten des einzelnen zu Rettenden in Kauf genommen wird.
Die Frühspitze war nun durch und ich auch schon halb am Weg für den letzten Punkt hier in Kagoshima, dem Südast der Linie 1 nach Taniyama. In Korimoto galt es entsprechend umzusteigen, weit fuhr ich dann aber gar nicht, denn nachdem die Linie zunächst noch ein Stück wie üblich in Straßenmitte verläuft, ändert sich das Erscheinungsbild schon vor Minamikagoshimaekimae. Hier schwenkt die Strecke auf einen getrennt von der Straße verlaufenden Bahnkörper, der mit automatischen Schrankenanlagen gesichert ist. Auch besteht der letzte fast direkte Übergang zum Kapspurnetz der Eisenbahn, die zwar weiter fast parallel verläuft, aber an der Endstation Taniyama befindet sich der Bahnhof in einiger Entfernung zur Endstation der Straßenbahn, jenseits des Flusses Nagata. Die Strecke ist zwar recht unspektakulär, dafür geht es hier nun endlich einmal halbwegs schnell voran. Das ewige Stehen vor jeder Kreuzung hat dank der besonderen Trasse ein Ende und die Fahrgastwechsel sind an den meisten Stationen, besonders natürlich jetzt am Vormittag, eher gering. Der Gleisbau ist allerdings nicht gerade vom Feinsten, was besonders mit den Multigelenkern zu einem üblen Hin- und Hergeruckel auch auf den Geraden führt. Die “Little Dancer” machen hier ihrem Namen alle Ehre.
An der Station Minamikagoshimaekimae besteht ein recht direkter Übergang zum Kapsurnetz mit den JR-Zügen der Ibusukimakurazaki Line. Die Linie fährt den Landzipfel südlich von Kagoshima über Ibusuki nach Makurazaki aus. Zeitgleich mit einem JR-Zug erreicht der fünfteilige Niederflurer 7002 die Haltestelle. Der Dieseltriebwagen wartet noch auf einen Gegenzug.
Nach der Kreuzung im Bahnhof Minamikagoshimae eilt eine auch nicht gerade taufrische, vierteiliger Dieselkomposition weiter nach Kagoshima. Es sind vier Wagen der Baureihe KiHa 40, von der mit den verschiedenen Unterbaureihen fast 900 Stück, genauer 888 für Japan Railway gebaut wurden. Noch immer befinden sich rund 700 der zwischen 1977 und 1983 gebauten Fahrzeuge im Einsatz, inzwischen auch bei zahlreichen privaten Betreibern.
Nachdem es zunächst zwischen Häusern hindurch geht, schwenkt die Strecke für die letzten Haltestellen bald wieder an eine größere Straße. Mehrere Fußgängerbrücken können dabei als erhöhter Standpunkt genutzt werden, wie beim Blick auf 7004 unweit der Haltestelle Kamishioya.
Die Endstation Taniyama liegt wie die Nördliche in einem kleinen Häuschen, hier allerdings mit nur zwei Gleisen. Da hier nur die Linie 1 verkehrt, ist die Situation aber nicht so angespannt wie im Norden, wo die Fahrzeuge gerade zur Rush-Hour häufig mit Fahrgästen an Bord eine Weile warten müssen und sich teilweise aufstauen, bis in die Endstation eingefahren werden kann. Allgegenwärtig in Japan: Kostenlose, öffentliche Toilettenanlagen, die sich in aller Regel in bestem Erhaltungs- und Reinigungszustand befinden, wie auch hier auf der rechten Seite an der Endstation.
Zurück von der Endstation ging es noch einmal auf eine Fußgängerbrücke, inzwischen war die Wolkensuppe aber so weit reingezogen, dass die Aufnahmen nicht mehr besser wurden. 9514 hat die Endstation Taniyama auf dem Weg nach Norden verlassen.
