Don’t Rush! – Japans Straßenbahnen IV: Nagasaki (Teil 1/2)

Die dritte Station unserer Japan-Reise ist der Straßenbahnbetrieb in Nagasaki. Mit vier von einem Innenstadtring abzweigenden Linienästen gehört Nagasaki zu den komplexeren Betrieben des Landes und setzt noch unzählige Altfahrzeuge aus den frühen 50er- und 60er-Jahren ein. Mit zwei Übernachtungen legten wir in Nagasaki einen etwas längeren Stopp ein. Um diesen Teil nicht noch weiter aufzublähen als die letzten, teile ich den Aufenthalt in zwei Episoden auf.


Nagasaki, Hauptstadt der gleichnamigen Präfektur, liegt ganz im Westen der Südinsel Kyūshū und zählt rund 400.000 Einwohner. Seit 2022 erreicht der Nishi Kyushu Shinkansen die Stadt, allerdings ist der Lückenschluss zum Kyushu Shinkansen noch nicht fertiggestellt, sodass hier als Vorläufer ein Inselbetrieb zwischen Nagasaki und Takeo-Onsen eingerichtet wurde. Das Teilstück Takeo-Onsen zum Kyushu-Shinkansen bei Shin-Tosu wird mit einem Limited Express auf der alten Kapspurstrecke überbrückt.

Das Straßenbahnnetz zählt insgesamt vier Linien, wobei die Linie 2 nicht besetzt ist und die Line 4 nur eine zur HVZ verkehrende Verstärkerlinie darstellt. Das Liniennetz ist praktischerweise mit zusätzlich englischen Stationsnamen und der üblichen Nummerierung auf dem bei Touristen beliebten, physischen One-Day-Pass abgedruckt:


Schematischer Netzplan von Nagasaki, der auf der Rückseite des Flyers abgedruckt ist, welcher in der Tourist-Info am Bahnhof als One-Day-Pass hauptsächlich an Touristen verkauft wird.

Hier die Vorderseite des Flyers, der als Tageskarte für die Straßenbahn dient. Das gewünschte Datum wurde uns gleich in der Tourist-Info auf das Ticket gestempelt.

Das Streckennetz ist für japanische Verhältnisse fast schon komplex und bildet einen großen Innenstadtring, von dem drei kurze und ein langer Ast abzweigen. Die Gesamtlänge beträgt dennoch nur rund 11,5km. Der lange Ast in den Norden nach Akasako folgt dabei dem “natürlichen” lang gezogenen Siedlungsverlauf der Stadt entlang der Hügelketten und mutiert nicht etwa wie anderswo zur überlandartigen Strecke, sondern verläuft auch Richtung Endstation noch auf breiter Straße zwischen dichter Wohnbebauung. Zwischendurch gibt es an dieser Linie auch Abschnitte auf besonderem Bahnkörper, während die restlichen Strecken straßenbündig, meist wie üblich mittig auf der Straße verlaufen. Während zahlreiche Straßenbahnbetriebe in Japan mit der Massenmotorisierung ab den 60er-Jahren entweder ganz eingestellt wurden oder massiv schrumpften, stellt Nagasaki hier eine Ausnahme dar: Das Streckennetz ist bis heute in seiner größten Ausdehnung erhalten geblieben, auch wenn einzelne Abschnitte nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg teilweise neutrassiert wurden.


Für den Liniendienst stehen in Nagasaki je nach zählweise ungefähr zehn Fahrzeugtypen bereit. Die japanische Wikipedia zählt zwar noch wesentlich mehr und unterscheidet scheinbar kleinste Serienunterschiede als eigenen Typ, so kleinlich soll es aber an dieser Stelle nicht werden. Bei transphoto.org fehlen dafür teils ganze Fahrzeuge in den Listen, so etwa die Fahrzeuge 1505 und 1506, oder der Wagen 6002.
Werden in manchen Städten die Altwagen aus den 50er- und 60er-Jahren verstärkt vor allem in der HVZ eingesetzt, tragen sie in Nagasaki noch eindeutig die Hauptlast am Gesamtverkehr, sodass auch ein Besuch am Wochenende nicht mit dem Verlust alter Fahrzeugtypen einhergeht.

201-216 & 301-310

Die ältesten Fahrzeuge stammen aus den Jahren 1950 bis 1953. Die genauen Unterschiede zwischen den Baureihen ließen sich nicht erkennen. Von den 200ern stehen noch 13 Fahrzeuge mit Nummern zwischen 201 und 216 im Einsatz, wobei die Fahrzeuge 202, 208 und 210, wie die ausgemusterten Fahrzeuge 204 und 206 abweichend nicht von Hitachi, sondern Nippon Sharyō geliefert wurden. Von den Hitachi-Fahrzeugen ist lediglich Wagen 205 ausgemustert. Von den 300ern stehen noch alle zehn von Hitachi gelieferten Fahrzeuge 301 bis 310 im Einsatz.


Wagen 210 zählt zu den ältesten Linienwagen in Nagasaki und wurde wie vier weitere 200er 1950 bei Nippon Sharyō gebaut.


Die restlichen elf Fahrzeuge der 200er-Serie stammen wie Wagen 212 von Hitachi, äußerlich fallen erstmal aber nur die abweichenden Drehgestelle auf.

361-377

Aus den Jahren 1960 bis 1962 stammen die von Nippon Sharyō gebauten Fahrzeuge mit den Nummern 361 bis 377. Zwölf Fahrzeuge sind noch im Einsatzbestand. Die Fahrzeuge weisen nun wie alle späteren Großraumwagen eine Mitteltür und eine Tür beim Fahrer je Fahrzeugseite auf, nicht wie die älteren Baureihen je zwei Türen an den Plattformenden. Die rundlichere Formensprache der älteren Baureihen wurde übernommen, sodass sich die Fahrzeuge ansonsten äußerlich recht ähnlich sehen.


Mit den Fahrzeugen 361 bis 377 hielt ab 1960 das Prinzip des Mitteleinstiegs Einzug. Die meisten der Fahrzeuge tragen aktuell Vollwerbungen.

501-506

Die sechs Fahrzeuge 501 bis 506 entstanden 1966 bei Naniwa Kōki. Das Baujahr täuscht dabei ein wenig über die inneren Werte hinweg: Die elektrische Ausrüstung und Drehgestelle wurden von alten Fahrzeugen aus Osaka weiterverwendet. Äußerlich unterscheiden sich die Fahrzeuge deutlich von den Vorgängerbaureihen mit einem kantigeren Wagenkasten und Taschenschiebetüren. Bis auf Wagen 501 sind noch alle Fahrzeuge im Einsatz.


1966 wurden die Fahrzeuge 501 bis 506 auf ursprünglich aus Osaka stammenden Fahrzeugen neuaufgebaut. Die Formensprache gegenüber den vorherigen Baujahren änderte sich dabei deutlich, die Mitteltür wurde als Taschenschiebetür ausgeführt. Von diesem Fahrzeugtyp trug kein Wagen eine Vollwerbung, einige wie 502 verfügten über Rahmenhalterungen für Bandenwerbung.


Gut erkennbar, wurde der Ausstieg beim Fahrer weiterhin als Faltür ausgeführt.

1201-1205 & 1301-1305

Die Fahrzeuge 1201 bis 1205 und 1301 bis 1305 wurden 1982 bzw. 1987 bis 1989 bei Alna Kōki gebaut und stellen optisch die erste “modernere” Baureihe dar, dem Zeitgeist entsprechend von der Erscheinung “Schuhkarton”. Offenbar handelt es sich bei diesen Baureihen weitgehend um Neubauten, lediglich die Information “suspension ex-Kitakyūshū 300-series” zu den 1300ern findet sich etwa auf transphoto.org. Die Fahrzeuge stehen noch vollständig im Einsatz.


Einen kompletten Wandel in der Designsprache gab es ab den Fahrzeugen der 1200er-Serie, mit denen der kantige Zeitgeist der 70er- und 80er-Jahre einsetzte.


Abweichende Drehgestelle scheinen bei den Fahrzeugen der 1300er-Serie zum Einsatz gekommen zu sein. Ansonsten sind äußerlich keine Unterschiede zu den 1200ern erkennbar.

1501-1507

Die Fahrzeuge 1501 bis 1506 erhielten noch einmal einen überarbeiteten Wagenkasten, nunmehr mit vier statt sechs Seitenfenstern und quer statt senkrecht stehenden Scheinwerfern. Die Fahrzeuge wurden 1993 bis 1997 ebenfalls von Alna Kōki geliefert, wobei auch hier Teile der elektrischen Ausrüstung von der ehemaligen Nishitetsu Kitakyushu 600er-Serie übernommen wurden. Auf altbrauchbare Teile wurde also auch hier nicht gänzlich verzichtet.


Ab der 1500er-Serie wurden die neuen Wagenkästen noch einmal modifiziert. Gut erkennbar hier an den größeren, dafür nurmehr vier Seitenfenstern und der quer liegenden Scheinwerferanordnung. Die 1500er tragen auch erstmals moderne Einholm-Stromabnehmer.