Wir hatten in der Zwischenzeit 12 Uhr am Bahnhof als Treffpunkt ausgemacht, sodass ich mich nun langsam zurückbewegte. Derweil meldete sich aber doch langsam ein gewisser Kaffeedurst und Hunger nach einer Kleinigkeit an, womit es erstmals die Frage zu klären galt, wie die Versorgung auf der Straße hier in Japan funktioniert. Schon an zahlreichen Ecken war mir aufgefallen, dass es hier überall so kleine Convenience Stores gibt, am ehesten zu vergleichen mit den Tankstellenshops bei uns, nur in den Städten in wesentlich höherer Dichte. Und auch die Preise sind eher normal und nicht im Entferntesten so abgehoben, wie bei uns an Tankstellen. Hierbei kommen im Wesentlichen drei große Ketten vor: 7-Eleven mit rund 21.000 Filialen, FamilyMart mit rund 17.000 Filialen und Lawson Station mit rund 11.000 Filialen. Alle drei betreiben inzwischen in Japan ihr größtes Geschäft und sind mehrheitlich im Besitz japanischer Firmen, auch wenn man das insbesondere vom zunächst mit den USA assoziierten und dort gegründeten 7-Eleven nicht direkt erwarten würde. Diese kleinen Stores übernahmen in den nächsten drei Wochen unsere Grundversorgung über den Tag, wenn man mal eben schnell etwas zu Trinken, einen Kaffee oder einen kleinen oder größeren Zwischensnack brauchte. Man könnte sich gar komplett aus diesen Stores ernähren, denn es gibt auch eine Theke mit Frittiertem und ganze Mikrowellengerichte zu erwerben, die man sich auch gleich aufwärmen lassen und dort an einer meist vorhandenen kleinen Tischecke verzehren kann. Diese Convenience Stores sind hier eine echte Institution und etwas, was es bei uns so in dieser Form im Grunde gar nicht gibt. Mit Kaffee, frischen Getränken und paar Nüssen verließ ich den 7-Eleven wieder und machte mich nach einem letzten, nicht zeigenswerten Bild in dieser diesigen Suppe auf den Rückweg. An der Umsteigestation zur Eisenbahn ging es noch einmal raus, wollte ich hier doch noch ein Bild mit den sehenswerten Wartehäuschen machen. Zufällig trafen wir uns genau hier wieder und traten so den Weg zum Bahnhof Kagoshima gemeinsam an.
Der Little Dancer 1017 verlässt die Haltestelle Minamikagoshimaekimae auf dem Weg in die Innenstadt.
In Korimoto hieß es umsteigen auf die Linie 2. Zu unserer Überraschung kam hier auf der Linie 1 plötzlich wieder ein Altwagen angefahren, der etwas verblichene 611. So ganz auszuschließen ist deren Einsatz eben auch außerhalb der HVZ nie. Die Linie 2 biegt hier von Nordwesten vom Bahnhof kommend ein und fährt noch den Bogen Richtung Haltestelle aus, sodass man ohne über die Kreuzung zu müssen in die Linie 1 für die Weiterfahrt nach Taniyama umsteigen kann. Dafür kommt es hier dann beim Wenden und Gleiswechsel der endenden 2er ständig zu Konflikten mit den durchgehenden Fahrten der Linie 1.
Einen solchen Konflikt sehen wir hier: Der GTx 7502 ist als Linie 2 in die Haltestelle Korimoto eingefahren und muss jetzt erst vorziehen, die Richtung wechseln und über den Gleiswechsel, bevor der durchgehende Kurs der Linie 1 mit dem Little Dancer 1011 weiterfahren kann. Im Hintergrund ist derweil schon der nächste Kurs der 1 in Gegenrichtung zu sehen, den der wendende Wagen der 2 nun ebenfalls aufhalten wird. Nur ein Beispiel für die vielen suboptimalen Betriebsabläufe bei den japanischen Straßenbahnen. Eilig haben, darf man es nicht.