1701-1702

Eine weitere Kleinstserie folgte mit bekanntem Wagenkasten 1999. Auch hier kam wieder großzügig Equipment älterer, ursprünglich aus Kitakyūshū und Nishetetsu stammender Fahrzeuge zum Einsatz, diesmal sogar wieder samt Drehgestellen, wie schon äußerlich gut erkennbar ist. Alle sieben Fahrzeuge stehen noch im Einsatz.


Bei den beiden 1700ern fallen gegenüber den Vorgängern nur die abweichenden Drehgestelle auf. Alle eingesetzten Fahrzeuge von der 1200er- bis zur 1700er-Serie trugen Vollwerbungen.

1801-1803

In den Jahren 2000 und 2002 folgten die letzten klassischen Großraumwagen, welche noch einmal einen völlig neuen Wagenkasten erhielten, der fast schon einen Niederflurwagen vermuten ließe. Bei den Fahrzeugen 1801 bis 1803 handelt es sich aber nach wie vor um Hochflurwagen, bei denen sogar erneut Teile des elektrischen Equipments und die Drehgestelle der ehemaligen 600-Serie aus Kitakyūshū weiterverwendet wurde.


Die letzten Hochflurwagen entstanden noch in den Jahren 2000 bis 2002. Auch hier kam noch altbrauchbare Ausrüstung erheblich älterer Spenderfahrzeuge zum Einsatz, wie äußerlich an den kaum zum modernen Wagenkasten passen wollenden Drehgestellen erkennbar ist. 

3001-3003

2003 bis 2005 wurde in Nagasaki mit der ersten Kleinstserie “Little Dancer Typ U” von Alna Koki mit je einem Wagen pro Jahr das Niederflurzeitalter eingeläutet. Beim Typ U handelt es sich um klassische, dreiteilige Kurzgelenkwagen mit Einstiegstür im Mittelsegment und Ausstiegstüren vorne neben der Fahrerkabine.


Klassische Multigelenker in dreiteilig stellen die drei Little Dancer Typ U 3001 bis 3003 von Alna Koki dar.

5001-5003

Die nächste Splittergattung mit den 2011, 2012 und 2019 gelieferten Fahrzeugen 5001 bis 5003 vom weiterentwickelten “Little Dancer Typ Ua” wurde ebenfalls von Alna Koki geliefert. Das Fahrzeugkonzept ist identisch zum Vorgängermodell, das Wagenkastendesign wurde jedoch überarbeitet.


Von der überarbeiteten Variante Little Dancer Typ Ua fanden ebenfalls drei Fahrzeuge ab 2011 den Weg in den Wagenpark. Alle drei Wagen tragen eine andere Farbkombination, bei Wagen 5001 ist es die Variante mit goldenen Akzenten.


Wagen 5003 trägt rote Aktzente, hier in einer seitlichen Ansicht. Der dritte Wagen 5002 zeigt eine violette Farbvariante.

6001-6002

Jüngster Neuzugang sind die aktuell bislang zwei Fahrzeuge 6001 und 6002 aus dem Jahr 2022 von Alna Sharyō. Hier wurde sich nun wieder dem Großraumwagen-Konzept bedient, allerdings erstmals mit niederflurigen Ein- und Austiegen.


Die neuesten Fahrzeuge 6001 und 6002 tragen aktuell Vollwerbungen. Ausgeliefert wurden sie in einem grellen Grünton, wie Wagen 6001 oben auf der Fahrkarte abgedruckt ist.


Freitag, 4. April 2025 II: Kumamoto – Nagasaki

Wir stehen wieder auf der Rolltreppe hinauf zum Shinkansen-Bahnsteig. Diesmal am frühen Nachmittag in Kumamoto mit dem Ziel Nagasaki. Durch den, wie oben beschrieben, noch nicht fertiggestellten Nishi Kyushu Shinkansen, würde es mehr eine Umsteigerei werden, denn entspanntes Mittagspäuschen. Für die Fahrt nach Nagasaki war dreimal kaum mehr als eine halbe Stunde Fahrt geplant, mit Umstieg in Shin-Tosu vom Kyushu-Shinkansen auf den Limited Express “Relay-Kamome” nach Takeo-Onsen, welcher auf der alten Kapspurstrecke extra für den Lückenschluss eingerichtet ist. In Takeo-Onsen geht es dann am selben Bahnsteig auf der gegenüberliegenden Seite mit dem Nishi-Kyushu-Shinkansen wiederum kaum eine halbe Stunde weiter auf der neuen Schnellstrecke nach Nagasaki. Dürfte es in Japan auch nicht häufig geben, dass man am selben Bahnsteig auf einem Gleis Kapspur, auf dem anderen den regelspurigen Shinkansen hat. Vermutlich dient das Ganze auch nur als Provisorium und wird nach der Fertigstellung des Nishi-Kyushu-Shinkansen wieder umgebaut. Die Umsteigezeiten betrugen übrigens jeweils nur einstellige Minuten, eine Reisekette, bei der man in Deutschland nur müde abgewunken hätte. Hier in Japan hatten wir aber keinen ernsten Zweifel daran, irgendwo den Anschluss nicht zu bekommen.

Für ein kleines Mittagessen, mitgebracht vom Bahnhofsbäcker, reichte es schonmal auf der ersten Etappe bis Shin-Tosu, dem eigens für den Shinkansen neu gebauten Bahnhof westlich von Tosu. Ich wunderte mich etwas, warum wir den Gegenzug noch so entspannt von unserem Bahnsteigende aus aufnahmen, denn laut Apple Karten war die Umsteigezeit gerade ausreichend, um es ohne “Rushen” hinunter zur kreuzenden Nagasaki-Line auf der Kapspur zu schaffen. Ich setzte aber mehr Vertrauen in die Japan-Travel-App, die mein Vater sich heruntergeladen hatte, um die Bahnfahrten zu planen. Man muss dazu wissen, dass es von offizieller Seite quasi keine gescheite Anwendung gibt, um in Japan übergreifende Reiseketten mit dem ÖV zu planen, geschweige denn zu Buchen. Etwas wie der DB-Navigator, mit dem man fast über den ganzen Fernverkehr und ÖPNV hinweg planen und Tickets buchen kann und notfalls im ÖPNV die Verbundtickets einzeln im Navigator kaufen kann, ist hier einfach nicht existent. Ein wenig wie in den 00er-Jahren bei uns, nur noch unkomfortabler. Wenigstens für die Planung springen an dieser Stelle Drittanbieter ein, sodass man mit der Japan-Travel-App doch ganz gut über Zug- und Busverbindungen hinweg zusammenhängende Reiseketten hinbekommt. Man kann dort beispielsweise auch angeben, ob und welchen Rail-Pass man hat und bekommt dann meist auch recht zuverlässig ausgeworfen, was man damit kostenfrei nutzen kann und wo gegebenenfalls Reservierungen obligatorisch sind.

Ich verließ mich daher weitgehend auf die Planungen mit der Japan-Travel-App meines Vaters und prüfte jeweils mit Apple Karten gegen, was dort so ausgeworfen wurde. Beiläufig erwähnte ich dann am Weg hinab doch mal, dass es eigentlich nurmehr drei Minuten bis zur Abfahrt sein dürften. Es war dann auch kein Fehler der Japan-Travel-App, sondern einfach ein Verleser. Aber gut, hatte ich mit Apple Karten nochmal gegen geprüft. Nun war dann doch mal bisschen “rush” angesagt, um den Limited Express noch zu erwischen. Schnell mit dem Koffer ein, zwei Treppen runter und kaum erreichten wir den Bahnsteig, fuhr der Zug natürlich auf die Minute pünktlich in den Bahnhof ein. Außen stand überall “reserved” dran, aber wir stiegen einfach erstmal ein. Auf der kurzen Fahrt wurden wir dann auch nicht kontrolliert. Überhaupt ist es etwas undurchsichtig: Die JR-Kapspurzüge darf man scheinbar auch dann ohne Reservierung nutzen, wenn eigentlich alle Wagen “reserved” sind. Man muss dann eben Sitzplatzhopping betreiben oder auf den Plattformen stehen. So war es beispielsweise den Durchsagen beim Sapporo-Limited ab Hakodate zu entnehmen. In den Shinkansen wiederum ist eine Reservierung obligatorisch, wenn es keine “non-reserved”-Wagen gibt und man kann dann wohl auch mal aus dem Zug fliegen, selbst wenn der quasi leer durch die Gegend fährt. Zu einer solchen unfreundlichen Begegnung kommen wir später auf dieser Reise noch…


Wir haben den Transfer-Bahnhof Shin-Tosu erreicht, an dem Richtung Nagasaki irgendwann mal auf den Nishi-Kyushu-Shinkansen umgestiegen werden kann. Aktuell heißt es ab hier noch die Lücke bis Takeo-Onsen mit der Kapspur zu überbrücken.