Den wendenden GTx 7502 nahmen wir dann auch direkt Richtung Bahnhof. Noch fragen zu den Tarifen?
Das war es auch schon gewesen aus Kagoshima. Wir waren doch recht gut durchgekommen an den zwei halben Tagen, das machte Hoffnung, dass wir uns mit der zeitlichen Kalkulation dieser Reise nicht vollkommen verschätzt hatten. Klar: Nochmal zur Vulkaninsel rüberschippern wäre auch was gewesen, so wie wir in den nächsten drei Wochen einiges recht ignorant links liegen lassen würden. Aber irgendwo mussten wir die Priorität setzen und diese sollte bei dieser Reise im Wesentlichen erstmal darauf liegen, überhaupt alle 17 Straßenbahnbetriebe halbwegs abzuarbeiten. Und Nummer zwei sollte mit Kumamoto dann schon heute Nachmittag folgen.
Bevor wir aber dorthin aufbrechen konnten, mussten wir noch an unsere Japan-Rail-Pässe kommen. Man kann die nämlich nicht direkt online von zu Hause kaufen, sondern, wie schon im ersten Teil beschrieben, lediglich einen Voucher bestellen, den man dann in Japan vor Ort unter Vorlage des Reisepasses einlösen kann. Der Fahrkartenschalter im Bahnhof war wiedermal gut besucht und natürlich wurde ruhig und geduldig in einer geordneten Schlange angestanden. Allerdings stand eine Tafel mit JR-Pass dort, die links an der Schlange vorbei zeigte. Wir hatten doch etwas Zweifel, ob man sich hier zum Einlösen des Vouchers einfach von links anstellen und damit die Schlange umgehen dürfte. Aber wir versuchten es einfach mal und standen nach links und kaum hatte die Dame am linken Schalter den aktuellen Fall abgewickelt, bat sie uns als nächste Kunden an den Tresen. Schien also doch seine Richtigkeit zu haben, wie wir das Schild gedeutet hatten. Man weiß ja im ersten Moment nie, ob einfach niemand etwas sagt, weil die Leute hier einfach zu höflich sind. Es wurde bisschen was aus den Reisepässen in den PC gehämmert und nach kurzer Zeit hielten wir unsere JR-Pässe für drei Wochen zu je 100.000 Yen, umgerechnet etwa 625€, in den Händen. Hört sich erstmal nicht so viel an, vergleicht man es mit ähnlichen Angeboten in Europa in Ländern mit ausgeprägten Bahnnetzen. Allerdings gilt es dabei zu bedenken, dass der Pass auch wirklich fast nur für die JR gilt, also den Shinkansen und die von der JR betriebenen Linien des Kapspurnetzes. Da sind dann diverse Kapspurlinien, insbesondere im Regionalverkehr nicht mit drin, geschweige denn irgendwelcher sonstiger ÖPNV. Ein Swiss Travel Pass, mit dem man quasi den ganzen Schweizer ÖV nutzen kann, kostet für drei Wochen zum Vergleich 459€. Die Schweiz ist zwar wesentlich kleiner, dafür aber ist das nutzbare Angebot mit dem gesamten ÖV natürlich viel größer und das Preisniveau in der Schweiz eigentlich auch deutlich über dem japanischen. So teuer geworden ist der JR-Pass auch erst vor kurzem, der Preis wurde mal eben fast verdoppelt. Allerdings war das Ganze mehr oder weniger alternativlos, denn alle Strecken einzeln zu buchen wäre schon allein wegen dem Aufwand undenkbar gewesen und im Spontankauf auch in Summe eindeutig teurer.
Am schon von gestern bekannten Bäcker holten wir uns noch reichlich was zu essen, um die kurze Fahrt nach Kumamoto maximal effizient zu nutzen, dann ging es rauf zum Shinkansen-Bahnsteig, an dem wir dann im nächsten Teil unsere Reise fortsetzen.