Bei der Ausfahrt der Züge wird die Plattform jeweils vom Zugchef(?) aus dem Fenster des hinteren Führerstandes beobachtet. Die Mütze hat dabei nicht umsonst einen Tragegurt, denn wenn der letzte Wagen das Plattformende erreicht, dürfte es schon ordentlich um die Ohren wehen…


An den Bahnsteigen mit Sperren ist das Heraushängen am letzten Wagen auch irgendwie bisschen unnötig. Wahrscheinlich eher ein Betriebsordnungs-Relikt, dass zumindest in diesem Fall keinen wirklichen Zweck mehr erfüllt.


Kunstvoll gestaltet ist das Logo von West Japan Railway für die Insel Kyushu.


Der nächste Gegenzug war bereits eingefahren und eilte wenig später weiter Richtung Kumamoto und Kagoshima. Auch dieser eine Baureihe N700.

Jedenfalls saßen wir dann unbehelligt die nächste halbe Stunde im auf Kapspur dahinschaukelnden Limited Express “Relay-Kamome” nach Takeo-Onsen. Ich buchte derweil mal eine Unterkunft unweit des Bahnhofes von Nagasaki. Mit 122€ für zwei Nächte, also kaum 30 pro Person und Nacht, war das nun schon deutlich unter unserem Schnitt, dafür aber nicht direkt das erste Hotel am Bahnhof und wohl ein etwas kleineres Zimmer. Schauen wir mal.

Der Umstieg in Takeo-Onsen lief dann wiedermal mit höchster Präzision: Limited-Express rollt ein, Shinkansen steht gegenüber am selben Bahnsteig schon bereit. Alle in zwei Minuten rüber, weiter geht’s. So macht Bahnfahren einfach Spaß: Das Umsteigen ist weder ein großer Zeitverlust, noch schwingt jedes Mal die Angst mit, dass irgendein Anschluss nicht klappt und man Stunden länger braucht. Nur Zeit für Bilder bleibt natürlich kaum bei dieser durchgetakteten Präzision. Dann eben mal Aufnahmen von Innen:


Das recht schlichte Ambiente im Inneren der Shinkansen hatte ich im letzten Teil schon beschrieben. Dafür ist alles sauber und ordentlich. In regelmäßigen Abständen schreiten verschiedene Personale durch den Zug und scheinen vorwiegend nach dem Rechten zu sehen. Wann und von wem die Ticketkontrolle im strengen Protokoll vorgesehen ist, hat sich mir nicht immer erschlossen. Auf jeden Fall wird sich selbst in Eile vor der Waggontür immer einmal umgedreht, vor den Fahrgästen verbeugt, wieder umgedreht und durch die Tür geschritten. Ein offenbar im Protokoll vorgesehenes Ritual.


Die Sitzreihen passen natürlich perfekt zu den flugzeugartigen, aber deutlich größeren Fenstern. Legt man die Lehne etwas zurück, was dank des großzügigen Sitzabstandes sehr weit möglich ist, liegt man perfekt am Fenster. Oft sind die Schallschutzwände des aufgeständerten Trassentroges gerade so hoch, dass man aus den Fenstern noch einen Blick in die Landschaft oder Häuserwüste hat – wenn es nicht gerade wie gefühlt die Hälfte der Zeit durch Tunnels geht.

Lang währte auch diese Fahrt nicht. So standen wir bald auf dem Shinkansen-Bahnsteig vom Bahnhof Nagasaki. Unser Hotel sollte irgendwo auf der anderen Seite der Straßenbahn sein, die auch hier wieder direkt vorm Bahnhof verläuft. Also gleich mal das erste Bild von der Fußgängerbrücke über die breite Straße samt Haltestellenanlage in der Mitte und dann weiter zum Hotel, die Koffer loswerden.


Ein erster Blick auf die Straßenbahn von Nagasaki von der Fußgängerbrücke, die vom Bahnhof zur Haltestelle und darüber hinweg auf die andere Straßenseite führt. Das war hier schon wieder ein Fußgängerbrücken-Paradies vom Feinsten, denn auch am anderen Plattformende gibt’s eine Brücke, die sich dann sogar noch in ein Rechteck über die dahinterliegende Kreuzung aufspannt. Wagen 504 hält derweil als Linie 1 an der Haltestelle, hinter der sich der nicht als solcher befahrbare Innenstadtring der Straßenbahn aufspannt – für eine Ringlinie ohne Fahrtrichtungswechsel fehlen ein paar Gleisverbindungen.

Nun begann ein kleiner Irrlauf: Ich hatte uns im Coruscant Hotel einquartiert. Nur war an der ersten Adresse, die mir Apple jetzt ausspuckte, fast gegenüber der Tramhaltestelle, keine Rezeption, sondern nur ein Hauseingang. Aber es gab ein Hinweisschild, die Rezeption befände sich zwei Ecken weiter in die Gassen hinein. Also dorthin. Klappte dann auch problemlos mit dem Einchecken und die nette Dame erklärte auch wieder alles Mögliche zur Öffnung der Apartment-Türe des Außenpostens. Wir also mit den Schlüsselkarten wieder zurück zur ersten Adresse, nur tat sich da nichts am Schloss. Zu früh? Hatte noch zwei Minuten, bis das Zimmer “offiziell” bereitstünde. Also kurz gewartet. Immer noch nichts. Mal unauffällig hinter wem anders mit hineingehuscht und zur Zimmernummer hinaufgefahren. Auch dort tat sich nichts am irgendwie auch etwas defekten Schloss. Seltsam das Ganze. Erstmal wieder runter und raus in den Hauseingang und nochmal mit Verstand an die Sache herangegangen, denn irgendwas schien hier doch vorn und hinten nicht zu passen. Eine weitere Eingabe in der Suchmaske ergab dann auf der Karte noch eine dritte Adresse neben dieser hier und jener der Rezeption. Und jetzt wo ich die Position sah, kam mir die auch vielmehr nach jener vor, die ich auf booking.com gesehen hatte und zwar nicht in erster Reihe an der Hauptstraße, sondern irgendwie in zweiter in den Gassen. Das hätte man irgendwie einfacher haben können. Etwas verwirrend halt nur, dass die an ihren drei Gebäuden die Zimmer jeweils wieder gleich durchnummerieren. Hätten wir hier unsere Zimmernummer nicht gefunden, wäre uns wohl viel früher aufgefallen, dass wir schlicht am falschen Haus waren. Nun, am dritten Haus fanden wir dann zumindest den etwas verwinkelten Zugang zu unserem Apartment mit funktionierender Schlüsselkarte und richteten uns kurz ein. Eine Pause gönnten wir uns aber nicht, denn draußen war nun schönstes Nachmittagslicht. Die 1 1/2h wollten natürlich noch genutzt werden.


Wieder raus aus den Gassen, in denen sich unsere Unterkunft versteckte und zurück zur Straßenbahn vor dem Hauptbahnhof.


Wir stehen nun auf der Brücke über dem Abzweig zum Innenstadtring. Vorn fahren die Bahnen der Linie 1, hinten der Linie 3. Wagen 306 und 307 gehören mit Baujahren Anfang der 1950er zu den ältesten Fahrzeugen im Liniendienst. 


Wagen 371 auf der Linie 3 ist mit Baujahr Anfang der 1960er etwa zehn Jahre jünger und hinter dem Bahnhof auf die Strecke der Linie 3 zur Kreuzung an der City Hall abgebogen.


Wir folgten der Linie 3, stiegen aber schon an der nächsten Haltestelle Sakuramachi wieder aus, wo sich eine kleine Besonderheit befindet: Ein Tunnel unter einem Parkhaus und kleinem Hügelkamm hindurch zum Abzweig an der City Hall hinüber. Das dunkle Loch lag jetzt am Nachmittag perfekt im Licht. Wagen 210 verschwindet hier gerade in dem kurzen Tunnel.


Da die Linie 3 dann an der City Hall schon wieder vom Ring abzweigt, wir aber in der Innenstadt bleiben wollten, ging es dort schon wieder raus. An der Haltestelle zeigt sich ein typisch buntes Aushang-Ensemble mit allen möglichen Dos and Don’ts. Der Fahrplan hat hier gar keinen Platz mehr gefunden, und hängt an einer weiteren Tafel aus.


Wir brauchten nun eine Linie 5, um weiter zum nächsten Abzweig in die Harusame Street zu kommen. Erstmal kommt eine Gegenbahn und bringt einen weiteren Fahrzeugtyp in Gestalt von 1701.


Wir haben es bis zum Abzweig geschafft und blicken zurück auf die gerade befahrene Strecke, die zur HVZ auch von der Linie 4 bedient wird und ein kurzes Stück direkt am Nakashima entlang verläuft. Hier ist es einer der sechs 500er, der auf den Abzweig zurollt.


Blick in die Harusame Street mit der Strecke Richtung Sofukuji Temple, die von den Linien 1 und 4 bedient wird. Mit Wagen 5001 ist hier gerade einer der wenigen Niederflurexoten des Betriebes unterwegs und biegt in die Haltestelle Nishi-Hamanomachi ein.

Recht ungewöhnlich sollte die Endstation am Sofukuji Temple sein. Wir rechneten dort zwar nicht mehr mit Sonne, aber schon einmal schauen, wie es sich darstellen ließe und wann man morgen dort sein sollte, würde nicht schaden. Weit ist das hier ja alles nicht, abgesehen von der Strecke nach Akasako. Also in den nächsten Wagen gesprungen und Richtung Tempel gefahren. An dieser Stelle gibt es wieder ein kurzes Video als ersten Vorgeschmack, wie wir morgen den ganzen Tag durch Nagasaki heulen sollten. Morgen gibt es dann auch ein paar mehr bewegte Eindrücke. Hier muss aber die kurze Fahrt auf der Harusame Street nach Sofukuji Temple zunächst genügen.


Mitfahrt im Wagen 307 von der Haltestelle Shiambashi zur Endstation Sofukuji Temple. Der Fahrer jagte den Wagen regelrecht schnell und ohne Ampelstopp die kleine Steigung zum Streckenende hinauf – sehr unjapanisch.

An der Endstation gab es zwar schon einen Probeschuss, aber das sollte morgen noch deutlich besser klappen. Daher ging es wieder zurück nach Shiambashi, wo sich noch ein letzter Sonnenspot unmittelbar an der Haltestelle auftat.


Die Haltestelle Shiambashi liegt inmitten der kleinen Einkaufsgassen links und rechts der Harusame Street. In dichtem Takt rollen die Wagen der Linie 1 und der Verstärkerlinie 4 am späten Nachmittag Richtung Sofukuji Temple, hier ist es Wagen 304.


Blick in die Shianbashi Street unmittelbar südlich der Haltestelle. Hier spannt sich ein kleines Gewirr schmaler Gassen auf, in denen es von Restaurants und Kneipen wimmelt. Aber auch der Florist kommt auf seine Kosten. Im Quadranten auf der anderen Seite der Haltestelle findet sich das übliche Netz der überdachten Shōtengai.

Am örtlichen 7-Eleven versorgten wir uns noch einmal kurz mit einem kalten Kaffee und kleinem Snack, denn vor dem Abendessen wollten wir heute die blaue Stunde noch mitnehmen. Das würde also noch bisschen auf sich warten lassen. Wir streiften etwas durch die Kneipengassen im Shianbashi Yokocho mit seinen traditionellen, “lantern-lit alleyways”. Machte schon was her, da würde man mit einsetzender Dunkelheit sicher noch ein Bild investieren “müssen”. Im Grunde taten wir nicht mehr viel, außer uns hier etwas planlos herumtreiben zu lassen, was ja manchmal einfach das Schönste in einer neuen Stadt ist.

Für japanische Verhältnisse regelrecht siffig präsentiert sich diese schmale Gasse zwischen den Hinterausgängen der Kneipen und Restaurants. Gäste kommen dort eher nicht durch – gewissermaßen ein Blick hinter die Kulissen.

Mal geht es rauf, mal runter in die kleinen Lokale im Viertel Shianbashi Yokocho, mit seinen traditionellen “lantern-lit alleyways”. Worum es sich bei den abgebildeten Speisen genau handelte, blieb wie so oft ein Rätsel.


Zurück an der Harusame Street mit dem Blick auf die Haltestelle Kankodori und Wagen 505. Während sich südlich der Straße das Kneipengassengewirr aufspannt, sind nördlich davon die etwas breiteren, überdachten Shōtengai und entsprechend auf dieser Seite der Hauptstraße auch schon an den Seiten überdachte Gehwege, um Trocken von einer überdachten Straße in die nächste zu gelangen.


Faszinierend immer wieder die noch existierenden Kleinststrukturen. Viele kleine Läden, die beim genaueren Blick doch alle irgendwie einzigartig sind. Die Belieferung erfolgt oft ebenfalls in kleinsten Einheiten, mal mit dem Moped, mal mit einem der unzähligen Mini-Vans.


Eine Kneipe an der Harusame Street bekommt ihren Nachschub für den umsatzstarken Freitagabend. Natürlich stilecht mit dem Mini-Van-Pritschenwagen.

Langsam passte die Beleuchtungssituation für die kleinen Kneipengassen mit ihrer traditionellen Laternenbeleuchtung. Noch ist hier nicht übermäßig viel los, was sich im Laufe des Abends aber noch ändern dürfte. 


Es ist mal wieder Zeit für ein wenig Toyota Comfort Shooting. Vor den bunten Fassaden der Harusame Street kommt das natürlich gleich noch besser.


Die feilgebotenen Speisen, oder zumindest eine best-of-Auswahl, werden vor vielen Lokalen in einer Vitrine oder einem Schaufenster präsentiert. Natürlich Duplikate aus Kunststoff. Für das europäische Auge erschließt sich allerdings auch dabei nicht immer, worum es sich genau handelt und wenn man am dreißigsten Schaufenster vorbeiläuft, kommt es einem irgendwann auch alles gleich vor. Aber das ist umgekehrt sicher nicht besser: In einer deutschen Stadt wechseln sich halt auch im Wesentlichen Döner, Pizzeria und Grieche ab…


Unablässig heult das lebendige Museum über die Harusame Street in den Abend hinein, hier Wagen 504 Richtung Sofukuji Temple. Auch wenn im Straßenverkehr in Japan alles seeehr bedächtig und rücksichtsvoll zugeht, nimmt man es mit der Einhaltung der Regeln dann doch auch mal etwas pragmatischer als im sonstigen Leben. Mit Warnblinker irgendwo auf der Straße, dem Fußweg oder in zweiter Reihe parken, um paar Sachen auszuladen, ist hier fast normaler als bei uns.


Ein Toyota Comfort geht noch, diesmal im Einsatz für die Lucky Group. Welchen Vorteil diese auf die Motorhaube geklebten Seitenspiegel haben sollen, blieb mir ein Rätsel, schließlich ist die Abdeckung des Spiegelbilds durch die weite Entfernung zum Fahrer doch schon recht klein. 


Wir sind wieder am Abzweig in die Harusame Street. Wagen 505 kommt als Line 4 vom Sofukuji Temple zurück.

Jetzt war es doch an der Zeit für das Abendessen. Wir streiften ein wenig durch die Shōtengai und die Kneipengassen, aber um ehrlich zu sein, waren wir mit dem Angebot ein wenig überfordert. Doch irgendwie leichter, wenn es einfach nur zwei Wirtshäuser am Platz gibt 😀 Aber diese ganzen winzigen Kneipen und die größeren Restaurants mit den niedrigen Vorhängen vor den Eingängen – man wusste irgendwie nie genau, worauf man sich da einließ und die Angst vor Meeresgetier ohne Flossen schwingt doch immer etwas mit 😉
Der Ausweg war dann die Food Mall des Amu Plaza neben dem Hauptbahnhof, die ich auf Apple Karten ausfindig machte. Verschiedene offen gestaltete Restaurants auf einer Etage und noch bis 22 Uhr geöffnet. Da kann man einfach mal durch die Etage laufen, schauen was so auf den Tellern liegt und dann entscheiden und entspannt via Tablet bestellen. Da fahren wir jetzt hin! Passt ja eh perfekt an den Weg zur Unterkunft. Kulturbanausen und so – jaja, stimmt schon – aber irgendwann obsiegen Hunger, geistige Erschöpfung und Pragmatismus 😀 Für kulinarische Experimente haben wir noch paar Abende in Japan…
Wir landeten bei Pietro – offensichtlich eine italienisch angehauchte Kette. Die Pizza sah mir nicht ganz nach “richtiger” italienischer Pizza aus, daher wählte ich einen großen Teller Pasta einen großen Salat und noch eine Art französische Zwiebelsuppe. Diese Tablets verleiten auch einfach dazu, sich den Tisch randvoll laden zu lassen 😀 Wie fast die ganze Reise, war das Essen keine Enttäuschung und wir sahen uns allein aus Bequemlichkeit morgen Abend schon wieder hier einkehren. Kulturbanausen 2.0 und so…


Nach einem weiteren Zug durch die Gassen und unzähliger Restaurants und Ramen-Buden wie dieser, flohen wir in die Übersichtlichkeit der Amu Plaza Mall am Bahnhof.


Der Rückweg war nach dem Abendessen dann nicht mehr weit. Einmal über das Brückenkonstrukt vor dem Hauptbahnhof und zurück zu unserem Apartment in zweiter oder dritter Reihe hinter der breiten Straße. Unten rutschen noch immer fleißig die kleinen Wägelchen der Linie 1 hin und her, hier die beiden nahen Verwandten 216 und 211.

Noch kurz beim Lawson reingeschaut, hauptsächlich für eine große Flasche Wasser – Hunger bestand nach dem feudalen Mal nun wirklich nicht mehr – dann ging es rüber ins Apartment. Ein wenig noch das übliche Gerödel aus Daten sichern und sichten, alle Geräte ans Netz anschließen und so wird’s dann auch schnell wieder spät. Gute Nacht!

Die ersten Stunden in Nagasaki mit zahlreichen neuen Eindrücken waren damit vergangen. Morgen würden wir aber noch einen ganzen weiteren Tag für das vergleichsweise komplexe Netz der Stadt haben und erstmals sollte es mit dem Friedens- und Hypocenterpark und dem Sofukuji Tempel auch kleinere kulturellen Abstecher geben. Davon dann aber ohne Eile im nächsten Teil mehr.

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